Shotgun Love Songs :: Nickolas Butler
Am Anfang steht ein Zitat aus Bonnie ‚Prince‚ Billys „I See A Darkness“:“Well I hope that someday buddy/We have peace in our lives/ Together or apart/Alone or with our wives …“- und das trifft auch schon den Kern des Debütromans von Nickolas Butler. Es geht um Freundschaft und Liebe, Untreue und Erwachsenwerden. Im Mittelpunkt stehen die Mitt-30er Henry, Lee, Ronnie und Kip. Alle vier sind Freunde seit Kindertagen, in Little Wing, Wisconsin aufgewachsen und kreisen noch immer um das kleine Kaff. Lee, dessen Geschichte Butler wohl teilweise der seines Schulfreundes Justin Vernon alias Bon Iver nachempfand, ist ein unter dem Namen Corvus berühmter Musiker und hat in einer alten Hütte ein mittlerweile legendäres Album titels „Shotgun Lovesongs“ aufgenommen.
Aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt Butler von den Versuchen der vier, ihren Platz im Leben zu finden, von Hochzeiten und Geburten, von Trennungen und Versöhnungen, vor allem aber von der Magie des verschlafenen Ortes Little Wing, dort, so bemerkt Lee nach einer Rückkehr aus New York, „spult sich die Zeit unendlich langsam ab, wird jeder Augenblick sorgfältig verteilt, als sei er ein köstlicher Nachtisch, den wir uns auf der Zunge zergehen lassen“. Am Ende ist dieser romantische, sentimentale, berührende Schmöker einem Springsteen-Song vermutlich näher als dem tiefschwarzen Existenzialismus von Bonnie ,Prince‘ Billy.
(Klett Cotta, 19,95 Euro) MAIK BRÜGGEMEYER
Ian McEwan
Ian McEwans „Honig“ tarnt sich als Geheimdienst-und Liebesroman in Zeiten eines ideologisch und wirtschaftlich erschütterten Großbritanniens Anfang der 70er-Jahre. Und ist in Teilen auch „verzerrte Autobiografie“ über erste erzählerische Versuche an der Uni, wie es ausgerechnet der Autor selbst in einem Interview zu Protokoll gab. „Nur leider kam bei mir keine schöne Frau ins Zimmer und bot mir ein Stipendium an.“
Serena ist es, die da anklopft, eine mittelmäßige Mathematik-Absolventin, die im Auftrag des Inlandsgeheimdienstes MI5 den aufstrebenden Autor Tom infiltrieren soll. Die eigens zu diesem Zweck eingerichtete Stiftung möchte vermeintlich antikommunistisch eingestellte Schriftsteller gewinnen -von ihrer perfiden Propaganda-Unterstützung dürfen diese naturgemäß nichts wissen.
Geheim halten lässt sich allerdings nicht, dass McEwan – wie auch mit „Abbitte“ – wieder einen Roman geschrieben hat, der sich vor allem um die Literatur und das Lesen an sich dreht: Serena sagt, sie möge „Bücher, in denen das Leben, so wie ich es kenne, beschrieben werde“. Tom sagt, „ohne literarische Kniffe lasse sich das Leben gar nicht beschreiben“. Ein Krieg zwischen Realismus und Modernismus. Zu sagen, welche Perspektive des Lesens hier am Ende die überzeugendere ist, hieße, den Kniff dieses makellos komponierten Romans zu verraten. (Diogenes 22,90 Euro)
Daniel Kehlmann
Mit seinem Ein-Buchstaben-Titel reiht Kehlmann sich bei den ganz Großen ein: Thomas Pynchon („V“), John Updike („S.“) und natürlich Orson Welles. Sein brillanter Film-Essay „F for Fake“ ist hier die wichtigste Referenz, denn um Fälschungen geht es auch in Kehlmanns „F“. Doch der Buchstabe repräsentiert auch Fatum und Finanzen, Fehlbarkeit und nicht zuletzt die Familie Friedland, denn denn die steht im Mittelpunkt -genauer gesagt: ihre männlichen Vertreter. Arthur Friedland ist ein erfolgloser und nicht besonders ambitionierter Schriftsteller. Er hat einen Sohn namens Martin mit einer und die Zwillinge Iwan und Eric mit einer anderen Frau gezeugt. Die Einflüsterungen eines mephistophelischen Hypnotiseurs lassen ihn seine Familie(n) verlassen und sich ganz dem Schreiben widmen. Für seine drei Söhne ist er nur mehr eine teuflische Spur, die er mit seinen Texten hinterlässt. Jahre später ist Martin ein dicker, ungläubiger Priester geworden, Eric ein paranoider Vermögensberater und Betrüger mit Familie und Iwan ein homosexueller Nachlassverwalter und Kunstfälscher. Sie haben sich eingerichtet in ihren falschen Leben -doch ein Tag, an dem sich die Schicksale der drei durch Zufall treffen, verändert alles.
Bei dem Tempo, mit dem Kehlmann Anspielungen und postmoderne Finten abfeuert, merkt man zunächst kaum, dass man hier einem einfachen, aber gekonnten Taschenspielertrick auf den Leim geht.
(Rowohlt, 22,95 Euro) MAIK BRÜGGEMEYER
Clemens Meyer
Seine Wucht spürt man schon, wenn man den Roman in die Hand nimmt: Ein Koloss, 558 Seiten stark, das Cover gestaltet wie ein Edgar-Wallace-Schocker mit Pinselschrift und suggestivem Auge.
Dass Clemens Meyer ein Großer der kleinen Form ist, wissen wir seit seinen fulminanten Kurzgeschichten (und der Kraftklub-Reportage für den ROLLING STONE). Dass er Roman kann, hat Meyer mit seinem Debüt „Als wir träumten“ gezeigt. Und jetzt dieser Brocken: Ein düsteres deutsches Sittengemälde aus den Zimmerpuffs, Großbordellen und Straßenstrichen der Republik, vornehmlich Leipzigs und Berlins, so beklemmend nah und illusionslos, dass einem der Atem gefriert. Wenn die Prostituierte vor dem Fenster mit dem trostlosen Blick über Kunden und Kindheit sinniert oder der Zuhälter in seinem Slang, dann liest sich das wie die Mitschrift eines O-Tons aus einer hervorragend recherchierten Fernsehdokumentation -allerdings im Meyer-Remix, featuring die poetische Kraft seiner Sprache. Personen, Perspektiven, Passanten wechseln in schneller Folge, wie Gewalt auf Fremdbestimmung, Humor auf Härte und fast fotografischer Realismus auf magische Sequenzen, wie die viele Kälte auf das bisschen Herzenswärme.
Deutschland als Bordelllandschaft. Hier schreibt einer, der mehr sieht und mehr kann als andere. Und eine Sprache findet, die unerhört ist -klar, scharf und warm.
(Dumont, 19,99 Euro) SEBASTIAN ZABEL