Replays 2 von Bernd Matheja

Sie: eine Kunst-Kreuzung aus Barbie, Barbarella und (zeitweise) Rockerbraut in Leder. Dazu der Übervater Frank im Genick. Er: Typ progressiver Volksschullehrer im Perlon-Rolli. Daß aus derartigen Zwängen und Schablonen dennoch ein ultimativer Befreiungsschlag in Pop gelang – „Rrrrespekt!“, würde Carolin Reiber jubeln. NANCY SINATRA (heute 55) und Partner LEE HAZLEWOOD (inzwischen 67) haben’s bewerkstelligt. „The Hit Years“ (Rhino R 75885/Contraire) ist die definitive Zusammenstellung ihrer besten Momente, solo und im Duett). Die 18 Tracks sollten – wie „Best Of-Ausgaben etwa von ABBA, Smokie, Shocking Blue in keiner Kollektion fehlen, die Wert auf serielle, perfekt konstruierte Ohrwurm-Absonderung legt. „These Boots…“ – okay. Es sind andere Titel, die für eine makellose Symbiose von Interpretin & Autor/Co-Sänger stehen: das fließende „Summer Wine“, die Kargheit von „Friday’s Child“, zwei hemmungslose „Boots“-Blaupausen; vor allem aber „Some Velvet Morning“ eine der kompositorisch größten Ungeheuerlichkeiten der gesamten Pop-Geschichte: zwei fast aberwitzig ineinander verschraubte Songs, textlich (laut Lee) „ohne jeden Sinn“ und später von Vanilla Fudge ebenso genial zu Wagnerschen Ausmaßen aufgeblasen. In diesem Umfeld gehen Hits wie „Jackson“, „Somethin‘ Stupid“ oder „You Only Live Twice“ (007) nahezu unter: 5,0

Wer ausschließlich die Duette favorisiert, ist mit „Fairy Tales & Fantasies -The Best Of Nancy & Lee“ (Rhino R 701667 Contraire) bestens bedient. Hier bleibt einem „Somethin‘ Stupid“ erspart, statt dessen gibt’s „Down From Dover“, „Paris Summer“, „Sand“ und andere Perlen. 4,0

Eine der eher obskuren Liverpool-Kapellen der Beat-Ära waren die UNDERTAKERS – die mit Brian Jones, der nicht derjenige welcher war (dafür aber noch lebt) und mit dem späteren Kult-Sänger Jackie Lomax. Daß sich der Fünfer nie auf LP wiederfand und generell den großen Sprung verpaßte, könnte am leicht verschrobenen Image der Mersey-Combo gelegen haben: Man kutschierte, dem Namen gemäß, im ausrangierten Leichen-Kombi von Gig zu Gig. Im Hamburger „Star-Club“ waren sie gern gehörte Gäste, während einer US-Tour spielten sie sogar einen Longplayer ein, der aber nie das Tageslicht erblickte. Erstmals auf CD gibt es jetzt alle vier PYE-Singles (A&B-Seiten), dazu das verschollene LP-Basismaterial (elf Tracks) sowie eine hyperrare 45er, die auf dem Winz-Label Black Watch veröffendicht worden war (Big Beat CDWIKD163/TIS). Note 4,0 für die Ausgrabung, 3,5 für die Musik.

Wer auf federnden Soul/R&B aus den USA steht (Marke Arthur Alexander, Sam Cooke oder Wilbert Harrison), sollte bei „Shotgun Wedding“ (Sequel NEMCD 764/Contraire) von ROY C. zugreifen. Der titelgebende Riesen-Hit ist hier erstmalig außerhalb von Misch-Compüations zu hören – im Umfeld von 19 mehr oder minder schwer aufzutreibenden LP-Tracks. Roy C. (Hammond) blieb popularitätstechnisch bis heute in der 2. US-Soul-Liga hängen. Wer diese 20 Teile gehört hat, wird a) mit sämtlichen Füßen wippen und b) sich ob besagter Abwertung dieser Goldstimme gepflegt an die Stirn tippen. 4,0

„OneFor The Road“von RONNIE LANE’S SLIM CHANCE (Edsel EDCD 464/TIS) ist süperbes Schulungsmaterial – für all die lieben, guten, netten Akustik-Riegen (ca. 1989 bis 1996), die immer brav geübt, aber die Seele im Gitarrenkoffer vergessen haben. Diese 1975er-LP des Co-Autors aller Smail Faces-Hits ist ein gedämpftes Meisterwerk in Folk & Country & Pubrock; durchsetzt von schmalzloser Wärme, von Qualität und Kreativität Die Band (Charlie Hart, Brian Beishaw, Colin Davey, Steve Simpson) ist schlicht überragend, überragend schlicht. Kaum auszudenken, was dieser Mega-Musiker noch alles auf die Beine gestellt hätte, wäre er nicht durch Multiple Sklerose weitgehend außer Gefecht gesetzt worden. very British, very 4,0 , und zwar ohne jedes idiotische Mitleids-Sternchen für diesen fast vergessenen LP-Klassiker.

Der hochappetitliche Katalog des Transatlantic-Labels ist inzwischen bei Casde/Essential gelandet. Dort werden jetzt die Rosinen herausgepickt und dem geneigten Publikum wieder zugänglich gemacht. Schwerpunkt ist zunächst die Wiederverwertung reiner Brit-Folk-Produkte. Herausragend beim ersten Schub: „Sweet Child“ von pentancle (ESMCD 354) – die Live/Studio-Doppel-LP von 1968 (jetzt auf Einzel-CD) enthielt eine nur schwer zu toppende Verschmelzung von Folk, Blues & Jazz. Zur Besetzung mit Bert Jansen, John Renbourn, Terry Cox, Danny Thompson und Jacqui McShee fällt einem ohnehin kaum noch etwas ein (4,5).

Eher die Puristen: „Sky In My Pie“/“Head In The Clouds“ (ESMCD 358) von JOHN JAMES; „This Is…“/ „Across The Hills“ (ESMCD 357) von der IAN CAMPBELL FOLK GROUP; „Swarbrick“/“Swarbrick II“ von DAVE SWARBRICK (ESMCD 355): sämtlich mit zwei LPs auf einer CD, fast durchweg bislang nicht „in Silber“ zu haben gewesen. Import über Contraire, weitere Produkte sollen folgen – hoffentlich denkt dabei jemand an den ewig unterschätzten Marc Elligton.

Pop pur: „Sandie“/“Me“, Original-LPs von SANDIE SHAW (1964/65), wurden vom See You Miles-Label unter der Katalognummer SEECD 436 (TIS) zusammengefaßt. Chris-Andrews-Produktionen, die den Geschmack jener Jahre passend bedienten. Die barefoot contessa of pop, stimmlich nicht eben sehr variabel, war wie geschaffen für Andrews‘ Leichtbau-Schlager. 3,0

Damit wächst zwar der Berg von Reissues der Anglo-Ladies der 60er Jahre (Sandte, Dusty Springfield, Cilla Black, Petula Clark, Lulu, P. P. Arnold). Warum jedoch ausgerechnet der Fontana-Katalog der frühen Kiki Dee (ein Dutzend Singles, diverse EPs und LPs) noch immer weltweit unangetastet ist, bleibt ein Rätsel. Wir verfolgen den Fall. Demnächst mehr in dieser Zeitschrift.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates