The All Seeing I – Pickled Eggs And Sherbet :: Eine Hommage an Sheffield mit Jarvis Cocker, Tony Christte, Babybird

London mag den Swing haben, Liverpool den Beat und Manchester auf alles eine Antwort. Sheffield hat nur die Stahlindustrie, deren beständig über der Stadt hängende Rußglocke auf die Geister und Gemüter drückt Und der Seele wenig Perspektive lässt: „My Standards have fallen, my values have dropped, but I won’t shed a tear“, heißt es gleich im ersten Song dieses ganz und gar außergewöhnlichen Albums. Tony Christie singt ihn, eine dieser typischen Sheffielder Outsider-Biografien. Dieses Album ist voll davon. Voll gebrochener Herzen und gebrochener Identitäten.

Wer das Trio The All Seeing I vor allem durch den ja auch von unserem Sonnenschein Britney Spears gecoverten Hit „Beat Goes On“ kennt, wird von „Pickled Eggs And Sherbet“ doch einigermaßen überrascht sein. Zumal es schon ein kleines Wunder ist, dass diese Platte überhaupt in Deutschland erscheint – einen Jahrtausendwechsel und mindestens drei britische Club-Trends nach der Veröffentlichung in ihrer Heimat Der zeidosen Grazie von „Pickled Eggs And Sherbet“ soll dies freilich keinen Abbruch tun. Und für den in mancherlei Tragödien geübten Sheffielder ist es im Grunde auch nur eine mehr. Frag nur mal Tony Christie, der seit 30 Jahren den Weg nach Amarillo sucht – und doch nie über den Pier von Blackpool hinausgekommen ist.

Lustig ist das nicht. Und jeder Ironieverdacht ausgeschlossen. Das Sympadiische an dieser wundervollen Hommage an den tristesten Reck Britanniens ist ihre unaufdringliche, nordenglische Smartness. Eine leise, für ein – und das ist es trotz allem – Dance-Album nicht alltägliche Größe und Erhabenheit Die Gastvokalisten werden mit Würde und Respekt behandelt. Der Begriff Kult ist völlig unangebracht.

Neben Tony Christie, diesem obskuren Loungeroom-Lizard, ist auch der angegraute Dandy Phil Oakey dabei, das schrullige Genie Baby Bird, der spleenige Pulp-Sänger Jarvis Cocker. Ein Who is Who der Sheffielder Pop Historie. Komische Käuze und Zukurzgekommene allesamt. So schön wie Oakey in „Ist Man In Space“, einer drogenumwölkten Rückschau auf seinen verblichenen 15-Minuten-Weltruhm, hat lange keiner das Scheitern besungen: „I was floating like god in his heaven/ High in the stratosphere/ Darling come quick you can see our house from here.“

Und musikalisch auch nur vermeintlich weit voneinander entfernt: Crooner-Swing, Elektro-Pop, klassisches Songwriting, Rock-Dramarama – der allen Songs eigene Hang zum Tragischen und eine selbst die puren Dance-Tracks umflorende bittersüße Schönheit versöhnen hier selbst die unterschiedlichsten Pop-Entwürfe. Natürlich auch die Segnungen der DJ-Kultur „Pickled Eggs And Sherbet“ ist geradezu ein Lehrstück postmodernen Pop-Schaffens. Ein bleibendes Denkmal für Sheffield ist es ohnedies. Dankenswerterweise hat man auf das Krächzen eines anderen Sohnes der Stadt mit Namen Cocker verzichtet.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates