REPLAYS 2 :: VON MATHEJA & GLASS

Eine der beliebtesten Bands der Garagen-Ära waren die BEAU BRUMMELS aus San Francisco. Die Crew um Sal Valentino und Ron Elliott rollte melodiös auf der weicheten Schiene und hatte den Vorgabe-Output der englischen Herren Lennon/McCartney zu jeder Zehntelsekunde fest im Ohr (was dann auch die Byrds nicht völlig unbeeindruckt ließ). Die beiden ersten Langspielplatten der Beau Brummels, „Introducing“ (jetzt auf Repertoire REP 4697) und „Volume 2“ (REP 46-99), enthielten ihre prominentesten Tracks: „Laugh Laugh“, „Just A Little“ und „You Tell Me Why“. Die exttem kurzen Originale wurden um jeweils zwölf Bonus-Tracks erweitert. Viele davon sind qualitativ exzellente Erstveröffentlichungen, soundmäßig in makelloser Qualität. Fazit: runde zwei Stunden Midsixties-Power-Pop der besten Güteklasse, dafür 4,0.

Ungefähr zeitgleich mit den genannten US-Bands nahm in England ein Zwillingspaar die Arbeit auf, PAUL & BARRY RYAN. Deren umfangreiches Frühwerk auf Decca blieb trotz acht (!) britischer Charts-Treffer in Deutschland nahezu unbeachtet und erscheint hier erstmalig digitalisiert (24 Titel): typischer UK-Pop der Mittsechziger Jahre, geschrieben von Qualitäts-Garanten wie Les Reed und Mike Leander. Erst als Paul Ryan (1992 verstorben) selbst zur Feder griff, erhielt der Sound eine eigene, unverwechselbare Handschrift. Für seinen Bruder schuf er voluminöse, nicht selten pseudo-dramatisch gehetzte Rund-Stücke wie „Eloise“, „The Hunt“, „Magical Spiel“, „Kitsch“(!), „Sanctus Sanctus Hallelujah“, die sich dann (mehr oder weniger) auch auf dem hiesigen Markt durchsetzten (23 Titel, inklusive zwei davon in deutscher Sprache). 3,0 für die optisch und informativ überzeugend ausgestattete Doppel-CD „The Best Of Paul & Barry Ryan“ (Repertoire PMS 7090/IMS).

Das Telefunken-Anchiv wird von Musiker Wolfgang Michels weiter durchgelüftet. Neuester Fund: „Live At The Liverpool, No.l“ (Telefunken 3984-24-119), eine Zusammenstellung aus dem Jahr ’65. Die Echtheit der „Live“-Aufnahmen darf zwar milde bezweifelt werden (Achterbahn-Beifall), doch hier wird ein rares Erinnerungsstück aus den Mid-60’s wieder zugänglich gemacht. Englische und deutsche Solisten und Bands, die in Dieter Behlindas Club „Liverpool Hoop“ in Berlin aufbaten, erhielten hier die Möglichkeit, sich zu produzieren: die lokalen Boots und Cherry Roland aus London zählen dabei zu den bekannteren Vertretern; über The Sounds, die Plus Four, Dick Scott und Mark Christian wurde schon damals kaum noch ein weiterer Ton verloren (was aber diversen Kapellen aus dem Hamburger Star-Club nicht anders erging). Faire Wartung für die Zweitliga-Sause aus Beat und R&B: musikalisch wahrlich keine Sensation, musikhistorisch jedoch eine hochwillkommene Ausgrabung, im Schnitt ergibt das 3,0 Firmen wie Sony und PolyGram (mit produktstarken Labels wie CBS, Philips, Fontana, Polydor) sollten sich ein imageförderndes Beispiel nehmen und ihre Archive zwecks geschichtlicher Aufarbeitung filzen lassen.

Im Zuge der englischen DEL-SHANNON-Reissues liegt jetzt (im Spitzen-Stereo-Sound) die bislang beste 2-on-1-Ausgabe vor: „Sing Hank Williams“/ „1661 Seconds“ (BGOCD 404). Speziell die zweite Original-LP von 1965 hatte es in sich: Mit den grandiosen „Keep Searchin'“, „Stranger In Town“ und „I Go To Pieces“ enthielt sie allerbeste Shannon-Ware, beigemischte Cover-Versionen (gut, obwohl wenig experimentierfreudig) von „Rag Doll“, „Needles And Pins“, „Do You Wanna Dance“ und „I’m Gonna Be Streng“ ergänzten die Eigenbauten perfekt. Dafür 4,0.

„The Further Adventures Of Charles Westover“ von 1968 (BGOCD 402) konnte da trotz acht Bonus-Titeln nicht ganz mithalten (2,0); Shannons Bemühungen, sich mit schmissigen Flower-Power-Bläsern, Streichern und Sitar zeitgemäßen Strömungen anzupassen, wirkten hier streckenweise doch allzu bemüht und künstlich.

Neu auf CD aus den Frühsiebzigern ist das LP-Debüt der norddeutschen Formation CRAVINKEL um den Gitarristen Gerd „Kralle“ Krawinkel, der zehn Jahre später als ein Drittel von Trio ein gerüttelt Maß Schotter abgreifen konnte. Mal bluesig-kräftig, mal gefühliger abrockend, war das Quartett 1970 auf keinen grünen Zweig gekommen, obwohl „Cravinkel“ (Repertoire REP 7086/IMS) erheblich „britischer“ Klang, ab das Gros zeitgleicher Produktionen aus deutschen Landen. Kralle & Co. setzten auf kürzere Songs als ihre Zeitgenossen (nichts über vier Minuten) und verzichteten komplett auf ausufernde Selbstzweck-Dudeleien. Zugabe ist eine exttem seltene Philips-Single von 1971, „Keep On Running“/“Mr. Cooley“, wobei mit dem Spencer-Davis-Track eine ausgesprochen interessante Cover-Version gelang. 3,0 für Rock aus Deutschland, der auf einer Qualitätsebene mit Frumpy oder Atlantis lag, jedoch mit nur ungefähr 5000 verkauften LP-Exemplaren damals völlig absoff. Hinweis für Fans: Auch die zweite (und letzte) Cravinkel-Scheibe, „Garden Of Loneliness“, wind demnächst erstmals auf CD wiederveröffentlicht.

Gerechtigkeit für GENESIS forderte ein Leser, und also wurde der wagemutigste Musikkritiker mit der gefürchteten Aufgabe betraut, Archive 1967-75″ (Virgin) zu prüfen. Bekanntermaßen leitete Peter Gabriel in dieser Phase die Geschicke der Bombastiker – es war die beste Zeit. Üblicherweise unterscheidet man zwischen der Gabriel- und der Collins-Phase, und obwohl Gabriels Spintisierereien nicht sakrosankt sind, gilt die Machtübernahme von Collins natürlich als Wegscheide zum Trivialen. Der Einfluß von Banks und Rutherford wurde lange Zeit marginalisiert – zu Recht, wie man heute hört: Anders als Gabriel (und sogar Collins) können sie keinen ordentlichen Song schreiben. Die neue 4-CD-Box dokumentiert die konzertante Aufführung von „The Lamb Lies Down On Broadway“ im Shrine Auditorium zu Los Angeles und enthält außerdem Live-Aufnahmen, B-Seiten sowie sehr unfertige Demos aus den späten 60er Jahren. Man glaubt es kaum: Das Wiederhören macht Freude. „Lamb“ ist so verblasen, prätentiös und surreal wie je, ein Spiegel der Zeit und Ausfluß veritabler Kunstanstrengung, während die Schnipsel eine eher anstrengende, doch auch erhellende Forschungsarbeit von Genesis-Fanatikern (gibt es!) verlangen. Fast wie Bibel-Studium. Sie mögen heute als Peinsäcke und Kritikergift gelten, doch Obacht: Der Prog ist fruchtbar noch. 3,0

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