Replays 2 von Bernd Matheja
Kultiges aus allen stilistischen Himmelsrichtungen. Kult 1: Sie waren so out, outer ging’s gar nicht Und dann drückten die WALKER BROTHERS 1978 „Nite Flights“ (Epic 484438) ab. Einige Unentwegte sollen die LP des GTO-Labels auch tatsächlich gekauft haben – um sie hurtigst zum Vinyl-Höker an der Ecke zu tragen. Denn was die drei Kunstbrüder da ablieferten, hatte mit den schwerblütigen Edelhymnen der Sechziger nichts mehr zu tun. Vor allem die von Scott Engel beigesteuerten Tracks (mega-stark: „Shutout“, „Nite Flights“, „The Electrician“) offenbarten, welche Richtung ihr Baumeister ein weiteres Jahrzehnt später einschlagen würde: kaum kategorisierbar, kryptische Texte. Daß zum Beispiel, Gitarren-Veteran Big Jim Sullivan und Jazz-Saxer Alan Skidmore greinende Schräg-Soli abfeuern durften, mag Indiz dafür sein, daß hier „etwas anderes“ im Angebot war. Auch (und gerade) knapp 20 Jahre danach sind 5,0 nur zu berechtigt
Kult 2: Joe Meek – einer der innovativsten Produzenten euer. Er bastelte die TORNADOS, verpaßte ihnen mit „Telstar“ das (neben „Apache“ und „Take Five“) wohl populärste Instrumental überhaupt „The EP Cotkction“ (See For Miles SEECD 445/TIS) dokumentiert die grandiose Kooperation zwischen Band und Tüftler Meek, der um 1962 unter unsäglich primitiven Bedingungen einen unverwechselbaren Fabel-Sound entwickelte. Die 29-Titel-Sammlung enthält mit „Globetrotter“ und „Robot“ zwei weitere Top-20-Hits sowie die Soundtrack-Rarität „All The Stars In The Sky“. Klingende Billig-Science-fiction, der man sich einfach nicht entziehen kann, verdient 4,0.
Kult 3: Sie durfte als erste deutsche Schlagersängerin im Bremer „Beat-Club“ auftreten (mit „I Go To Sleep“ von Ray Davies), war erheblich weniger pflegeleicht als ihre Trailer-Kolleginnen und landete mit „Er ist wieder da“ (CD-Titel) einen unsterblichen Klassiker: MARION MAERZ, geb. Litterscheid. Bear Family Records haben unter der Katalognummer BCD15964 einen 30er-Teller mit den bekanntesten Ohrwürmern des Teen-Schwarms aus Rensburg aufgelegt, darunter Cover-Versionen von „Terry“, „Up Up And Away“, „Round And Round“ und „Sugar Sugar“. Das Gros der deutschen Original-Titel stammt von Christian Bruhn, dessen Arbeiten sich stets wohltuend von der gängigen Schlager-Pampe abhoben. Unterm Strich: 3,0
Kult 4: „Rare & Raw Beat Front The Sixties, VoL 2“ (GeeDee 270122/TIS) ist eine weitere Ausgrabung aus den tiefsten Tiefen deutscher Beat-, Pop- und Progressive-Musik der Sechziger. Geplündert wurde diesmal der Fundus des vergessenen Kleinlabels CCAY. Die Perlen: „I’m Going Mad“, die erste (unveröffentlicht gebliebene) Single der Scorpions. Ebenso rar: Die beiden ersten 45er (A&B) der Petards von 1966, bevor sie mit „Pretty Liza“ auf Liberty bekannt wurden. Die restlichen 18 Tracks stammen von dubiosen Drittliga-Kapellen wie den Safaris (Paderborn), Sovereigns (Wunstorf), Glorious Five (Hotnberg) usw. Klar, wegen keiner dieser Combos mußte die Rock-Geschichte umgeschrieben werden; der Reiz dieses Materials liegt darin, daß eine Bewegung durchleuchtet wird, der damals nicht für drei Pfennig Interesse galt Rock History, that’s why. 3,0
Kult 5: Ein Meilenstein des Genres, bis jetzt aber nirgends als CD erhältlich gewesen: „Deep In The Night“ (Bullseye/Zensor BB 9575), die 1978er-LP der großen Dame des Blues, Soul & Jazz, ETTA JAMES. Jerry Wexler produzierte (stellenweise etwas zu poliert), Cracks wie Larry Carlton/Cornell Dupree (g), JeffPorcaro (dr), Jim Hörn (sax) und Richard Tee (key) gestalteten den Hintergrund. Schade eigentlich nur, daß zwei, drei mittelschnelle Nummern die melancholische Grundstimmung aufbrechen – hätten James/ Wexler sich ausschließlich für Kriechspur-Ware entschieden, ein Geniestreich wäre die zwangsläufige Folge gewesen. Versionen von „Only Women Bleed“, „Blind Girl“, „Piece Of My Heart“ und weitere Slow-motion-Standards heben Etta James auf eine Qualitätsstufe mit Aretha, Janis & Co. Klasse-Scheiben wie diese soffen ab, weil (nur mal als Beispiel) „Rivers Of Babylon“, „Boogie Oogie Oogie“ zeitgleich die Luft verpesteten. 4,0 für Etta, thebetta.
Kult 6: Diesen Status genießen in der Flower-Fraktion NIRVANA. Das Spätsechziger-Duo Patrick Campbell-Lyons und Alex Spyropouolos aus London sorgte mit „Rainbow Chaser“ und „Pentecost Hotel“ für Feuermale des 67er-Blümchen-Pop. Auf „Orange And Blue“(EdselEDCD 485/Contraire) präsentieren die beiden (plus Gitarrist Keith Smart) Unveröffendichtes, das von ihrer damaligen Plattenfirma als „too Spooky Tooth“ abgelehnt worden war. Hirnriß: a) wegen des Vergleichs und b) wegen der ausgesprochen guten Qualität dieser Überbleibsel ohne jedes Archiv-Moos. Etwas kräftiger zwar als die vorgenannten Titel, aber dennoch 100 Prozent Nirvana. 3,0
Die bislang beste DONOVAN-Compilation ist und bleibt der Import-Doppeldecker „Troubadour“ (Epic E2K 46986) aus dem Jahr 1992 (nur schwer zu finden). Die neue „Definitive Collection “ aus dem Inland (Epic 480 552) kann da nicht ganz mithalten, weil mit Lizenzgebühren geknausert wurde und Früh-Hits wie „Catch The Wind“, „Colours“ und „Universal Soldier“ als nicht-authentische Neueinspielungen in die Verwurstung gelangten. Leitchs spätere, kommerziell erfolgreichere Phase, mit „Atlantis“, „Hurdy Gurdy Man“, „Lalena“, „Mellow Yellow“, „Sunshine Superman“ etc. ist aber wünsch- und lückenlos abgedeckt Eine Bonus-CD mit sechs Live-Aufhahmen (22 Minuten) macht das geschilderte Manko erträglicher. 3,0
Kleiner Kult: die ersten drei MICRODISNEY-Langspielwerke aus den frühen Achtzigern, erstmals auf CD. Sean O’Hagan, heute High Llamas, und sein Partner spielten Meta-Pop – noch unbeholfen auf „Love Your Enemies“ (3,0), verlockend auf „Everything is Fantastic“ (3,5) und vollendet bei „The Clock Came Down The Stairs“ (4,5). Ihre klaustrophobische Lebenssituation als irische London-Exilanten schimmert dunkel in den Songs. (Rev-O-La/RTD)