TOCOTRONIC :: ES IST EGAL, ABER :: L’Age D’Or/Motor
Alte Säcke erinnern sich meist nicht mehr daran: Jugend ist nie ein Zustand der Unreife, sondern immer nur ein Umstand, der alles Mögliche erlebbar macht. Tocotronic, die als einzige Gitarrenband in den deutschen Charts für so was wie Jugend stehen, legen jetzt ein weiteres Album vor, das Widersprüchliches in epischen Ausmaßen vereint: soviel Ekel, soviel Zärtlichkeit, soviel Skepsis, soviel Selbstbewußtsein. Und es erscheint einem als größte Leistung auf ihrem neuen Werk „Es ist egal, aber“, daß Tocotronic den Zweifel in den Vordergrund rücken, sich aber niemals im Zaudern verzetteln.
Die inzwischen gar nicht mehr so jungen Männer schreiben seit drei langen Alben an einer Initiationsgeschichte, an deren Ende niemals die Initiation steht. Bei ihnen findet niemand sein Glück, aber auch niemand ertrinkt in Resignation. Ein anstrengendes Unterfangen ist das, seine Kunst in diesem zu vielen Seiten offenen Zustand zu halten, schließlich wollen wir uns alle irgendwann mal zurücklehnen, alles Widersprüchliche auf der Schuhputzmatte vor der Wohnungstür abtreten und eine traurige Country-Platte auflegen.
Dirk von Lowtzow jedoch, der in der Freizeit machmal Townes Van Zandt nachspielt, schreibt Lieder, die abgründiger sind ab jeder Country-Song, weil der Abgrund an ganz komischen Stellen klafft Einmal schreit er verdammt selbstsicher: „Alles was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben!“ Um danach leise hinzuzufügen: „Das ist natürlich leicht gesagt.“ Mit Relativismus hat das nichts zu tun, nur mit radikaler Selbstreflexion.
Viele Menschen halten Tocotronic für einen Zufall. Und ihren Erfolg, der sie scheinbar ohne jede Anstrengungen in die obersten Positionen der Hitparaden gebracht hat, natürlich auch. Was für ein Irrglaube, denn die drei arbeiten hart an einer ganz eigenen Ästhetik, einer Ästhetik der Atemlosigkeit und wenn man sich einmal in den Entwicklungsabteilungen der Majors umhört, erkennt man schon an der Vielzahl der nachgezüchteten Epigonen, wie attraktiv diese Ästhetik für ein markterforschtes Publikum sein muß. Tocotronic, keine Frage, erfüllen für die deutsche Hitparaden, was einst Nirvana für die der USA erfüllten. Auf einmal ist Standard, was zuvor unmöglich wat Um voreiligen Schlüssen zuvorzukommen: „Es ist egal, aber“ ist keineswegs Tocotronics ,Jn Utero“. Die müssen nicht noch einmal ihre Härte raushängen lassen, um Radikalität unter Beweis zu stellen. Und um sich von falschen Freunden freizuspielen. Geht nämlich gar nicht Wenn du drinnen bist, biste drinnen. Das weiß auch Dirk von Lowtzow, der jetzt singt „Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen“. Der an den bewunderten Low-Fi-Tragöden Smog erinnernde elegische Duktus steht hier für sich.
Meist spricht von Lowtzow allerdings im Duktus der Hast – und des Hasses. Ganz am Anfang schnaubt en „Gehen die Leute eigentlich absichtlich so langsam?“ Tbcotronics Ästhetik der Atemlosigkeit verbietet das Flanieren. Da wird nichts zurechtsinniert, bis es paßt. In hypernervösem Zustand wird jeder Widerspruch registriert Diese Band hat es so eilig, gerade deshalb entgeht ihr nichts. Und nichts ist zu banal, um nicht für schwere emotionale Erschütterung zu sorgen. Lieder wie „Vier Geschichten von Dir“ oder „Der schönste lag in meinem Leben“ beweisen das.
Viele Worte macht Dirk von Lowtzow eh nicht mehr. Ganz zum Schluß wiederholt er mantraartig die Titelzeile des Liedes „Nach Bahrenfeld im Bus“. Und seine Reise auf der schönen, häßlichen Stresemannstraße führt direkt ins Ich.