The Rolling Stones – Stripped :: Virgin
The Rolling Stones Virgin Augenzeugen wissen zu berichten, daß Keith Richards konsterniert war, damals, als Bob Dylan ihm neiderfüllt zuraunte: „I could have written .Satisfaction‘, but you couldn’t have written ,Tambourine Man‘.“ Jahre später interpretierte Richards die Anmache als latentes Kompliment und „Bob’s Art zu sagen, daß ,Satisfaction‘ cool ist“. Der junge Keith, wohl ein wenig eingeschüchtert, reagierte indes mit Schulterzucken und murmelte etwas von „Kann schon sein“, worauf sich seine Bobness zufrieden entfernte. Als der Verfall dann Mick Jagger zu Ohren kam, war der um eine Antwort freilich nicht verlegen: „Yeah“, höhnte er, „doch wir könnten seine Songs spielen, er aber nicht unsere.“ Touche? Nun, den Beweis blieb er 30 Jahre lang schuldig. Jetzt ist er erbracht. „Like A Rolling Stone“ entwickelte sich im Laufe des sommerlichen Triumph-Zuges der „Voodoo Lounge“ zu einem zentralen und von zigtausenden Kehlen zelebrierten Showstopper: How does it feel? Eine rhetorische Frage. ist den Rolling Stones allerdings ein GreueL Keith hält es für eine Masche, und selbst Mick, neuen Marketing-Ideen gegenüber stets aufgeschlossen, findet die Vorstellung „albern, bewegungslos auf Barhockern herumzusitzen und feierlich schön zu tönen“. In Tokio hatten sie es im Frühjahr dennoch versucht. Für einige Tage zogen sie sich in ein Studio zurück, um ihr Repertoire auf seine Reduzierbarkeit hin abzuklopfen. „Es war fantastisch“, erinnert sich Ron Wood, „Mick fühlte sich anfangs etwas unwohl, aber das Fehlen des Publikums machte sich nach einer Weile durchaus positiv bemerkbar. Wir erreichten eine Intimität, ein stilles Verständis, das auch im kleinsten Club nur schwer herzustellen ist.“ Wie recht Wood damit hat, belegt dieses Album: Die vier Tracks aus jenen Tokio-Sessions gehören fraglos zu den Highlights. Unter Studio-Bedingungen entstanden, kompensieren die Quasi-Live-Aufnahmen mühelos den Mangel an Projektion und Offensivdrang durch Coolness, Souveränität und eine Präsenz, die erst nach Jahrzehnten eine solches Plateau erreichen kann. „The Spider And The Fly“ ist uriger noch als das Original aus der Steinzeit, spartanischer und entblößter. Jaggers Stimme steht ungeschützt im Raum, verbirgt sich nicht hinter einer Wand aus Hall. So unmittelbar, beinahe trocken gewinnt der Gesang an Aussage, was er an Dramaturgie verliert. Großartig auch seine Harmonika: uneitel, ökonomisch, auf den Punkt „I’m Free“ wirkt burschikos und zentriert um die Orgel von Chuck LeavelL der wie bei „Like A Rolling Stone“ stolz seine Al-Kooper-Kappe trägt. „One take, no overdubs“ ist die Philosophie dieses Albums – eine Attitüde, die ausgefeilte Arrangements verbietet. Und so unterscheidet sich „Stripped“ schon deshalb von Sound-kosmetisch nachbehandelten Live-Alben wie „Flashpoint“ oder „Still Life“. Die Glimmer Twins lehnten sich zurück, und die Co-Produzentenrolle von Don Was erschöpft sich in logistischer Vorsorge und klangfärberischer Nachbesserung. Und natürlich im Mixdown. Wie wichtig dieser selbst noch für so nackte Darbietungen wie die Club-Shows im Amsterdamer „Paradiso“ und im Pariser „Olympia“ ist, zeigt „Street Fighting Man“, der wohl schwächste Track und unglücklicherweise der Album-Opener. Eine Ironie immerhin, denn schon das Original hatte seine ungeheure Energie aus der Attacke ausschließlich akustischer Gitarren bezogen. Die Instrumentation ist dieselbe geblieben, und doch kommt die ultimative Stones-Hymne vergleichsweise zahm daher, im Mix domestiziert, zu sehr integriert und ohne den Drive von ehedem. Ansonsten ist an „Stripped“ nichts auszusetzen. „Shine A Light“, ebenfalls in Paris aufgenommen, ist nur gebremst gospelig und verzichtet auf Ron Woods famos-wabernde Pedal Steel Guitar, „Not Fade Away“ ist näher an Buddy Holly als an der dröhnenden Bo-Diddley-Fassung der „Voodoo Lounge“, während „Wild Horses“ von einer Country-Ballade zu einem Folk-Song mutiert, weil Jagger den transatlantischen Drawl verknappt hat zu einem britischeren, beherrschteren Zungenschlag. Überhaupt: Jagger! Sieht man von einigen überflüssigen Stimmdehnungen auf „Love In Vain“ und „Angie“ ab, ist seine Phrasierung ohne Fehl und sein Bravado ohne Tadel. Erstaunlich, wie jung Micks Organ noch immer zu klingen vermag, etwa auf Willie Dixons „Little Baby“, das zwar musikalisch die Howlin‘ Wolf-Version von 1961 lediglich reproduziert, beim direkten Vergleich dennoch aufhorchen läßt, war Wolf doch bei seiner Aufnahme noch ein, zwei Jahre jünger ab Jagger heute und raspelt, als sei er hundert gewesen. Um Mißverständissen vorzubeugen: So frappierend Jaggers Stimmkraft ist, sie ist nicht sein Verdienst. Im übrigen warten wir ab, ob „Der Spiegel“ sich nicht anheischig macht, per Oszillograph nachzuweisen, daß hier nicht Jagger singt, sondern ein Double. Abstruse „Endiüllungen“ hin, Gegendarstellungen her: „Stripped“ ist nicht der vielfach erwartete Geniestreich der Stones und bringt auch nicht „geniale Versionen ihrer berühmtesten Songs“, wie uns die Werbung weismachen will, sondern wunderbar unspektakuläre und soulful solide Versionen genialer Songs. Auch nicht übeL Wolfgang Doebeling