The Rolling Stones – Live Licks

Das Zunge-reitende Manga-Mädchen auf dem Cover gibt es oben ohne oder mit Bikini-Oberteil. Damit das scharfe Ding bei Bedarf auch in den Schaufenstern von Palermo, Salt Lake City und Oberammergau keinen potenziellen Kunden verschreckt. Produkt-Management im globalen Maßstab. Früher hätten die Stones so einen Kompromiss nie mitgemacht, sagen die Nostalgiker. Nun, früher war ein Live-Album der Stones auch noch ein Ereignis, ein offizielles Ton-Dokument das neben Dutzenden von Bootlegs zu bestehen hatte. Heute ist es der Wurmfortsatz einer multimedialen Komplettauswertung.

Zuerst wurde das wachsende Heer der Musik-Glotzer bedient Leute, die bewegte Bilder zur Musik brauchen, die gerne clicken und clacken. Leute, die Musik als Unterhaltungsangebot verstehen, das durch visuelle Begleiterscheinungen aus TV oder Computer gewinnt. Nach der Denaturierung des Hörens durch Digitalisierung nun die Degradierung von Musik zum Nebengeräusch. Kurzum, die DVD läuft den reinen Tonträgern langsam den Rang ab. Eine insofern nötige Vorbemerkung, als „Live Licks“ nicht viel mehr ist als die Audio-Ausgabe der DVD „Four Flicks“, von ein paar unterschiedlichen Takes abgesehen.

Zum Inhalt: Album 1 enthält die Evergreens, Album 2 die „obskuren Tracks“ (Pressetext) wie „Beast Of Burden“ oder „Rocks Off“. In Versionen, die im Konzert-Kontext allemal begeistern. Weil sie da von Getöse und Spannung leben, von Schmodder und jenen beglückenden Momenten, wenn alles wie von selbst an seinen Platz fällt und so höllisch swingt und rollt, für ein paar Sekunden oft nur, für ein paar Minuten manchmal, dass das restliche musikalische Universum zur Bedeutungslosigkeit schrumpft. Solche Momente vermisst man auf „Live Licks“. Weil hier nichts tobt, weil der Schmutz entfernt und damit die Magie gedimmt wurde. Dasselbe Problem wie bei „Flashpoint“, dieselbe unselige Flurbereinigung in einem Gelände, das dem Wesen nach uneben und geröllhaltig ist. Mittels Mix: Micks Vocals meist zu weit vorne, Keiths tiefergelegtes Gitarren-Grollen zu wohldefiniert. Chuck Leavells oft redundantes, lückenfüllendes Tasten-Wuseln omnipräsent. Phasenweise klingen die Stones auf Album 1 wie etwas, was sie eigentlich nie waren: eine Rockband.

Nicht so auf Album 2. Hier finden sich einige mächtig feine Tracks, die den sauberen Mix durch fiebrige Musikalität transzendieren. „That’s How Strong My Love Is“ erreicht einen unter den Umständen bemerkenswerten Grad an Intimität, Keiths mehr erfühlte als ersungene Interpretation von Hoagy Carmichaels „The Nearness Of You“ berührt, „Everybody Needs Somebody To Love“ mit Solomon Burke ist eine Soul-Revue und beendet „Live Licks “ mit Stil und Schmackes. Geht doch.

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