Robyn Hitchcock – I Wanna Go Backwards

Man musste wohl schon immer einen etwas ausgefalleneren Geschmack entwickelt haben, um an Songs von Robyn Hitchcock großes Vergnügen zu finden. Das war bereits zu Soft Boys-Zeiten so und änderte sich auch nicht, als er mit den Egyptians Lieder wie „Sometimes I Wish A Was A Pretty Girl : ‚ aufzunehmen begann. Die Jungs von R.E.M. genierten sich keineswegs zuzugeben, dass die Soft Boys für ihre musikalische Sozialisation eine noch weit bedeutendere Rolle gespielt hatten als die By rds, erster sofort mühelos zu entdeckender „Einfluss“.

Als Mitte der 90er Jahre das Werk von Hitchcock mit Egyptians und solo weithin erstmals remastered neu auf Sequel erschien, benannten die Band-Mitglieder in den Liner Notes von „Gotta Let This Henn Out!“ ihre persönlichen Top-Ten-Favoriten. Wobei die drei exquisiten, wenngleich nicht ganz ausgefallenen Geschmack demonstrierten. Neben den usual subjects („Highway 61 Revisited“, das Byrds-Debüt, „Revolver“ und von David Bowie „Heroes“) nannte Hitchcock auch die erste Solo-Platte von Syd Barrett, die dritte LP von Velvet Underground und „Clear Spot“ von Captain Beefheart. Und bekannte sich in seiner Folk-Affinität zu Steeleye Span und Martin Carthy. Was man alles bei genauerem Hinhören eigentlich schon geahnt oder auch gewusst hatte. Mehr als ein Hitchcock-Song klang im Lauf der Jahre so, als hätten sich John Lennon und Syd Barrett ihre feuchten (und andere) Träume erzählt und dann begonnen, darüber gemeinsam Lieder zu schreiben. Mit dem Titel eines billigen Horrorfilms der C-Klasse konnte man so etwas wie „Man With The Light Bulb Head“ nicht verwechseln, da manifestierte sich wie des öfteren sein Sinn fürs Surreale.

Wieso er sich ausgerechnet nach dem Meisterwerk „Underwater Moonlight“ entschloss, das ganze Soft Boys-Projekt zu liquidieren und statt dessen eine Solo-Karriere zu wagen, lässt sich nicht mit irgendwelchen Popstar-Ambitionen erklären. Schon die Idee, er könne ein Idol für viele werden und müsse vor solchen in Konzerten auftreten, erschreckte ihn immer. Wie in Jonathan Demmes Konzert-Dokument „Storefront Hitchcock“ zu sehen ist, war Idolkult das letzte, an das er je einen Gedanken verschwendet hätte.

Wer nach besagten Lennon/Barrett/Bowie-Verbindungen beim Solo-Debüt „Blacks Snake Diamond Role“ sucht, wird fündig bei einem Song wie „Do Policemen Sing?“. Mit Plastic Ono Band hat „Love“ ganz sicher nicht beiläufig zu tun. Über die Substanz, die den Psychedelik-Pop von „Acid Bird“ inspirierte, muss man nach dem Titel nicht rätseln. In dem kleinen Horrorfilm-Szenario von „Out Of The Picture“ wird die Titelfigur – rechtschaffen misogyn – mal als „deceased“, dann wieder als „a creature out of hell“ bezeichnet. Sehr lennonesque intoniert er „The Man Who Invented Himself“. Mit dieser Platte konsolidierte er zumindest seinen Ruf als höchst talentierter Exzentriker, auch wenn der Solo-Einstand nicht die Klasse von „Underwater Moonlight“ besaß.

Das Meisterwerk war aber auch ein „Kondensat“ von Sessions gewesen, bei dem viele Aufnahmen zu Outtake-Status verdammt worden waren. Auch für das Solo-Debüt hatte er wie immer über ein halbes Dutzend Songs mehr aufgenommen, die es dann nicht auf die LP schafften. Ein paar locker aus dem Ärmel geschüttelte mit Drogenbezügen wie „Grooving On An Inner Plane“ und „It’s A Mystic Trip“, aber auch Power-Pop wie „All I Wanna Do Is Fall In Love“ mit dem Bekenntnis, er habe die Illusion noch nicht aufgegeben, dass es so etwas gebe. Bizarrste unter den Zugaben hier ist wohl „A Skull, A Suitcase & A Long Red Bottle of Wine“, das schon sehr nach Country-Parodie klingt-jedenfalls nach dem, was sich Hitchcock unter einer solchen vorstellt -, mit gigantischen Sonnenuntergängen am Horizont und einer Sonne wie ein Ballon, der seine Orientierung verloren hat.

Das ein Jahr später von Steve Hillage produzierte „Groovy Decay“ – schier endlose Sessions, später mal komplett dokumentiert – war so ein Flop, dass er danach erst mal jahrelang kein Studio mehr betrat. Unplugged mit Klavier und Akustikgitarre musiziert, war dann „I Often Dream Of Trains“ trotzdem keine Rückkehr zu Folk-Schhchtheit. Auch beim a cappella im Terzett gesungenen „Uncorrected Personalities“ (Textprobe: „Even Marilyn Monroe was a man/ but this tends to get overlooked by a mother-fixated, otherwise sexist media“) verleugnete er nicht den Exzentriker. Eingestöpselt wurde der Titelsong produziert, den man auch als eine Hommage an Syd Barrett hören kann. Mal Melancholie beschwörend („Winter Love“), danach gleich viel schwarzen Humor beweisend („The Bones In The Ground“), war das eine höchst persönliche Songkollektion. Dazu passte bestens das Anti-Liebeslied „I Used To Say I Love You“. Bei den Zugaben handelt es sich in diesem Fall mehr um Demos und Entwürfe denn fertig produzierte Songs.

In den folgenden Jahren nahm Hitchcock, von der Fürsprache durch R.E.M. profitierend, mehrere Platten mit den Egyptians auf, von denen es ein paar wundersamerweise sogar in die US-Hitparade schafften. Auf „Eye“gab er dann bei Songs wie „Queen Elvis“ und „Executioner“ seine ungeminderte Verehrung für den frühen Solo-Lennon zu erkennen Herausragende wie „Linctus“ betrachtete er wohl doch zu Recht als so private, dass er die sich nicht in Aufnahmen mit einer Band vorstellen konnte. Eine introvertiertere Sammlung von Songs hat er nie aufgenommen. Der Blick in die Werkstatt, den er mit drei Dutzend Demos auf den CDs 4 und 5 gestattet, fördert nichts zutage, dessentwegen man sich ein merklich anderes Bild von Robyn Hitchcock machen müsste.

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