Tortoise – Standards
Man durfte gespannt sein, ob sie, in typisch amerikanischer Manier, als neue, verbesserte Tortoise zurückkehren würden. Und obwohl sich bei „Standards“ die Gewichtung von einer improvistorischen Basis eindeutig in Richtung gesteigerter kompositorischer Substanz verlagert hat, bietet das Ergebnis im Grunde nichts wirklich Neues. Es ist ein typisches Tortoise-Album im unverkennbaren Klanggewand und auf gewohnt hohem technischen Niveau. Die traditionelle Rock-Besetzung wird, wie immer, um die charakteristischen Instrumente Marimba, Vibrafon und experimentelle Synthesizer-Spielereien erweitert. Mit zunehmender Komplexität werden die Stücke allerdings etwas unzugänglicher und ernster, als es noch bei „TNT“ oder „Millions…“ der Fall war.
Tortoise schreiben keine Songs im herkömmlichen Sinne, und sie kommen zudem ohne Gesang aus. Was bleibt, sind fünf Multünstrumentalisten, die sich mit ihrer eigensinnigen Mixtur aus Art-Rock, Minimal Music, Jazz und Dance jedem Schubladendenken entziehen. Dabei wandern sie auf dem schmalen Grat zwischen kompositorischer Strenge und musikalischem Gefrickel – immer kunstfertig, aber eben auch künstlich. Das mag beim ersten Höreindruck verkopft und sperrig wirken, aber letztendlich erreichen sie dadurch ein ungewöhnlich hohes Maß an musikalischer Freiheit.
Uneasy-Listening ist angesagt, oder auch Musik wider den Berieselungsterror. Die Endlosschleifen, freischweI benden Melodiefragmente über Komplementär- oder Polyrhythmen, die j ständig wechselnden Klangfarben, Zeitlupenmelodien und der gelegentlich , aufblitzende skurrile Humor verlangen vom Hörer ein Höchstmaß an Konzentration. Die treuen Anhänger der Band wird es begeistern, allen anderen wird es schwer fallen, einen Zugang zu finden. Kontroverse Musik ist das allemal, und davon gibt es ja zurzeit nicht mehr viel.
Wenn man das dann hört, ist man versucht, Tortoise das Etikett der Konstruktion dranzuhängen. Ganz anders ist das bei den spannenden Konzerten. Da wechseln Doug McCombs und seine Mitstreiter die Instrumente nach Lust und Laune, und die technische Brillanz wird durch Spielfreude und Spontaneität ergänzt. Den Status von Songmagiern, die über lange Strecken von „Millions Now Liring Will Never Die“ meditativen Schönklang schufen, haben Tortoise allerdings verloren. Nur noch für Spezialisten und Techniker interessant