Steve Wynn – Melting In The Dark

Die Produktivität des ehemaligen Dream Syndicate-Chefs nach Adoleszenz und konsequentem Band-Split mit dem Attribut „rastlos“ zu versehen, ist gewiß keine Übertreibung. Dennoch schien dabei alles stets wohlüberlegt. Bemüht, nicht noch einmal in die alten Fallen zu tappen, suchte sich Steve Wynn in den letzten Jahren immer wieder neue Konstellationen, die ihn heraus-, aber nicht überforderten: Identitätskrise, qu’est que c’est? „Melting In The Dark“, eingespielt mit der Bostoner Gitarren-Band Come in einer optimalen Backing-Rolle, folgt seiner eigenen Devise, wonach seine Hobby-Band Gutterball für komische Scharlatanerie und pechschwarzes Rollenspiel zuständig sei, während die Solo-Werke eher persönlichen Befindlichkeiten nachspüren.

Was bei Wynn noch nie mit selbstgefälliger Bauchpinselei einherging. Das ausgelassene und damit hier eher atypische „The Angels“ kehrt die Scherben einer gescheiterten Beziehung – und die späte Einsicht dazu – ganz allgemeingültig zusammen. Dem Engel vor dem Fall („Epilogue“) ist Wynn genauso nahe wie dem danach („Shelley’s Blues, Pt.2“). Und selbst der lakonische Masochismus von „The Way You Punish Me“ klingt in seiner unnahbaren Kühle eher wie eine Versuchsanordnung denn wie ein Selbstversuch.

Auf „Fluorescent“ hatte Wynn 1993 deutliche Züge von einsetzender Altersweisheit an den Tag gelegt. „Oh, it’s not so bad what you had to face in the mirror“, hieß die versöhnliche Schlußzeile des kaum zufällig zentralen Titels „Older“. Jetzt wirft der Blick in den Spiegel eher wieder Fragen auf. Und es sind nicht die angenehmsten: „Darling, is it known why anyone should end up all alone?“

Oder: „What makes you think that it will get any better than this?“ Oder, einfach und radikal: „Why?“ Antworten? „There’s no answer“, schließt Wynn.

Der veränderte Blickwinkel geht einher mit strenger, stilistischer Präzision, gerade im Vergleich zur heiter-überdrehten Session-Laune bei Gutterball. Kein Zufall sicherlich, daß gut die Hälfte der Songs deutlich unter drei Minuten bleiben. Come erweisen sich in diesem Zusammenhang als Glücksgriff: Von dem ebenso kraftstrotzend wie flüssig-elegant aufspielenden Trommler Arthur Johnson konstant unter Druck gesetzt, verhilft das Quartett Wynn wieder zu psychotischem Drive, selbst da, wo es nicht explizit gloomy zugeht. Und die eine oder andere Arrangement-Nuance fällt dabei auch noch ab, meist im Zusammenhang mit Thalia Zedeks zweiter Stimme. Man höre etwa die vertrackte Chor-Konstruktion in „Shelley’s Blues, Pt2“.

So gelingt es Steve Wynn mit „Melting In The Dark“, alte Tugenden in eine neue Zeit zu überführen, ohne sich dabei bequem in bloßen Reminiszenzen zu ergehen. Respekt.

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