Robbie Williams – Reality Killed The Video Star

Wie bewertet man die Morgensonne, wieviele Sterne vergibt man an den Mond? Das sind die Fragen, die Robbie Williams zu Beginn von „Reality Killed The Video Star“ stellt, aber natürlich geht es hier um viel mehr. Nach einer – für ihn unendlich langen – Pause will es Williams noch einmal wissen. Das ganz große Pop-Album sollte es werden, der zwingende Rundumschlag. Er hatte Trevor Horn engagiert und diverse Songschreiber, die ihm dabei helfen sollten. -Fett“ war das Wort, das er oft benutzte, um die neuen Stücke zu beschreiben, und das sind sie auch: fett produziert, mit fetten Synthesizern und fetten Refrains. Nur die Ideen sind eher schmal.

Der melancholische Pop von „You Know Me“ kommt mit Schubidu-Chören und gebremstem Schwung noch ganz charmant daher, der Riff-Rock von „Do You Mind?“ nervt eher. Die billigen Beats weisen schon daraufhin, wo der Rest des Albums hingeht: direkt zurück in die 80er Jahre, weitestgehend ohne ironische Brechung. Bei den „Last Days Of Disco“ beleiht Williams wieder mal die Pet Shop Boys, das kann er ja, aber dann geht ihm bereits die Puste aus. „Deceptacon“, „Starstruck“, „Difficult For Weirdos“: Oft kämpfen Psychedelia und Dance, Beatles und Disco gegeneinander, und am Ende gewinnt nie der Song. Alles ist groß angelegt, aber der Witz und das Herz von Robbie Williams haben sich versteckt unter all dem Pomp und Pathos. „I’m the genius behind me/ Maybe I shouldn’t have said it/ And here in the next Century/ What will they think/ When they think about me?“ fragt er in der Soul-Ballade „Superblind“. Das ist die Crux: Was sollen die Leute denn denken, wenn sie keine Ahnung mehr haben, wer dieser Robbie überhaupt ist?

In Interviews erzählt er nun dauernd von seiner großen Liebe, den Hunden und der Sehnsucht nach Heimat, doch musikalisch hat er sich von einer eigenen Identität weit entfernt. Einst behauptete er, es gebe einen Mann, der mehr Robbie Williams ist als er selbst, und genau den brauchte er immer noch, mehr denn je: Guy Chambers. Es gibt ein mächtiges, tatsächlich unwiderstehliches Stück auf „Reality Killed The Video Star“ ein Überbleibsel aus den Tagen, als Chambers und Williams gemeinsam Geschichte schrieben.

Die Ballade „Blasphemy“ ist aufgeblasen und selbstmitleidig, sie strotzt vor eitler Bekenntnissucht und ulkigen Wortspielen. Kurzum: Sie ist fabelhaft. Von einem theatralischen Piano begleitet, geht es dem Sänger um nicht weniger als das Überleben – im Rampenlicht, wo sonst. „No Singles, just fillers/ Sometimes I wish I could/But I can’t behave/ I know it’s not the heathen in me/ It’s just that I’ve been/ Bleeding lately/ Internally/ Don’t turn on me/ Bite your tongue, the torrid weapon/ We could learn a useful lesson.“

Am Ende singt er aus voller Kehle, wie so oft ein bisschen schräg, alles ist Trotz und Drama, und vielleicht dachte Robbie Williams, so könne er mit 35 nicht ewig weitermachen. Aber warum eigentlich nicht? Ein überzeugender Peter Pan ist allemal unterhaltsamer als ein alternder Discokönig.

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