Rufus Wainwright :: Rufus Does Judy At Carnegie Hall

Nachsingen statt Aneignung: Rufus stößt nur als Sänger an Grenzen

Die Phase des lustvollen Dekonstruierens hat die Popmusik wohl endgültig hinter sich. Statt weiter Madonna-Songs als Speed Metal zu spielen, schätzen die Künstler seit ein paar Jahren die Meriten des werkgetreuen, verbindlichen Nachsmgens: Unter anderem Lou Reed, Sonic Youth und Belle & Sebastian führten ihre eigenen Frühwerke auf, und das hier ist nun — dem Ereignis selbst anderthalb Jahre hinterherhoppelnd — die Hommage an Judy Garlands geschichtsumwittertem Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall vom 23. April 1961, Song für Song nachempfunden von Rufus Wainwright, am selben Ort, auch mit 40-Mann-Orchester, rund 45 Jahre später, am 14. und 15. Juni 2006 (der vorliegende Mitschnitt ist ein Mix aus beiden Abenden).

Und bevor einer fragt, und bevor das zu einem kleinlich benoteten Vorsingen ä la „Deutschland sucht den Superstar“ wird: Ist diese Platte notwendig? Nein, natürlich nicht. Ist Wainwright so gut wie Garland? Nein. Ist die Platte trotzdem gut?Ja, sogar sehr. Was kein Widerspruch ist.

Weil Rufus Wainwright es schafft, diese hausgroßen Big-Band-Stücke trunken, sternenverliebt und der eigenen Zunge nach zu singen, ohne sich in ihnen breitzumachen. Von Aneignung kann hier absolut keine Rede sein: Er schiebt „Do It Again“ übers Parkett, den Gershwin-Schleicher aus dem Musical „The French Doll“ von 1922 – Garlands Geburtsjahr—, der davon handelt, dass der erste Kuss schon ein Riesenfehler war. Er reitet das Mambo-artige „You Go To My Head“, 1938 vom Teddy Wilson Orchestra bekannt gemacht, ein Lied darüber, wie der oder die Geliebte einem wie Champagnerbläschen im Hirn herumblubbert.

Er steppt durch „Puttin‘ On The Ritz“, singt großteils Irving Berlins Originaltext, der 1930 für das gleichnamige Musical in eine Weiße-Hautfarben-Version geändert wurde. Und er hetzt grandios mit heißen Füßen durch den „Trolley Song“, ein Markenzeichen-Stück Garlands: „Thump, thump, thump went my heartstrings/ As we glided for Huntington Lake.“

Das Letztgenannte mag eine Ausnahme sein, aber zum größten Teil war eben schon Judy Garlands Original-Konzert eine Hommage —Jeanette MacDonalds „San Francisco“ führte sie sogar mit einer parodistischen Imitation ein, wie man auf der alten Platte am Lachen der Zuschauer hört. Schon 1961 war die naive Herrlichkeit des Swing, der Rodgers-Hart-Hammerstein-Musicals und Busby-Berkeley-Choreografien, nur noch eine Erinnerung, und für die mehrfach geschwächt wiedererstandene Garland sollte die Carnegie Hall, acht Jahre vor ihrem Tod, der letzte unüberschattete Triumph bleiben. „Our lady of the homosexuals“ nennt Wainwright sie.

Dass hier ein Mann eine Frau spielt, fällt weniger auf als seinerzeit die Macho-Attitüde in Robbie Williams’Sinatra-Show. Bei ganz weit gebogenen Songs wie „I Can’t Give You Anything But My Love“ oder“Alone Together“ stößt Rufus Wainwright dann leider an seine Grenzen als Sänger. Wenigstens macht er sonst alles großartig, beweist Gefühl fürs historische Gleichgewicht, wenn er Erklärungen einschiebt und vor „Rock-A-Bye Your Baby“ auf Al Jolson hinweist, der das Stück lange vor Judy gesungen hatte.

Keine Frage, Rufus stellt sich hier selbstbewusst als nächster in die Reihe, aber in welchem Grüppchen sollte er sonst auch stehen mit seiner so sentimentalen wie raffinierten Kunst? Trotzdemdenkt er daran, Schwester und Mutter auf die Bühne zu bitten. Sie fühle sich wie Celine Dion, sagt die Letztere, und der Sohn antwortet übermütig, die Dion müsse sich auch warm anziehen, weil sie mit dieser Show bald in Vegas einziehen würden. Er meint das wohl nicht allzu sarkastisch.

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