Lieblingsalben der 80er: Robyn Hitchcock: „I Often Dream Of Trains“

Was für eine Nachtplatte! Gleich das instrumentale Eingangsstück „Nocturne“ hörte sich an, als hätte sich ein Gruselgraf in sinistrer Stimmung nächtens an den Flügel gesetzt.

Einen nicht unbeträchtlichen Teil der 80er-Jahre habe ich in Bussen zugebracht. Tagtäglich fuhr ich von meinem Heimatkaff zur Schule in die benachbarte Stadt und zurück. Die Folge ist ein mittelschweres Trauma. Komme, was da wolle – ich werde nie wieder einen Fuß in einen Bus setzen.

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Während ich auf den Hinfahrten meine Hausaufgaben erledigte, boten die Rückfahrten immerhin die Möglichkeit zur musikalischen Recherche. Meine hauptsächliche Informationsquelle war der Katalog des Malibu-Mailorders, den ich regelmäßig gierig verschlang.

Besonders angetan hatte es den Autoren des Katalogs der britische Songwriter Robyn Hitchcock. Das zeigte sich daran, dass sie ihn eben nicht als „britischen Songwriter“ anpriesen, sondern als waschechtes Spinnergenie, als „Phantom von der Insel“. Als Meisterwerk des obskuren Barden galt dem Malibu-Team „I Often Dream Of Trains“ von 1984. Von Syd Barrett war die Rede, von englischer Exzentrik und kühnen Songs. Ich musste diese Platte haben.

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Ich hörte sie dann erstmals allein im dunklen Wohnzimmer auf der Bang-&-Olufsen-Anlage meiner Eltern. Eine unvergessliche Erstbegegnung mit dieser seltsamen Nachtplatte. Gleich das instrumentale Eingangsstück „Nocturne“ hörte sich an, als hätte sich ein Gruselgraf in sinistrer Stimmung nächtens an den Flügel gesetzt. „Sometimes I Wish I Was a Pretty Girl“ klang dann tatsächlich wie Syd Barrett, allerdings mit Fledermausflügeln. „Uncorrected Personality Traits“ ließ Barbershop-Gesang auf Sexualpsychologie treffen, „Flavour Of Night“ klang exakt so, wie es hieß, und der Titelsong war eine surreale Schlafwagenfahrt durch ein frostiges Dezember-Britannien. Zwischendurch sang Hitchcock von Eiscremehänden und Herzen voller Laub. Fahles Mondlicht fiel ins elterliche Wohnzimmer. Ich war in einer anderen Welt.

Robyn Hitchcock ekelte sich vor der Welt

Doch neben der romantischen Exzentrik war hier noch etwas anderes am Werk, eine Daseinsbefremdung, ein Weltekel beinahe, der diese liedgewordenen Postkarten aus Thatcher-England bei aller Spleenigkeit nie nach Hippiemusik klingen ließ. Klar, es ist die Platte von einem, der sich in eine eigene Welt zurückzieht – anders als Syd Barrett tat Hitchcock, einst Sänger der Power-Psychedeliker The Soft Boys, dies aber aus freien Stücken. Vor welchem Hintergrund diese Spuksongs entstanden, verdeutlicht der Titel einer Outtake-Sammlung Hitchcocks aus dieser Zeit: „While Thatcher Mauled Britain“.

„Trains“ ist gewissermaßen eine Anti-Achtziger-Platte, der Sound eines Künstlers, der sich mit den Klängen der Sechziger gegen die Gegenwart verteidigt. Ein bizarres Gewächs. Ein spindeliges Gespinst. Und das Album, das mir wie kein anderes verdeutlicht hat, dass in der Kunstform Song nahezu alles möglich ist. Der wortgewandte Songschreiber aus Paddington wurde mit dieser Platte mein musikalischer Leuchtturm.

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Das waren die Achtziger, meine Damen und Herren: Ich saß in Bussen und Robyn Hitchcock träumte von Zügen. Ersteres gehört der Vergangenheit an. An Letzterem hat sich vermutlich nichts geändert.

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