Scott Walker – 5 Easy Pieces

Noch vor sehr wenigen Jahren musste man die Regale mit der Überschrift „Oldies“ ansteuern, um Platten von Scott Walker zu finden. Meistens gab es aber nur ein paar Sampler mit TV-Auftritten der Walker Brothers aus den 70er Jahren. Immerhin wurden dann die Original-Alben des Gesangs-Trios ebenso wie „Scott 1-4 “ wieder aufgelegt. Während Scotts Ruhm nach „Nite Flights“ und zumal „Climate Of Hunter“ ins Sakrale wucherte, erfuhren auch seine zu existenzialistischen Werken geadelten vier Alben der späten Sechziger eine Remedur.

Das Thomas-Pynchon-Mäßige seiner späteren Jahre nährte die Aura des enigmatischen Künstlers, der Robbie Williams den Königsweg vom melancholischen Rebellen in der Boygroup zum idiosynkratischen Großkünstler vorgeführt hat – wobei Williams als Maulheld durchaus folgen will, in der Kunst aber nicht kann. Scott Walker verlor sein Publikum fast komplett mit „Scott 4“, das er selbst geschrieben hatte und 1969 zum spektakulären Untergang seiner Ambitionen führte. In den Siebzigern war der vormalige Scott Engel eine traurige, gestrige Figur, bevor „Nite Flights“ die gealterten männlichen Blondinen plötzlich als Neutöner und Neugeborene auswies. Auch Scotts Partner John Maus hatte offenbar eine Tüte Drogen konsumiert und das Licht gesehen.

Noch trefflicher illustrierte „Climate Of Hunter“ 1984 den Begriff „kommerzieller Selbstmord“: Der romantische Bariton ließ nun zu merkwürdigen Rhythmen und befremdlichen Klängen seine Stimme vibrieren, und die verkündete: „The insomniac gnaws in the On-Offs; he is glazed in die hooves all round.“ Es ist bis heute jene Platte des Labels Virgin, von der die wenigsten Kopien verkauft wurden – Schätzungen schwanken zwischen 1000 und 5000 („Compact Price“). Nur die Fürsprache eines alten Bewunderers ermöglichte die jahrelange Laubsägearbeit an „Tilt“, einem opaken Monstrum, das 1995 tatsächlich erschien. Zunächst als einsame Sinnsuche Nietzscheanischen Zuschnitts gefeiert, ordnen britische Blätter es heute zwischen prätentiösem Schwachsinn und wirrer Hybris ein, kurzum: als Kunstkacke. Wahr ist, dass kein Sterblicher Walkers Kopfgeburten verstehen kann.

Bei dem Verboxungs-Versuch „5 Easy Pieces“ überrascht die leichthändige Ironie, mit der dieses einzigartig krause Schaffen in fünf Teile und eine leichtgewichtige Papp-Verpackung im Stil von Küchenstreichholzschachteln gesperrt wurde. „In My Room“ und „Where’s The Girl?“ widmen sich der Einsamkeit und dem Sehnen nach Liebe sowie dem Verlust derselben, „An American In Europe“ enthält die Brel-Interpetationen sowie, tja, Nachdenken über Amerika (darunter, mutig, Songs von „Tilt“ und „Climate“). „This Is How You Disappear“ umfasst vorwiegend die Stücke des nunmehr abgedrehten Walker (Untertitel: „15 big hits“!), darunter so heimelige Stücke wie „Track 3“, „Track 5“, „The Cockfighter“ und „Dealer“. Die fünfte CD schließlich versammelt sämtliche Soundtrack-Arbeiten, etwa das berühmte „Man In Reno“, „The Rope And The Colt“, die atemnehmende Version von Dylans „I Threw it All Away“ und anderen Wahnsinn.

Das Verstörendste sind aber „Scope J“ und „Lullaby“: Was wir gutmütig für das Schreien, Wispern und Wimmern einer Geisteskranken in einer Zwölfton-Oper hielten, ist nur Ute Lemper.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates