Short Cuts :: VON HOTTMANN, BORCHOLTE, WILLANDER

Zuerst Absolute Beginner, jetzt KINDERZIMMER PRO-DUCTIONS, demnächst Massive Töne: Nach dem Erfolg des hiesigen HipHop auf der breiten Ebene von Rap-Balladen und Spaß-Reimen haben nun der Underground und die Major Companies zueinander gefunden. Womöglich ein Marsch durch die Institutionen, allemal aber ein so ernsthaft betriebener wie ironisch reflektierter Aufbruch in die vergiftete Stratosphäre der Charts. Ob „Die hohe Kunst der tiefen Schläge“ (Sony Music/Epic), mit der sich Quasimodo und der Textor auf den entscheidenen Fight vorbereitet haben, ihnen zu einem Punktsieg verhilft, bleibt offen. Mit Muhammad Ali auf dem Cover geht die erste Runde jedenfalls klar an die beiden Maulhelden. Ihre Beats sind von alter Schule, prasseln hart, unberechenbar und trefflich. Auch verbal geben sie der Konkurrenz reichlich auf die Fresse, und spätestens mit „1-2-3-4“ ist jeder deutsche MC ausgezählt: ein muskulöses Bass’n’Breakdance-Stück mit Referenzen an Cypress Hill und die Beastie Boys, dessen Loops dynamisch voranmaschieren. Eigenwillige Champions – also wohl ewige Talente.

Wer über Weihnachten in Dänemark verweilte, wird im lokalen Radio sicher reichlich von ihr gehört haben: SOLVEIG heißt der beste (und heißeste) Export aus dem hohen Norden seit den Cardigans. Gewisse soundmäßige Ähnlichkeiten zwischen Solveigs Album-Debüt ^Analog“ (RCA/BMG) und einschlägigen Werken der Schweden erklären sich natürlich durch den gemeinsamen Produzenten Tore Johansson, der erneut gekonnt mit Beat und Easy Listening jonglierte und aus den betörend swingenden Eigenkompositionen der Sängerin ein weiteres Glanzstück skandinavischer Retro-Pop-Kunst fabrizierte. Analog“ vereint Stil und Eleganz mit Leichtigkeit und Biß.

i^3 Der nächste grob g ße Wurf von Alan McGee? Ablösung für Oasis? Mumpitz! THREE COLOURS RED klingen auch auf ihrem (in England) lange erwarteten zweiten Album „ÄevoÖ Ä (Creation/Epic) bloß wie mittelprächtige Clash-Kopisten. Doch erfüllen die Briten diesen Job mit einer Energie, die manch anderer Combo derzeit fehlt Dafür Respekt An Energie mangelt es auch nicht den Hamburger Rodcern von SUPER-PUNK. Ohne das sprichwörtliche Blatt vor den Mund zu nehmen („Ich bin ein Snob“), läßt sich das lässige Quartett auf „A bisseri was geht immer“ (Fidel Bastro/EFA) über das Für und Wider des alltaglichen Abstrampeins aus. Einflüsse: Alles zwischen Sex Pistols, Booker T. und Eddie Cochran.

Vermehrt aufs Unbehagliche setzt mutig der DREAM CITY FILM CLUB. Auch wenn auf»/« The ColdLight Of Moming“ (Beggars Banquet/PIAS) die beim Vorgänger unterschlagenen plakativen Punk-Roots und Stooges-Imprints durchschlagen, liegt die Kunst des Londoner Trios noch immer im Erschaffen einer unterschwelligen musikalischen Klaustrophobie. Der schauderhafte Sound of Unwohlsein.

Ebenfalls nicht besser gelaunt, dafür aber etwas munterer präsentieren sich GRAVITY KILLS auf ihrem zweiten Album^ftnwsibn „(Dragnet/Sony). Apokalyptischer Industrial-Rock mit eindeutiger EBM-Herkunft bricht sich mit brachialer Computermacht seinen Weg durch eine Handvoll Songs, die zwar von Roli Mosimann (The The, Faith No More) produziert wurden, aber eher selten über die Gewalt Trent Reznors, den Charme Marilyn Mansons oder die Verschrobenheit von God Lives Underwater verfügen. Nettes Album, aber ohne nachhaltigen Effekt An dem Gitarrenpop des Quartetts GESCHMEIDO ist wenig auszusetzen. Auf, ^wischen den Mahlzeiten“ (Community/Virgin) spielen die Freiburger mit subtilem Rhythmus, feinen Melodien und verhuschtem Jungsgesang eine von den Sixties (und Sonic Youth) inspirierte Leichtigkeit der Melancholie, die mit dem Titel bereits exakt beschrieben ist Vor lauter Harmonik auf Dauer etwas harmlos.

Dunkel munkelte Peter Heppner zuletzt mit Joachim Witt über „Die Flut“, und erschüttert verfolgte man, wie sich Anachronismus und Apokalypsegebaren zum Zeitgeist-Mumpitz befruchteten. Ein Hort des Stillstands ist auch Heppners WOLFSHEIM -getarnt als Erlösungs- und Neutöner-Vision. Auf“5/Jecta/ors“(Strange Ways/ Indigo) erheben sich noch einmal die Achtziger, werden Depeche Mode geradezu geklont, rollen die Bässe zu orchestralem Gesäusel und lustvollem Schmerzenspathos. Mit „It’s Hurting For The First Time“ wurde folgerichtig Detlev Bucks plakative Film-Parabel „Liebe Deine Nächste!“ unterlegt, in der Luzifer mit der heiligen Jungfrau flirtet. Gäbe es fast am Ende nicht den Gitarren-Electro-Kracher „Heroin, She Said“, müßte man den altbackenen Mephisto Heppner sofort ins Verließ der Popgeschichte stürzen.

Manchmal lassen THE SWISS FAMI-LY ORBISON die Gitarren scheppern wie der Teenage Fanclub, erweisen sich mit einem melancholischen Song wie J Don’t Know What To Say“ jedoch auch als schottischer American Music Club. Zwischen Americana und Beat, R.E.M. und Del Amitri musiziert die Band aus Dundee auf ihrem selbstbetitelten Debüt (Haven Records) elegische Songs mit kauzigen Untertönen, in denen die Sehnsucht so weit ist wie der Himmel über den Highlands.

TRITOP machen nicht TripHop. Auf ^Jaseww’nfo/’*(Infracom!) hat das Berliner Trio auf Drum’n’Bass-Basis mit Dub, Club-Sounds und Jazz einen flirrenden Electro-Pop entwickelt, der jede Phantasie beim Hören zuläßt Im Jahre Eins vor 2000 allen Ernstes auf Einflüsse wie Led Zeppelin, U2s Joshua Tree“ und Achtziger-Jahre-Metal zurückzugreifen, ist nicht nur ein Armutszeugnis, sondern grenzt vor allem an totale Selbstdisqualifikation. Die nunmehr als geschmacksverwirrt Denunzierten heißen CANDLEBOX und outen sich mit ihrem unsäglichen Machwerk namens „Ha/jpyJV&^Maverick/WEA). Wenn Rock’n’Roll stirbt, dann so.

Ray Wilson, untalentierter Sänger erst von Stiltskin, dann bei Genesis, nennt sich jetzt CUT – und klingt auf „Millionairhead“ (Virgin), als wäre er direkt an die Lunge von Bryan Adams angeschlossen. Doch sogar der macht heute inspiriertere Musik.

Der Humor von NIK KERSHAW ist bewundernswert Nach der verdienten Pause trieb das Gewese um die Achtziger den Zuckerbäcker wieder ins Aufnahmestudio, und die neue Platte hat er souverän ^5Minutes“(edet) betitelt Das ist auch ungefähr die Halbwertzeit dieser trefflichen Radio-Schlager.

Während Tom Jones unlängst wieder 13 Stunden Sex bewältigt und dabei gesungen hat, sorgt man sich seit einem Schwächeanfall während eines Konzertes um ENGELBERT HUMPER-DINCK. Das elektronische Viagra“7%e Dance Album“ (Interhit/Arcade), auf dem seine Biedermannhits zu mickrige Euro-Dance-Beats zuckeln, werden diesem konfektionierten Barden auch nicht wieder hochhelfen.

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