The Rolling Stones – Forty Licks

Es stimmt schon: Funny how time slips away. Am Ende muss man sich hier mit dem Gedanken anfreunden, dass Chuck Berrys vielleicht gelehrigster Schüler seine Musiker-Karriere als Crooner beschließt und dem ganzen Rock’n’Roll ade sagt. Als großer Country-Music-Fan im allgemeinen und der von George Jones ganz besonders hatte sich Keith Richards ja schon viele Jahre zuvor geoutet Darum durfte unter diesen „Forty Licks“ natürlich auch „Wild Horses“ nicht fehlen, obwohl das – 1971 – ein großer Song, aber trotzdem so ziemlich der bescheidenste unter den Greatest Hits der hier getroffenen Auswahl war.

Bei „Losing My Touch“ hat das Piano ganz leicht einen über den Durst getrunken, Keith vorher mit Sicherheit auch ein paar Gläser Wodka-Orange, eine Gitarre schluchzt hinten links gerührt mit, und der Sänger fürchtet ernstlich und durchaus glaubwürdig, langsam „out of time“ oder „…touch“ zu sein. Eine klassische Situation, bekannt aus so vielen Country-Songs. In der Interpretation von Tom Waits hätte man bei dieser Ballade wohl noch mehr die Gebeine des immer näheren Sensenmannes klappern gehört. Mit dessen „Bone Machine “ hat dieser Song jedenfalls mehr gemeinsam ab mit bekanntem Stones-Liedgut. Repräsentativer dafür ist da schon „Don’t Stop“, eine Rückkehr zu den Jahren von „Sticky Fingers“ bis „It’s Only Rock’n‘ Roll“. Ein Wiedergänger halt, und ein schönes Mick-Taylor-Solo muss man sich dazudenken. Aber so angenehm altmodisch in den Ohrwurmqualitäten, dass das in der aktuellen Hitparaden-Landschaft schwerlich vorstellbar ist. Gilt auch für die Soul-Ballade „Keys To Your Love“, die man sich problemlos auf einer der Platten aus den besagten Jahren vorstellen kann. Was der Midtempo-Rocker „Stealing My Heart“ aber mit Garage zu tun haben soll (was Jagger angeblich so sieht), entgeht mir. In der Disziplin sind die Vines heute um einiges besser, Datsuns und andere entschieden rabiater. Wahr ist aber auch: Der wäre vermutlich zum besten Song auf „Dirty Work“ erklärt worden, hätte die Band den damals dafür aufgenommen.

Von dem Album gibt’s auf diesem Doppelset nicht eine einzige Aufnahme. Zu Recht. Da fehlen eh schon so viele der allerbesten von ganz großen Platten, dass man – möglicherweise auch nur aus Rücksicht auf die erwarteten Tantiemen? – gnädigerweise darauf verzichtete, den Top-Hit „Harlem Shuffle“ mit auszuwählen. Etwas bizarr ist hier, vorsichtig ausgedrückt, das Sequencing. Bei den 20 Aufnahmen der Decca-Ära auf der ersten CD mehr noch als bei den folgenden ab 1971. (Nur das gänzlich anachronistisch auf „Start Me Up“ folgende „Brown Sugar“ verirrte sich wohl aus ganz anderen Gründen auf die zweite CD. Schwamm drüber.) Diese Zeitreise ist ein bisschen wie eine musikalische Achterbahnfahrt, etwa wenn die lange LP-Fassung von „You Can’t Always Get What You Want“ zwischen Jumpin’Jack Flash“ und „19th Nervous Breakdown“ gequetscht wird oder „She’s A Rainbow“ zwischen „Mother’s Little Helper“ und „Get Off Of My Cloud“. Natürlich kein einziger mediokrer Song hier, aber der Unterhaltungswert der da getroffenen Abfolge will sich mir einfach nicht so recht erschließen. Der auf der zweiten CD schon eher, obwohl es bei Licht betrachtet Nonsens war, die vier Neuaufnahmen nicht konsequent zum Schluss zu bringen, und sei es auch nur zu dem Zweck gewesen, den Beweis anzutreten, dass alte Säcke doch mit Würde altern können.

Was jeder gestandene Stones-Fan allerdings verärgert registrieren müsste, ist die Tatsache, dass man besagtes „It’s Only Rock’n’Roll“ schnöde um eine Minute kürzte, sieben weitere Oldies der zweiten CD ebenfalls um zwanzig Sekunden bis zu – im Fall von „Emotional Rescue“ – schlappen zwei Minuten! Dieses rüde vorzeitige Ausblenden oder das digitale Rumschnipseln beim Rap von „Anybody Seen My Baby“ ist nicht die feine Art, nur weil man partout forty licks bringen wollte, aber brav das von Philips/Sony diktierte Zeit-Limit einhalten musste. Anders als bei den Decca-Remasters findet man auf der ersten CD manche Aufnahmen in Mono- statt in verfügbaren Stereo-Mixes. Auch „Ruby Tuesday“, „(I Can’t Get No) Satisfaction“, „Paint It Black“ und „Let’s Spend The Night Together“. Dass es sich bei den Antiquitäten auf CD 2 wie im Kleingedruckten behauptet um brandneue Überspielungen von Stephen Marcussen handeln soll, muss man wohl irgendeinem Setzer als Fehlinformation anlasten. Produzent Don Was versicherte Bob Ludwig höchstpersönlich, dass man dafür alle seine prima Remaster verwendet habe.

Profundere Liner Notes als die hier hätte man sich doch gewünscht.

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