Vic Chesnutt – North Star Deserter :: Vic sucht sein Glück in Kanada, zwischen wall of sound und Intimität
Kanada. Schon wieder Kanada. Nicht schon wieder Kanada! Na, es geht nur um einen weiteren Deserteur aus dem US-Süden/Südwesten. Nach Wüstenfuchs Howe Gelb, der sich da oben gleich als elektrischer „Sno Angel Like You“ (so das Album aus 2006) erleuchtet fühlte, trat nun Vic Chesnutt die weite Reise an. Nach Montreal. Dort warteten bereits: ein altes Studio mit dem schönen Namen Hotel2Tango, das jetzt zumindest an diesem Ort schon nicht mehr ist. Das Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra & Tra-La-La Band sowie Gäste wie u.a. Guy Picciotto (Fugazi) und Bruce Cawdron (Godspeed You! Black Emperor). Und nicht zuletzt mit Jem Cohen ein Filmemacher, der endlich auch mal eine Platte machen wollte. Am liebsten mit Chesnutt, den er schon fast 20 Jahre bewundert.
Es gibt ja wenige Songschreiber, die wie Vic Chesnutt gleichermaßen verstören wie beruhigen können. Und das oft genug in ein- und demselben Stück. Auch hier geht es etwa in „Warm“ zur Akustik-Gitarre mit Bass-Begleitung gleich auf Leben und Tod und um die Frage, was aus den verdammten Gammastrahlen zu lesen ist. Bis Chesnutt die (Kranken-)Akte lapidar schließt, „but any way, aor b, you know it’s alright with me“. In „You’re Never Alone“, das mit hymnenhaftem Refrain so etwas wie sein „Everybody Hurts“ geworden ist, ist eine ganze Menge alright für Chesnutt, sofern es zum Weitermachen verhilft. Ein Kondom, eine Abtreibung, ein vierfacher Bypass, die gute, alte Bibel…Hat auch einen hübsch versetzten Chor. „The sessions were orchestrated by Jem“, sagt das Info, und man kann nur vermuten, wo Cohen dem Chesnutt-Rohstoff eine andere Ausleuchtung ins Script schrieb. „Splendid“ ist ein Kandidat, mit diesem fast zwei Minuten schwelenden Intro, bevor Chesnutt die Wonnen des country Hfe und die Erinnerung an die Jugend besingt, mit einem Refrain wie ein plötzlicher Sonnenstrahl durchs winzige Wolkenloch.
Es wurde oldschool auf 2-Inch-Tape aufgenommen, und manchmal gewinnt man den Eindruck, es hätten auch nur zwei Mikros gereicht, um das alles in diesem Raum einzutangen. Die Front Porch-Intimität eines Mannes, der da mit seiner Gitarre sitzt und mit brüchiger Stimme das Ende bedenkt. Aber auch diese tosende wdl of sound, die dann und wann über den Mann hinwegfegt, wie im fast siebenminütigen „Everything I Say“. Zum Schluss gibt es noch mal Vic pur, ganz vorn, für 1:28. „You can’t say I didn’t rattle the load“, singt Chesnutt resümierend, „but I’m keepin‘ it on the road.“