Take That :: Progress

Nur eine Ballade, dafür viel Disco-Pop: Take That wollen mit Robbie Williams tatsächlich Spaß haben.

Das Album, auf dem nach 15 Jahren Robbie Williams und der Rest von Take That wieder zusammenfinden, beginnt mit der Single „The Flood“ und den Worten „Standing on the edge of forever/ At the start of whatever/ Shouting love at the world“. Das Leben von Take That in drei Zeilen: irgendwie unsterblich, Zukunft ungewiss, Liebhaben erwünscht. Man hört Robbie, man hört Gary Barlow, es ist wieder Anfang der 90er-Jahre. Perfekte Popmusik, die nichts sagt, das aber mit Nachdruck. Dance, lights, faith, das sind die Koordinaten. Fette Refrains, dann ein Donnergrollen, das gleich zum nächsten Lied überleitet.

„SOS“ klingt wie ABBA mit Migräne-Wut in der 80er-Jahre-Großraumdisco – die Stuart-Price-Produktion entfaltet sich hier mit voller Wucht. Erst beim zweiten Hinhören merkt man, dass es um Umweltverschmutzung geht. „Wait“ beginnt mit Streichern, aber dann setzt schnell wieder der Wummer-Beat ein – ausgeschmiert! Keine Ballade, ein Midtempo-Stück, das ein bisschen auf der Stelle tritt. Auf dem Flur der Plattenfirma, bei der das Album angehört werden darf (vorab keine Kopien, dies ist schließlich ein Großereignis der Popgeschichte!) tanzen die Angestellten schon Walzer. Und doch fragt man sich: Wo zum Teufel ist Gary Barlow? Wo sind die Tränenzieher?

Aber Take That machen keine Kompromisse: Sie ziehen das Disco-Ding konsequent durch. Bei einigen Songs gelingt das mit einem Schwung, den man diesen fast 40-Jährigen beinahe nicht mehr zugetraut hätte: Die lustig finstere Zukunftsvision „Kidz“ klingt wie eine Oper im Tanzpalast, das fast unheimliche „Pretty Things“ beleiht David Bowie in seiner verführerischsten Phase. Da scheint sich ein Triebtäter – oder ist es doch nur ein Popstar? – an all seine Eroberungen und noch mehr Verlockungen zu erinnern, gipfelnd in der Erkenntnis: „God I love those hips!“

Bei anderen Liedern – dem narkotisierten „Happy Now“ oder der hemmunglosen Boy-meets-girl-Nummer „Underground Machine“, bei der man plötzlich an die längst vergessenen Dead Or Alive denken muss – drängt sich ein Gedanke auf: Für solch ironische Disco-Nummern werden doch die Pet Shop Boys geliebt! Nun sind Tennant und Lowe vielleicht subtiler, subversiver auch, aber andererseits: Was ist subversiver, als sich so aus den Erwartungen seiner Hörer herauszuwinden und freizustampfen? Take That haben nicht den einfachen Weg gewählt: zehnmal „Back For Good“-artigen Pop aufzunehmen und die große Versöhnung mit allzu erwachsener Popmusik zu feiern. Sie wollen offensichtlich tatsächlich Spaß haben.

Ausgerechnet der beste Sänger der Band, Mark Owen, zeigt sich bei seinem Schmerzensstück „What Do You Want From Me?“ übermotiviert: Wie der Betrüger da die Ex-Frau trotzig um eine gemeinsame Zukunft anbettelt, das ist etwas zu realitätsnah. Dafür bekommt ganz am Schluss Gary Barlow doch noch seine großen fünf Minuten: Schallplattengeknister setzt ein, ein Klavier. Barlow erzählt von der Vergangenheit – „you can look back, but don’t stare!“ – und worauf alles hinausläuft: „Eight letters, three words, one meaning“. So halten Anfang und Ende das Album zusammen. Ein „Progress“ ist es vielleicht nicht, aber die Chance für alle Ü30-Jährigen, doch noch mal tanzen zu gehen, ohne sich zu genieren. (universal) birgit fuss

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