Steinbruch :: KURZBESPRECHUNGEN

Mancher Künstler wurde erst durch Aids bekannt – oder gar zum Gesamtkunstwerk. Andere spielen gegen das Virus an. Die Red Hot-Organisation ist anständig, und der Jazz-Hop auf ihrem neuen Projekt „Stolen Moments“ ein exzellentes Resümee von Fusionisten, die sich im Frühjahr dieses Jahres zu einem Konzert trafen – darunter Gang Starr-Rapper Guru mit Donald Byrd und Ronny Jordan, MC Solaar mit Ron Carter, Me’Shell NdegeOcello mit Herbie Hancock, Roy Ayers, Branford Marsalis, Us 3 und den Digable Planets. Gib Aids keine Chance oder: Wie cool sind Kondome?

Schwülstiger und feister geht es ja nicht mehr, aber mit Merryah feiern wir gern Weihnachten, fahren wir gern auch Schlitten. Der Erfolg der Carey beruht darauf, daß sie kollektive Emotionen noch einmal verallgemeinert und öffentlich macht Den Weihnachtskitsch nimmt sie ganz, ganz ernst: das Santa-Claus-Kostüm, die Rentiere, das Häschen, den falschen Schnee, ,Jesus Born On This Day“. Schaut aus und klingt wie der perfideste Traum von JeffKoons. Heilige Einfalt & Frohe Weihnacht.

Nach der Flucht aus der Drogenhölle hat Chris Reed – früher Chef von Red Lorry Yellow Lorry ein verblüffend gelassenes Gitarrenrock-Album hingekriegt. Mit „Birthday Skin“ bezieht sich der Gitarrist auf Iggy Pop und entgeht dem geschmäcklerischen Gedunkel der Sisters Of Mercy. Seine Fassung von John Lennons „I Found Out“ atmet denselben Triumph über die destruktive Verfallenheit.

Wer in den Achtzigern, dem sogenannten „Spaßjahrzehnt“, aufwuchs, dem steigen Tränen der Erkenntnis in die Augen. Spaß? Never! Sogar „John Wayne Is Big Leggy“ von den grandiosen Haysi Fantayzee war der verzweifelte Versuch, die Leere mit Blödelei aufzufüllen. Corey Hart, Midge Ure, Pat Benatar und, am schönsten, der unvergessene Max Werner mit dem stoischen „Rain In May“ erklären nachträglich, weshalb Cobain nötig war. Die junge Kim Wilde wußte schon 1981: „You know life is cruel, life is never kind.“ Neverending Eighties.

Vor ungefähr 20 Jahren fiel Mike Oldfield eine Musik ein, die damals wichtig war. Seit ungefähr 20 Alben fällt ihm außer geblähtem Gesummse nichts mehr ein. Diesmal vertonte Oldfield einen Science-fiction-Roman von Arthur C. Clarke. Ebenso zwingend wäre es, einen Song-Zyklus für Jacobs-Kaffee zu komponieren. Das kommt davon, wenn es einem zu gut geht.

„In 1968“ heißt der erste Song, und das ist auch der Angelpunkt dieser emphatisch-besinnlichen Folk- Musik. Malcolm Le Maistre gehörte Ende der Sechziger zum Kreis um die Incredible String Band, wurde dann Mitglied und spielte auch mit Fairport Convention; dann war er über Jahre verschollen. Nun ist eine Art von Debüt-Album erschienen: Zwar schreibt Le Maistre nicht so aufregende Songs wie Richard Thompson – aber altersweise Liedermacherkunst verdient immer Respekt.

2,0 THE SNAKE

Der Saufnase Shane MacGowan ist am Tresen eine neue Platte eingefallen. Darauf nölt der Ertrinkende, klar, wieder Kneipenfolk und Gossenballaden, von „That Woman’s Got Me Drinking“ und „Victoria“, die ihn „down the dirty old street“ im Opiumrausch verlassen hat. Dabei begleiten ihn die Popes wie einst die Pogues. Shanes sentimentale Schnaps-Poesie und sein romantisches Verlierertum sind zahnlose Selbstzitate. Aber der Mann kann halt nichts anderes. Fast sollte man Mitleid haben.

Wer alles kennt, der greift zu Tortoise. Dem Ensemble gehören Mitglieder der apokryphen Avantgarde-Bands Bastro, Gastr Del Sol, The Sea And Cake und Eleventh Dream Day an, die aus Kennerschaft und Verzweiflung über die Stupidität von Rock das Vokabular moderner Musik ausloten. Wenn schon Chicago-Szene, dann Tortoise. Aus Dub, Jazz und Freistil schafft das Kollektiv einzigartig tautologische Klang-Architekturen. Die Zeitschrift „Spex“ dankt den Musikern für ihre Waghalsigkeit, aber die Masse begreift das Lob nicht. Natürlich wird die Welt wieder nicht zuhören. Aber was weiß die Welt!

Machine Head haben kein Lächeln für diese Welt. „This world does not want me/ This world does not care/ And I’m a product of this world/ This pain will never leave me“, grölt Robb Flynn. In ihrer Welt ist mal wieder „A Nation On Fire“, gelten der Femeschwur „Blood For Blood“ und der darwinistische Slogan „Only The Strong Survive“. Der Trivialität und Tautologie ihres kruden Kettensägenmassakers aus Death Metal und Hardcore entgehen die vier Grebos aus Oakland mit zuweilen geschickten Riffs und dramaturgischen Pausen.

Auch in der Welt von The Tragically Hip sieht es traurig aus. Woran leidet Gordon Downie? „I can’t imagine how you feel and this is how you feel.“ Der Sänger erzählt von den Tücken des Lebens, seinen Träumen und Tagträumen. Auf „Day For Night“ hat er seine Verwirrung gepreßt. In der Rockmusik der Kanadier schwingen träge Spannung, Riffs von sanfter Schroffheit und melancholisches Feedback, was an ihren Landsmann Neil Young gemahnt.

Daß es in Deutschland auch Jazz jenseits von folker Kriegel und Max Greger gibt, war lange ein Geheimnis. Die Jazzkantine, ein Zusammenschluß von undogmatischen Musikern aus den Genres Jazz und HipHop, befreit die Musik vom Dünkel der Bescheidwisser. Michael Naura staunt. AW

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