Hunter S. Thompson :: Die Odyssey eines Outlaw-Journalisten. Gonzo-Briefe 1958-1976

Schon zu Beginn seiner Karriere scheint Hunter S. Thompson die große Gonzo-Nummer, mit der er schließlich zum Rockstar der US-Literatur avancierte, klar kalkuliert zu haben. Er hatte 1959 als Bürobote das „Time Magazine“ verlassen und beim „Mid-dletown Daily Record“ angeheuert, aber die Provinzzeitung hielt ihn kaum zwei Monate aus. Nach einem eingetretenen Süßigkeiten-Automaten und dem ersten verprellten Anzeigenkunden zog der Chefredakteur schließlich die Notbremse. „Wir sind hier nicht in Greenwich Village, und Sie scheinen ein wenig unsozial zu sein, ein wenig neben der Spur“, sei dessen Begründung für die Entlassung gewesen, schreibt der Anfangzwanziger Thompson einer Freundin, um dann gleich abzuwinken. Zur „Hunterfigur“ gehöre es nun mal, „neben der Spur“ zu sein.

Später, als der Erfolg sich eingestellt hat, als er für den „National Observer“ schon viel beachtete Reportagen aus Südamerika geliefert, die kalifornische Gegenkultur porträtiert und mit seiner buchlangen „Hell’s Angels“-Reportage einen kleinen Bestseller gelandet hat, darf er sich dann zu Recht bestätigt fühlen.

Man kann in den von Douglas Brinkley aus einem riesigen Konvolut ausgewählten und kommentierten „Gonzo-Briefen“ der Jahre 1958 bis 1976 ganz gut verfolgen, wie sich diese „Hunterfigur“ schon früh profiliert und immer deutlichere Konturen annimmt – diese durchgeknallte, großmäulige, aufbrausende, starrsinnige, aber eben auch unbestechliche und grandios respektlose Heldenrolle, in der er sich mit der Zeit immer wohler zu fühlen scheint.

Sein fast schon an Hybris grenzendes Selbstbewusstsein, seine Überzeugung, dass er literarisch etwas wirklich Großes abliefern würde, und sein grandioses Selbstmarketing waren sicher notwendige Voraussetzungen für seinen Durchbruch, aber er erschien einfach auch zur richtigen Zeit auf der Bildfläche.

In anderen ästhetischen Disziplinen – der Musik, der Kunst, der Belletristik, dem Comic – hatte die Acid-Kultur bereits Spuren hinterlassen, sie verlangte letztendlich auch nach dem ihr gemäßen Journalismus. Nicht nur nach neuen Inhalten, sondern eben auch nach neuen Formen. Tom Wolfe und Hunter S. Thompson besaßen offenbar am meisten Talent und Frechheit, das saturierte, von seiner eigenen vermufften Professionalität gelangweilte Genre aufzumischen. Entsprechend respektvoll und voller Kumpeleien liest sich auch ihr Briefwechsel. Man erkannte im jeweils anderen den Bundesgenossen, der half, den New Journalism zu etablieren.

Das Zauberwort lautete „Beteiligung“. Es ging nicht mehr darum, eine Geschichte nachträglich zu rekapitulieren, sondern darum, dabei zu sein und, wenn nichts passierte, gefälligst dafür zu sorgen, dass etwas passierte. Deshalb handeln so viele Briefe in diesem Band von Vorschüssen und Spesenabrechnungen. Man musste sich den Spaß einer so aufwendigen Recherche, die keine Recherche mehr war, sondern mitstenografierter Exzess, eben leisten können.

Um seinen zunächst in der US-Ausgabe des ROLLING STONE erschienenen Gonzo-Klassiker „Fear And Loathing In Las Vegas“ zu schreiben, habe er versucht „die Mind-Warp-/Fototechnik des Instant-Journalismus anzuwenden“, erklärt Thompson seinem brother in crime: „erster Entwurf, in einem Durchlauf und mit Höchstgeschwindigkeit zu Papier gebracht und im Wesentlichen nicht überarbeitet; dann für die Veröffentlichung redigiert, gekürzt, verfeinert etc. Perfekt wäre es, ich würde von einer Recherche zurückkommen, dem Redakteur nur mein Notizbuch schicken, und der würde es, so wie es ist, unangetastet, dem Drucker übergeben. Doch es wird noch eine Weile dauern, das durchzubekommen.“

Er geht sogar noch weiter. In einer „Gebrauchsanweisung“ postuliert er, dass Gonzo-Journalismus,   gerade weil „es sich dabei weniger um ‚Geschriebenes‘ als um Erlebtes“ handele, „erfahrbar“ sein müsse. „Statt einfach nur ‚gelesen‘ zu werden.“ Also nehme man am besten „eine Spritze, die knapp einen halben Liter fasst, mit einer etwa zwanzig Zentimeter langen Nadel (von der Sorte, wie man sie für Rückenbehandlungen und zum Impfen von Stieren verwendet)“, und die befülle man nun „mit Rum, Tequila oder Wild Turkey & setze sich einen Schuss in den Nabel, um den gesamten Inhalt direkt in den Magen zu injizieren. Dies wird zu einem phantastischen Rauschgefühl führen, vergleichbar mit einem dreiviertelstündigen High auf Poppers – genügend Zeit, um die ganze Saga zu lesen.“ Thompson wusste schon, was seine Leserschaft hören wollte.

Etwas prekär wurde sein journalistischer Aktivismus allerdings, wenn er sich ins politische Tagesgeschäft einmischte. Seine publizistisch begleitete Kandidatur als Sheriff seiner Heimatstadt, Aspen, und des Umlands von Pitkin County/Colorado war eine großartige und überraschend erfolgreiche Clowneske gewesen, auch wenn er schließlich knapp verloren hatte. Sein Feldzug gegen Richard Nixon im Wahlkampf 1972 führte ihn dann allerdings zu weit ins Lager des demokratischen Kontrahenten, George McGovern. Die beiden wurden dicke Freunde. Es war vielleicht sein Glück, dass Nixon bei der Wahl einen triumphalen Sieg nach Hause trug. So haftete Thompsons Kampf etwas Vergeblich-Heroisches an, und sein Outlaw-Nimbus blieb unangekratzt. Dr. Gonzo als Hofschreiber, das wäre ja noch schöner! (Edition Tiamat, 28 Euro)

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