Die 10 letzten Geheimnisse des Thomas Bernhard

Viele ist über Thomas Bernhard kaum bekannt. Zum Beispiel, dass er gerne Prince hörte.

Am 12. Februar 1989, drei Tage nach seinem 58. Geburtstag, starb der Übertreibungskünstler und Geschichtenzerstörer, Weltdichter, Skandalautor, Fabulier-und Beschimpfungsvirtuose Thomas Bernhard im oberösterreichischen Gmunden.

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Dass sein Werk seither weiterlebt, wäre eine Untertreibung. Er ist in den vergangenen Jahrzehnten zum wohl bedeutendsten deutschsprachigen Autor geworden – kaum eine Bühne, die hierzulande nicht eines seiner Stücke im Repertoire hat, kaum ein junger Schriftsteller von Andreas Maier bis Antonia Baum, der sich nicht auf ihn beruft.

Sein Einfluss zeigt sich aber auch in den Werken so unterschiedlicher Autoren wie W. G. Sebald, William Gaddis oder Tim Parks, und man kann ihn mit einigem Recht als den Godfather der deutschen Popliteratur bezeichnen: Rainald Goetz erwähnt ihn allein in seinem Tagebuch „Abfall für alle“ 30 Mal, Christian Krachts „Faserland“ liest sich wie das Werk eines Bernhard-Enthusiasten, Benjamin von Stuckrad-Barre schrieb in Anlehnung an ein Bernhard-Dramolett sein „Claus Peymann kauft sich keine Hose, geht aber mit essen“, Eckhart Nickel promovierte über ihn und Thomas Meinecke fand überhaupt erst durch ihn zum Schreiben.

Die Musikalität seiner Texte, der rhythmisch-repetitive Bernhard-Groove, wirkte ebenso stilprägend auf die Popautoren wie Bernhards leichte Ironie, sein Bekenntnis zu Ästhetik und Dandytum und seine Ablehnung des Authentischen und scheinbar Wahrhaftigen. Als „philosophisches Lachprogramm“ hat Bernhard selbst sein Werk einmal bezeichnet.

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1. Er arbeitete mit Herbert Feuerstein

Thomas Bernhard besuchte als Student zur gleichen Zeit das Salzburger Mozarteum wie Herbert Feuerstein. Die beiden schrieben außerdem fürs „Salzburger Demokratische Volksblatt“: Bernhard als Gerichtsreporter, Feuerstein für den Kulturteil. Sie sollen sich nicht sonderlich gemocht haben. Zwei Jahre vor Bernhards Tod trafen sie sich durch Zufall noch einmal auf der Kärntner Straße in Wien, wie Feuerstein in der ORF-Show „Willkommen Österreich“ berichtete. „Und er sagte: ,Na wie geht’s dir?‘ Und dann habe ich gesagt, was ich immer sage an der Stelle: ,Ich quäle mich so dahin.‘ Und da hat er gesagt:,Na, ich auch.‘ Und dann ist er gestorben.“

2. Er ließ sich aufbahren

Zwischen 1965 und 1975 war Bernhard eng mit dem Immobilienmakler Karl Ignaz Hennetmair befreundet, dem er 1978 in seiner Erzählung „Ja“ mit dem „Realitätenvermittler Moritz“ ein Denkmal setzte. Und tatsächlich war der elf Jahre ältere Hennetmair für Bernhard der Draht zur Wirklichkeit, sein Sekretär und selbsternannter „Knecht“. Der dokumentierte ein Jahr dieser Freundschaft in einem „versiegelten Tagebuch“, das schließlich 2001 veröffentlicht wurde. Herrlich, wie Hennetmair hier lakonisch die gemeinsamen Abende in seiner Wohnstube beschreibt. Wie sie gemeinsam auf seinem alten Fernseher das Neujahrsskispringen und „Stars in der Manege“ schauten, 17 und 4 spielten und Bernhard seinen eigenen Tod inszenieren ließ: „Wir hüllten Thomas in Decken und spielten Aufbahrung. Symbolisch stellten wir riesige Kerzen auf. Thomas gab einige Anweisungen.“

3. Er sammelte Häuser

Bernhard war ein großer Liebhaber alter Häuser. Ja, man kann sagen, er sammelte sie, um sie dann zu restaurieren. Der Grund dafür war Ingeborg Bachmann. Das behauptet jedenfalls Josef Fürtbauer, Wirt einer Bernhard’schen Stammkneipe im oberösterreichischen Ohlsdorf (nachzulesen in Sepp Dreissingers wunderbarem Erinnerungsband „Was reden die Leute“). Die Bachmann, der Bernhard und der Hennetmair saßen dort einmal zusammen, und die Schriftstellerin erklärte, sie könne sich gut vorstellen, in dieser Gegend, wo Bernhard auf einem liebevoll restaurierten Vierkanthof lebte, ebenfalls ein Bauernhaus zu kaufen. Zwei Mal erzählte Hennetmair seinem Freund, er habe ein Objekt für die Bachmann gefunden, Bernhard bat beide Male, sich das Objekt anschauen zu dürfen und kaufte es dann. Auf Hennetmairs Frage, was er denn mit so vielen alten Häusern wolle, entgegnete er, einmal im Jahr sei die Bachmann ja gut, aber ein ganzes Jahr am Stück halte er es mit ihr nicht aus.

4. Er las nur Altes

Bernhard war zwar sehr am aktuellen Weltgeschehen interessiert und las obsessiv Zeitung, doch zeitgenössische Literatur interessierte ihn überhaupt nicht. 1975 fand er auf die Frage, welches auf der Frankfurter Buchmesse erscheinende Buch er empfehlen könne, keine Antwort und nannte stattdessen die „Pensées“ von Blaise Pascal aus dem Jahr 1670. Er hatte ein Faible für französische Philosophen der frühen Neuzeit, auch Montaigne und Voltaire kommen oft in seinen Werken vor. Handke, Canetti und Walser dagegen wurden Opfer seiner Schimpftiraden. „Da 99 Prozent der Schriftsteller ständig darüber nachdenken, wie sie die Welt verbessern sollen und wie sie sich einschmeicheln sollen bei den sogenannten Lesern, schreiben’s alle schlechte Bücher, die kein Mensch interessieren“, war sein vernichtendes Urteil über seine Zeitgenossen.

5. Er floh vor Wittgenstein

Bernhards Erzählung „Wittgensteins Neffe. Eine Freundschaft“ war Paul Wittgenstein gewidmet, dem nervenkranken Neffen des großen Philosophen, mit dem er in den Sechzigern einige Zeit im Sanatorium verbracht hatte und später öfter das Hotel Sacher besuchte. Die Freundschaft muss wohl nicht ganz unkompliziert gewesen sein, wie der Maler Gerhard Weigl einmal berichtete. Wittgenstein wohnte über Bernhards Stammlokal, dem Café Bräunerhof in Wien. Wenn er zur Tür herein kam, soll der Autor sich regelmäßig hinter seiner Zeitung versteckt haben. Einziges Problem: Bernhard saß immer auf demselben Platz, am Eingang gleich links, und war daher leicht zu finden. Wittgenstein soll jedes Mal so lange auf ihn eingeschrien haben, bis er schließlich entnervt die Zeitung weglegte. Bernhard hätte nach Wittgensteins Tod 1979 die Grabrede halten sollen, doch er erschien nicht zum Begräbnis. In „Wittgensteins Neffe“ schreibt er, er habe das Grab auch später nicht aufgesucht.

6. Er liebte Prince

Der Opernliebhaber Thomas Bernhard war auch der populären Musik nicht abgeneigt. So legte er zum Beispiel gerne Alben von Prince auf. „Ich nehme an, es war für ihn das spontane Erleben von dessen Rhythmusgefühl“, erklärte sein Halbbruder und Leibarzt, Dr. Peter Fabjan, auf Anfrage des ROLLING STONE. „Doch beschäftigt hat er sich, soviel mir bekannt, mit dieser Musik nicht. Sind es doch seine Jugend-, also vor allem die Fünfzigerjahre gewesen, in denen ihn Musik wirklich leidenschaftlich beschäftigt hat, und dann hat er, einmal ganz fürs Schreiben entschlossen, das eigene Talent zur ,Komposition‘ da hineinfließen lassen. Es ist, als er noch gesungen hat, Mozarts ,Zauberflöte‘ gewesen, aus der wir Kinder ihn zu Hause immer wieder die Arie das Sarastro singen gehört haben. Was er an Klassikern geliebt hat, steht in seinem Schreiben, wobei mir bekannt ist, dass da für ihn mit den Genannten und Anderen Béla Bartók wichtig gewesen ist. Er wird nicht einmal in ,Alte Meister‘, wo die Großen durch die Bank was abbekommen, in seiner Besonderheit und Bedeutung infrage gestellt. Mehr zu erzählen, fehlt mir als einmal in der Medizin geschultem Menschen mit stets nur flüchtigem Kontakt mit der Musik die Möglichkeit. Als Student habe ich mich mit Bartók und Händel (dazu für mich mit den orthodoxen Chorälen) – man hörte sie zu Cyril und Method einmal im Stephansdom – verbunden gefühlt.“

7. Er veralberte uns

Bernhard war ein begeisterter Leserbriefschreiber. So kommentierte er etwa die Meldung aus der „Zeit“, Claus Peymann würde im März 1988 Molières „Tartuffe“ im Wiener Burgtheater inszenieren, mit einer hinreißend selbstironischen Empörung, in der er den Regisseur, dem er jedes seiner Stücke anvertraute, als den „furchtbarsten aller Burgtheaterdirektoren“ beschimpfte und des Wortbruchs bezichtigte. Der Regisseur habe ihm versichert, dass im März nicht der „Tartuffe“,“eines der dümmsten Theaterstücke übrigens, die jemals geschrieben und auf die Bühne gebracht worden sind“, im Burgtheater aufgeführt würde, sondern ausschließlich sein, Bernhards, neues Stück „Glückliches Österreich!“. Alles andere würde seiner Vernichtung gleichkommen. Seit fünf Monaten probe er nun schon auf Mallorca – mit dem österreichischen Altkanzler Bruno Kreisky und dem Kriegsverbrecher und ehemaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim in den Hauptrollen. Der Lieder- und Theatermacher André Heller, gegen den Bernhard einen Groll hegte, spiele einen Schweinehirten. „Herr Heller macht seine Sache kostenlos, Herr Waldheim hat eine Vorauszahlung von sechs Millionen Schilling bekommen, Herr Kreisky nur drei, das entspricht dem Einsatzusus!, glauben Sie mir, beide Herren wollten ihr Honorar absolut steuerfrei, Herr Waldheim auf ein Konto in Liechtenstein, Herr Kreisky auf ein Konto in Andorra.“

8. Er liebte Österreich

Der letzte Text, den Bernhard zu Lebzeiten veröffentlichte, erschien genau einen Monat vor seinem Tod in der „Salzkammergut-Zeitung“. Ein Leserbrief, in dem er sich gegen die geplante Einstellung der Gmundener Straßenbahn ausspricht. Der Mann, der seine Heimat einst als „Senkgrube“ und „Eiterbeule Europas“ bezeichnet hatte, schlägt hier geradezu versöhnliche Töne an. „Jedesmal, wenn ich aus dem Ausland zurückkomme“, schreibt er, „denke ich, dass ich in eine der allerschönsten Gegenden der Welt heimkehre.“ In dieser Gegend ist er dann gestorben.

9. Er lebt in Manhattan

Dem abgehalfterten Journalisten Alexander Schimmelbusch wurden Hinweise zugespielt, Thomas Bernhard habe seinen Tod nur vorgetäuscht. Und er fand den Autor tatsächlich quicklebendig in Manhattan. So steht es jedenfalls in dem sehr unterhaltsamen Roman „Die Murau Identität“ von Alexander Schimmelbusch.

10. Er klingt wie Scott Walker

Der südafrikanische Songwriter Adam Donen und The-Cure-Keyboarder Roger O’Donnell haben gemeinsam eine „Bernhard Suite“ geschrieben, die am 26. Oktober 2013 in Heilbronn Premiere feierte. „Ich wollte die Musikalität und Komik der Bernhard’schen Texte in diesem Stück umsetzen“, so Donen, der auch ein großer Fan von Scott Walker ist. „Walker und Bernhard eint, dass sie oft missverstanden wurden und der Humor, der in ihren Werken liegt, nicht erkannt wird.“

Fünf Bücher von Thomas Bernhard, die man lesen muss

Von den romantischen, finsteren Romanen des Anfangs zum monologischen Spätwerk – eine Auswahl aus der Bernhard’schen Prosa von Maik Brüggemeyer und Arne Willander

„Das Kalkwerk“ (1970)

Der klare, finstere Höhepunkt und Abschluss des Frühwerks. Ein Lebensversicherungsvertreter gibt Stimmen wieder, die vom manischen Konrad erzählen, der seine pflegebedürftige Frau missbrauchte, um seine Studie über das Gehör voranzutreiben. Er tut dies fast ausschließlich im Konjunktiv. MB

„Korrektur“ (1975)

Roithamer ließ für seine Schwester in der Landschaft seiner Kindheit einen riesigen Kegel bauen, der so vollkommen war, dass der Anblick ihr den Tod brachte. Daraufhin erhängte er sich. Ein Freund, gerade aus dem Sanatorium entlassen, sichtet den Nachlass. Bernhards inhaltlich und sprachlich konsequentestes Werk. MB

„Beton“ (1982)

Ein Lamento auf Mallorca: Die Studie über Mendelssohn-Bartholdy will nicht gelingen, die Schwester bedroht die labile Gemütsruhe. Auf der Insel räsoniert der Erzähler über Österreich und Pharmazie, Stadt und Land -und begegnet einer Verzweifelten, deren Mann sich vom Balkon gestürzt hat. AW

„Wittgensteins Neffe“ (1982)

Ein zartes Requiem für den verrückten Verwandten des Philosophen Ludwig Wittgenstein, der in seiner besten Zeit über Wiener Opern-Premieren entschied und dem Erzähler beim „Bezichtigen“ von Passanten assistierte. Auch ein Bericht über Geisteskrankheit und Entfremdung. AW

„Alte Meister“ (1985)

Nach dem Tod seines „Lebensmenschen“ Hedwig Stavianicek schrieb Bernhard angesichts des „Weißbärtigen Mannes“ von Tintoretto dieses letzte zornige Manifest über Geistes-Existenz, die sogenannten einfachen Menschen und die Kunst, die uns nicht vor der Einsamkeit rettet. AW

Ein Artikel aus dem RS-Archiv

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