Tori Amos – A Piano – The Collection
Kapriziös ist das erste Adjektiv, das einem zu der Person einfallen kann, die mit dem Album „Little Earthquakes“ debütierte und damit möglicherweise auch schon ihr bestes vorlegte. Der Fremdwörter-Duden übersetzt „kapriziös“ mit „eigenwillig“ ins Deutsche, aber das wäre doch eine arg banale Beschreibung für den Song-Kosmos von Tori Amos. Was nach all den Jahren immer noch als etwas bizarr auffällt, ist die Tatsache, dass ihr Opus gern mit dem von Joni Mitchell und Kate Bush verglichen wird. Dabei haben die nie Verse geschrieben wie „So, you can make me come/ That doesn’t make you Jesus“, „Look I’m Standing naked before you/ Don’t you want more than my sex?“, „Just give me peace, love/And a hard cock“ und „Boy, you best pray that I bleed real soon“.
Kompliziert gestaltete sich häufig nur die Exegese. Denn sie liebt es auch immer wieder, nur anzudeuten oder bedeutungsvoll zu verklausulieren. Eine Qualität, für die ihre Bewunderer den Begriff kryptisch verwenden. Um noch einmal auf Joni Mitchell zurückzukommen: Es ist nur sehr schwer vorstellbar, dass ihr irgendwann eingefallen wäre, a cappella „I sang holy holy as he buttoned down his pants“ zu singen, um so eine Vergewaltigung zu „verarbeiten“, wie das Tori Amos auf dem Debüt bei „Me And A Gun“ tat. Oder ihren besten Robert Plant zu geben, wie sie das anderswo dort tat, damit kalkuliert und frivol mit Konventionen und Geschlechterrollen im ganzen Rock’n’Roll spielend. Sie konnte auch hemmungslos in die Rolle einer Romantikerin und bedingungslos Liebenden schlüpfen wie bei „Hey Jupiter“. Aber mit dem gnadenlosen Zynismus von „Professional Widow“ auf derselben Platte dokumentiert sie vor allem, wie sehr sie das Rollenspiel liebt. Man darf getrost davon ausgehen, dass sie mit dieser Label-übergreitenden Werkschau ein Wechselbad der Gefühle provozieren wollte. Sie liebte alleweil Extreme und ließ sich eher nicht von einem kritisch beäugenden Produzenten erklären, dass sie manches Lied besser nicht und schon gar nicht in dieser Form veröffentlichen sollte. Dies Box-Set bot auch die Gelegenheit, die Spreu vom Weizen zu trennen. Genutzt hat sie die nicht.
Unglaublich produktiv war sie ja schon gewesen, bevor eine Plattenfirma ihr erstes Album finanzierte. Was sie seither alles an Singles, EPs, Mitschnitten, Interview-CDs, offiziellen Bootlegs und immer neuen Studio-CDs vorlegte, zeugt von beachtlichem und ungebrochenem Selbstbewusstsein. Das Erstlingswerk tauchte seither in manchen Polls unter den paar hundert besten LPs aller Zeiten auf. (Kurioserweise aber wiederum nicht ein einziger ihrer Songs bei vergleichbaren Abstimmungen.) An ihren ausnehmend exzeptionellen Talenten als Pianistin zweifelte auch niemand. So selbstkritisch, auf der Expanded Edition von „Earthquakes“ das ist die erste der fünf CDs hier-„China“ wegzulassen, war sie dann doch nicht. Dabei kann man das, halten zu Gnaden, mit guten Argumenten für eine der größten Demis-Roussos-Schnulzen halten, die der nie schrieb. Hier wie auch auf den folgenden CDs findet man viele Evergreens ihres Repertoires in alternativen und neu abgemischten Fassungen. Endlich fertig gemischt andere, die sie erst mal für noch nicht zu Ende geschrieben oder optimal produziert befand. Seitenlang erläutert sie detailliert die Entstehung der Aufnahmen, auch die vormals unveröffentlichter wie „Hot David Bowie“ oder die „Ode To My Clothes“. (Letztere ist übrigens nicht ironisch gemeint!) Von den vielen Cover-Versionen, die sie seit 1992 immerwieder gern einspielte, gibt es hier nur ganz wenige. Die von „Home On The Range“ ist so gewöhnungsbedürftig wie manch andere zuvor auch schon. Aber die sublime Ironie bei „Frog On My Toe“ ist schon köstlich!
Eine Werkschau, die wirklich den großen Über- und Durchblick vermitteln würde, ist das mutmaßlich gerade deswegen nicht geworden, weil der Star selber das Sagen bei der Auswahl hatte. Mit Dutzenden EP-Tracks und Single-B-Seiten, Demos und Outtakes zwischendurch (!) ist das – weil nach den sehr gut dokumentierten Atlantic-Jahren doch von ausgesprochen „durchwachsener“ Qualität – mehr die Wundertüte für den Fan, der so eine bunte Mischung goutiert. Ein plausibleres Ordnungsprinzip und eine strikte, etwas selbstkritischere Auswahl hätten der Zwischenbilanz gutgetan.