Travis – The Invisible Band

Der zarte Schmelz. Das zage Bangen. Die süße Wehmut. Der schöne Schmerz. Die Scheißfrisur. Ein Mann, ein Weichei: Fran Healy. Keiner saugt so viele Tränen auf, keiner leidet öffentlicher, keiner liebt seine Frau wie er. Franny ist ein guter Mensch und ein göttlicher Songschreiber. Gleich „Sing“ – erste Single und erster Song von „The Invisible Band“ – widmet er seiner Freundin. Ein bisschen ist Fran wie der erste Gewinner bei der „10-Millionen-Mark-Show“, der noch nicht weiß, was er davon halten soll – bloß heißt die Sendung bei ihm „Erkennen Sie die Melodie?“.

Frannys Melodien erkennen wir sofort, sie scheinen sich zu wiederholen, aber nachweisen kann man ihm nichts. Die ersten sieben Stücke – eine unglaubliche Quote – sind bruchlos in ihrer Brillanz, einzigartig in ihrer Perfektion, ihrer Raumfülle und Himmelsstürmerei. Natürlich haben Travis den Großproduzenten der Stunde engagiert, Nigel Godrich, berühmt für „OK Computer“, und das zu Recht. The Divine Comedy konnte er nicht helfen, aber bei Travis ergänzte er genau die Geräusche, die Atmosphäre, die Weite, die einen Menschen beim Hören der Radiohead-Songs „Exit Music (For A Film)“ und „Lucky“ glücklich aus dem Fenster stürzen lassen konnten. In Franny traf er den einzigen Mann Britanniens, der noch anrührender singen kann als Thom Ybrke. Scott Walker ist ja Amerikaner. Stücke wie „The Cage“ süßholzraspelt Franny mit einer Intensität, als kämpfte er um den letzten Baum auf Erden, um die Bill Of Rights, die Freiheitsstatue. Ein Hymniker, ein Schwärmer.

Mit dem dritten Album sind Travis auf dem Gipfel ihrer Kunst angekommen tonträger

,Ja pray to God u there was heaven/ But heaven seems so very far from here“, dichtet Fran putzig in „Pipe Dreams“, und anderswo lautmalt er wie ein Grundschüler, reimt und knittelt, sieht „Flowers In The Window“, nennt einen Song „Side“ oder wiederholt „I feel safe, so safe“, dass es einen Geringeren aus dem Sattel hauen würde. „The world’s a small child in the dark/ And my mind’s the same place as it’s always been.“ Pardon? Dafür den Noel-Gallagher-Gedächtnispreis. Besser noch ist „Last Train“: „Rain on the brain/ (…) There’s a picture in white of Che G/’nna.“ Godrich dreht alle Kanäle auf, Healy schwelgt, es geht gen All (und also auch schon in Richtung Bombast). Der unfehlbare „New Musical Expresss“ hat vorab schon mal festgestellt, diese LP sei eher „downbeat“, werde aber keinen Anhänger enttäuschen. Das hieße, himmlische Engelschöre wären verhalten und Bach-Kantaten von Skeptizismus durchdrungen, Beethovens Symphonien wären Freundentänze und James Joyces Werke Trivialliteratur.

Nein, einzig verläppertes Stück von „The Inrisible Band“ ist der wahrhaft traurige Mist „Afterglow“, der wie ein Neil-Young-Sermon beginnt – und mündet in lautes Geleier und Geplärre und Reglergeschiebe, und das unter einem der abgeschmacktesten und blödsinnigsten Titel. Aber dann kommt „Indefiniter/“, kommt the voice, die majestätische Melancholie, kommen die vielleicht falschen, aber alle Zweifel zerstreuenden Streicher, und schließlich „The Humpty Dumpty Love Song“, ein sich langsam aufbauendes Monster, das sonisch verklingt.

Wir haben also auf der sicheren Seite: „Sing“, den phantastischen Hit mit dem hoppelnden 16 Horsepower-Banjo und dem Tortenschlacht-Video, das köstliche und todtraurige „Dear Diary“, das tränentreibende „Side“, die wundervollen „Pipe Dreams“ (auch für Nora!), das hurtige „Flowers In The Window“, das unschlagbare „The Cage“. Da kann der Mann doch dichten, wie er will, in dieser höchst delikaten Mischung aus klinischer Depression und höchster Wonne, totaler Unkenntnis und schönster Empathie, Instinkt und Genie.

Und so endet dieses Meisterwerk der Melodie und des Gefühls mit einem Film im Kopf von Fran Healy: „Now as I lie in pieces/ And wait for your return/ The sun upon my fore- head it burns baby burns baby burns/ An eye on all my horses/ You’ve slept with all my men/ Fm never gonna get it together again.“

Nachbarin, das Taschentuch! Und ganz laut hören.

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