Tunng
„Love You All Over Again“
Full Time Hobby (VÖ: 24.1.)
Surreale Trostpflaster und eine Wiederauferstehung.
20 Jahre Tunng. Da kann man schon mal auf die Anfänge zurückschauen. Nur um festzustellen, dass sich scheinbar Vertrautes zwei Dekaden später „wie ein neuer Weg anfühlt“, wie Bandgründer Mike Lindsay erklärt. Das Ensemble um ihn und den 2018 zurückgekehrten Co-Founder Sam Genders lässt sogar – nachdem es im „Dead Club“ (2020) schon mit Sterblichkeitsfragen befasst war – eine wesentliche Protagonistin seines Frühwerks wiederauferstehen. Im Meisterstück „Jenny Again“ diente ebendiese 2006 als romantische Projektionsfläche eines nicht nur unglücklich, sondern dahingemeuchelten Liebenden. Es klang ein bisschen so, als hätten die Gebrüder Grimm noch an einer Mörderballaden-Weiterbildung teilnehmen dürfen.
Wir wissen jedenfalls genau, warum wir Tunng immer wieder lieben
Nun ist Jenny in „Didn’t Know Why“ zu einer verrätselt-ratlosen Jedefrau mutiert, die sich weder auf die Zeitläufte noch auf das Seufzen ihrer Lover einen Reim machen kann. Diese Weiterentwicklung des Personals korrespondiert kaum mit einer musikalischen. Aber warum auch? Wenn Hybrid, dann bitte dieser. Der Tunng-Balanceakt zwischen akustischer Instrumentierung und elektronischer Sample-Ästhetik (die freilich allerlei organische Funde einschließt) klingt längst nicht mehr nach Radikalkur.
Aber er gelingt der Band halt immer noch wie kaum einer zweiten. Einer Band, die uns zudem zuletzt nicht gerade mit überschießender Produktivität belästigt hat. Im herrlich surrealen Trostpflaster „Levitate A Little“ bleiben Tunng sogar fast mal puristisch, während sonst sanfte Störfaktoren durch „Laundry“ oder „Deep Underneath“ geistern. Doch gewinnen sie nie die Überhand über die Struktur der Songs (selbst wenn sie diese mitformen) und schon gar nicht über den Appeal dieser Melodien aus Tausendundeiner English Folk Night. Noch bevor Jenny wiederkehren darf, befragt sich die Band in „Everything Else“ eindringlich: „Why do we do this? Why do we love this?“ Wir wissen jedenfalls genau, warum wir Tunng immer wieder lieben.
Diese Review erschien im Rolling Stone Magazin 2/25.