Will Birch :: Ian Dury – The Definite Biography
Kriegswirren, Entbehrung, Kinderlähmung, erlittener wie erwiderter Schulterror, verzweifelte Kämpfe um Anerkennung, die beinahe schicksalhaft in Niederlagen endeten: Ian Dury war ein körperlich wie seelisch verkrüppelter Zyniker, als ihm unerwartet Gutes widerfuhr. Er machte Karriere. Beileibe keine glamouröse oder monetär befriedigende, nicht einmal eine, die den Gepeinigten mit seinem verpfuschten Leben hätte aussöhnen können. Aber er hatte Hits, und dieselben Leute, die auf ihn herabgeschaut hatten, sahen nun zu ihm auf. Ein unwahrscheinlicher, jäher Erfolg, ermöglicht durch das von Punk aufgeheizte, nicht nur musikalisch permissive Kulturklima Londons in den späten Siebzigern.
Wenige Jahre zuvor war er durch die Clubs und Pubs getingelt, als Sänger von Kilburn & The High Roads. Will Birch, damals Drummer bei der konkurrierenden Pubrock-Combo The Kursaal Flyers und später Kopf der Powerpop-Band The Records, kannte Ian schon damals gut. Und es sind vor allem diese Erinnerungen aus erster Hand, seine intimen Kenntnisse der Cockney-Bohème und der sich rasant verändernden Bedingungen damaliger Musikproduktion, die den Unterschied machen zu früheren biografischen Ergüssen. Durys Unberechenbarkeit, sein erratisches Verhältnis zu den Blockheads und sogar zum engsten Familienkreis bleibt nicht außen vor, doch hält sich der Autor mit Wertungen merklich zurück.Überhaupt lässt Birch an seiner durch langjährige Freundschaft mit Dury geprägten Haltung nirgends Zweifel aufkommen, seine Empathie schwingt nicht nur zwischen den Zeilen mit, sie verschleiert bisweilen auch den Blick auf eigentlich indiskutables Fehlverhalten. Auch versteigt sich der Autor zu dubiosen Elogen, überhöht den alten Kumpel zum „Godfather of Punk“ und rehabilitiert ihn ein paar Mal zu oft und zu gnädig.
Letzteres wird gen Ende freilich verständlicher, wenn Birch es auf sich nimmt, die finalen Wochen, Tage und Stunden des krebskrank Todgeweihten in Worte zu fassen, so bewegend, dass der Kloß im Hals stecken bleibt. Es ist wohl auch Pietät, die einige von Dury rücksichtslos behandelte Weggefährten im Nachhinein zu einer milden Beurteilung seiner Persönlichkeit veranlasste. Reasons to be tearful.
(Sidgwick & Jackson, ca. 23 Euro)
Wolfgang Doebeling