Vic Chesnutt – At The Cut
Man will zunächst nicht mit in die Tiefe. Das erste Lied auf dem neuen Album von Vic Chesnutt heißt „Coward“, es ist das schmerzhafte, würgende Bekenntnis eines zu kurz gekommenen Feiglings. „The courage of the coward is greater than all others“, singt Chesnutt zu krachenden Gitarren und einem epischen Riesen-Riff, man kann es fast nicht ertragen. Weil man Chesnutt auf dem Cover sehen muss, wie er gram über die Tischkante lugt, weil man die Krankengeschichte im Kopf hat, den Rollstuhl und die Südstaaten-Apokalypse, die das Werk des kargen Mannes aus Athens, Georgia durchzieht. Nur langsam versteht man, dass das Greinen kein Selbstzweck ist.
Chesnutt bäumt sieh auf „At The Cut“ auf, erinnert sich, klagt an und versöhnt, at the cut, at the heart, at all. Intimität und persönliche Bestandsaufnahme bestimmen diese intensive, schreckliche, schöne und natürlich unsentimentale Platte, die den großen Kollaborateur nach „North Star Deserter“ ein weiteres Mal mit Guy Picciotto (Fugazi) und Thee Sliver Mt. Zion als Back-up-Band zusammenbringt. Die lässt es manchmal krachen, etwa bei dem großartigen „Chinaberry Tree“. Wie sich da eine kathartische Ein-Ton-Melodie aus dem Chorus empor schraubt, das ist erhebend. Doch „At The Cut“ ist eher von spröde zerschossenen Amerika-Szenarien und einer Art andächtiger Stille geprägt. Das Bar-Jazz-informierte „We Hovered With Short Wings“ addiert eine Geige, Chesnutt intoniert betont wenige Falsetttöne. „Concord Country Jubilee“ ist freundliche Front-Porch-Americana, doch ganz traut man dem Frieden nicht. „Philip Guston“ stampft wie alter Bluesrock zwischen CCRs „Pagan Baby“ und irgendeinem Black Sabbath-Riff, bis ein krankes Gitarrensolo atonal explodiert.
Nicht alles ist gut, verliert sich Chesnutt doch manchmal in ungefähren Kompositionen. Aber in seiner Gänze entsteht auf „At The Cut „eine fast dokumentarische Nähe, die tief berührt wie bei „Flirted With You All My Life“, das von einer seltsamen Spannung zwischen entspanntem Soul-Playback und Chesnutts dunklen Worten lebt. Das Lied ist eine Art Rede an den Tod, dem Chesnutt die Freundschaft kündigt. „O’Death, I’m not ready, clearly I’m not ready“ singt er und betont so noch einmal, worum es auf dieser Platte geht: ums Überleben.