Tom Liwa – St. Amour :: Ein alter Freund schickt wieder Mitteilungen aus dem Innenleben
Um den langen Weg zu sich selbst zurückzulegen, muss man nicht unbedingt Außenminister und Kampfjogger werden. Man kann die Sache auch ein bisschen ruhiger angehen lassen und alle paar Jahre eine Platte aufnehmen, deren Ausgangspunkt eine etwas altmodische Konstruktion namens „Ich“ ist. Wir kennen dieses „Ich“ aus der Lyrik, der Subjektphilosophie und dem Laufstall. Es soll zu den ersten und häufigsten Wörtern des Menschen überhaupt gehören. Leider hatte es in den letzten Jahren keinen guten Ruf – junge Menschen geben an, ihre Identität sei „fraktal“, und Plattenaufleger in Militärhosen machen die entsprechende Musik dazu. Da kommen einem Liedersänger, die den „mühsamen Weg zu sich selbst“ gehen, so schön gestrig vor wie die Breitcordhose von Günter Grass.
All dies kann man auch kürzer sagen: Tom Liwa hat mal wieder ein Album gemacht Diesmal ohne die Flowerpornoes. Was man aber beim besten Willen nicht hört Liwas undeutliche Berichte aus der Innenwelt werden überwiegend akustisch begleitet wie ehedem. Und man möchte auch den Empfang dieses Albums wie immer am liebsten so quittieren: „Lieber Tom, Deinen Brief habe ich bekommen…“ Schließlich ist dies der Mann, der einst per CD Tips zur Vermeidung des vorzeitigen Samenergusses gab.
Der private Ton von Liwas Songs verengt die Hörerschaft zwangsläufig auf die kleine Gruppe derer, die mit solchen Sätzen noch etwas anfangen können: „Ich will nichts mehr sein, als das, was ich bin/ Fehler für Fehler komm ich mir näher.“ Wer das nicht kitschig findet, kann unserem Helden folgen zu den Schauplätzen der privaten Kleinkriege: Wie gehabt sind es vor allem die imaginären oder realen Frauen, mit denen unser Sänger Zwiesprache hält – und jene alten Freunde, mit denen man irgendwann mal besser verstand. Liwa hören heißt Bilanz ziehen.
Doch schließlich, bei allem Subjektivismus, ist die Liwa-Musik doch auch ein Medium der Bilder und Zeiten – so ist „Musical Cats“ eine Momentaufnahme aus den „langweiligen“ 80er Jahren. Ja doch, auch Liwa zitiert gerne und viel – allein in den Songtiteln sind Verweise auf zwei Filme und ein Musical untergebracht, da muss er sich vor den Fußnotenfluten des Diskurswerfers Jochen Distelmeyer nicht verstecken. Und anders als jener muss sich Liwa nicht jahrelang zu einer zaghaften Unmittelbarkeit durchringen, die dann in intellektuell verbrämtem Kitsch endet Tom Liwa meint es ernst, mit sich und mit uns. Damit darf er – denn irony is over! – ja durchaus als Mann der Stunde gelten.