Tindersticks :: BBC Sessions

Doppel-Album mit den fulminanten Songs der frühen Platten

Kürzlich freute sich in der englischen Zeitschrift „The Word“ ein Autor darüber, dass die BBC immer wieder Sessions mit weniger berühmten Künstlern veranstaltet und für die Nachwelt bewahrt. In Wahrheit handelt es sich natürlich um Aufnahmen mit Künstlern, die am Anfang ihrer Karriere stehen und deshalb wenig bekannt sind. David Gedge (aber der blieb ja sowieso nahezu unbekannt!) bei Onkel Peel war eine Ausnahme. Im Übrigen kann die alte Tante froh sein, dass die Tindersticks mehrfach bei ihnen ihre Instrumente aufstellten, obwohl die Techniker-Apparatschiks des Molochs mit größtem Unverständnis reagierten und es eilig hatten, in die Kantine zu kommen.

Die Tindersticks waren im Herbst 1993 eine Sensation. Stuart Staples, ein Dandy mit Schlafzimmerblick im Pelzmantel, murmelte schwarze Liebeslyrik vor einem Bordell-Inferno aus Orgeln, Violine, Trompete und gestrichenem Schlagzeug. Songs wie „Drunk Tank“ und „Tie-dye“ klangen, als würde ein Rummelplatz aus dem Paris des Fin de siecle durch die Seelen von Lord Byron und Oscar Wilde rumpeln. „Raindrops“ simmert und dräut, als würde der Regen niemals mehr aufhören. Bei den Tindersticks war es immer Viertel vor Vier in der Nacht. Ihre zweite Platte war ebenso grundstürzend und erschütternd. In ihren jetzt möglicherweise in der Savile Row maßgeschneiderten Anzügen musizierten die Tindersticks mit einem Streicher-Ensemble und traten eine Woche lang an jedem Abend in London auf. Nach der dritten, nicht mehr vollkommen gloriosen Platte zogen sie die Anzüge aus und gingen in gebügelten Hemden auf die Bühne. IhrviertesAlbum wurde ein Fiasko aus aufgeräumter Cocktail-Lounge-Musik.

Das alles ist lange her, die Tindersticks gibt es nicht mehr, Stapics brummelt heute zu schlichter Instrumentierung. Diese BBC-Sessions decken die ersten drei Alben ab; noch im Februar 1997 spielte die Band zum letzten Mal bei Mark Radcliffe (und, neben anderen Songs, wieder „Her“!). Keyboard-Spieler Dave Boulter schreibt im Booklet über das Ende nach der Triole: „We needed to shake it up before it shook us to bits.“ Schmachtfetzen wie „A Night In“, „Tiny Tears“ und „She’s Gone“ klingen hier ebenso meisterlich wie beim legendären Bloomsbury Theatre-Konzert von 1995 (eine Aufnahme davon liegt der Deluxe-Edition von „Tindersticks II“ bei), der größten Stunde der Tindersticks.

Die Stücke konnten sie offenbar im Schlaf spielen; Staples‘ Vortrag holpert nicht an einer Stelle, obwohl er am Mikrofon manchmal wirkte, als hätte er Valium und Alkohol intus. Nach kaum der ersten Hälfte der Songs ist man entrückt, erschöpft, erfüllt. Nie wieder ist einer Band dieser irisierende, vibrierende, fiebrige, bald torkelnde, bald treibende Sound, kurz vorm Bersten, gelungen. Ach, es wollte keine? Auch gut.

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