Tu Fawning

Hearts On Hold

Lust am Zuviel: Neue Perspektiven für das Prinzip Rockband

„Es war ein Buch voller Gift, es war, als hafte seinen Seiten ein schwerer, sinnverwirrender Duft nach Weihrauch an“: Was Oscar Wilde über Joris-Karl Huysmans‘ „Gegen den Strich“ schrieb, könnte auch für „Hearts On Hold“ gelten, das Debütalbum von Tu Fawning, einem Quartett aus Portland. Auch hier spielt man mit den Verlockungen des Erlesenen und Überreizten. Die Rhythmen zitieren afrikanische Tribal-Trommeln, indonesische Gamelan-Musik, aber auch ganz alten Blues. Unheimliche Piano-Melodien tragen den Hörer in die Welten von Tim Burton und Danny Elfman, eine Liste aller verwendeten Instrumente würde den Rahmen dieser Kritik sprengen.

Doch was einem zuerst auffällt: Tu Fawning erinnern an Portishead – allerdings ohne die britische Band zu kopieren. In beiden Fällen geht es um Dunkelheit, Imagination und eine eigene Form von Schönheit. Corrina Repps Stimme besitzt dazu eine große Ähnlichkeit mit der von Beth Gibbons, auch die Melancholie ist beiden gemein.

Doch im Unterschied zu Portishead, die in der DJ-Szene wurzeln und HipHop mit torch songs und Filmmusik verbinden, sehnen sich Tu Fawning nach neuen Perspektiven für das Prinzip Rockband. Intensität und Drama werden auch hier groß geschrieben. Zu einem an Vorbildern wie Tom Waits geschulten Songwriting kommen verführerische Arrangements voller weltmüder musikalischer Einsprengsel.

Die Ouvertüre „Multiply A House“ zieht einen mit feierlichem Rhythmus, einsamen Fanfarentönen und einem beschwörenden Gesang sofort in ihren Bann. „Sad Story“ beginnt als Moritat nach Art der Dresden Dolls, entwickelt dazu aber bald Sound-Fragmente wie aus einem David-Lynch-Film. Auch „Diamond In The Forrest“ gräbt sich durch berückend schöne Klangbilder, die den Geist des fin de siècle mit einem aktualisierten Post-Post-Rock-Bewusstsein verbinden. Selten hat man in letzter Zeit so abwechslungsreiche und opulente Songs gehört. „I Know You Now“ ähnelt einem Opiumtraum, ist mehr Fühlen als Hören, gibt dem Fremden etwas Vertrautes, benennt die Lust am Zuviel. Die Musik von Tu Fawning kann man als wunderbar dekadenten Luxus betrachten – der niemals banal wird, eher ein bisschen morbid. Als hätte man den Panzer einer Schildkröte mit Gold überzogen und noch dazu mit Edelsteinen dekoriert. Jean Floressas Des Esseintes, der Protagonist von „Unter dem Strich“ und Prototyp aller Dandys und Ästheten, hätte seine helle Freude an diesem meisterlich dekadenten Album. (City Slang)

Jürgen Ziemer