Willie Nelson – The Complete Atlantic Sessions 1973-1974
Irgendwie war das ja auch hoffnungslos altmodisch, als Willie Nelson im Titelsong von „Shotgun Willie“ behauptete: „Well you can’t make a record if you ain’t got nothin‘ to say/You can’t play music if you don’t know nothin‘ to play…“ Und zwei Lieder später klagte er: „Sad songs and waltzes aren’t selling this year…“ Das Album damals auch nicht. Eine sehr locker gestrickte Konzept-LP, hatte das in der Hauptsache der kürzlich verstorbene Arif Mardin produziert, den man ansonsten mit Country Music eher weniger identifizierte. Nur auf dem Papier eine Mesalliance, war das Resultat der Zusammenarbeit ein ohne alle Nashville-Zutaten auskommendes, in die Zukunft weisendes Stück Proto-Americana, das sozusagen Willies Brill Building-Jahre als Songschreiber für andere ganz ähnlich endgültig beendete wie „Tapestry“ die von Carole King.
Kurz vorher hatte er sich mit „Yesterday’s Wine“ bei seiner vorletzten Arbeit für RCA schon mal an einem Konzeptalbum versucht. Weil erfolglos, verknüpfte er die Songs jetzt etwas legerer. Zu den besten gehörten Country-Heuler wie „She’s Not For You“. Einen anderen schrieb maßgeschneidert Leon Russell für ihn mit „You Look Like The Devil“. Coproduzent Jerry Wexler bekannte später, dass er an Willies Art zu singen insbesondere „that Spanish, Texas border tinge to his voice“ mochte. Viel davon hört man auch bei seiner Interpretation von Russells „A Song For You“, solo nur sich selber an Akustikgitarre begleitend gesungen. Auch aus dessen „My Cricket And Me“, hier in fabelhaften Outtakes mal solo und mal mit Band gesungen, machte er einen richtigen Country-Heuler.
Völlig unveröffentlicht unter dem Dutzend Zugaben hier: das auch ziemlich tränenselige „Save Your Tears“ (das Lamento eines Mannes, der seine Kinder lieber nicht mehr sehen mag) und seine Aufnahme von „I Drank All Of Our Precious Love Away“, eine dieser klassischen Säuferballaden a la „What Made Milwaukee Famous“.
Ein richtiges Konzept-Werk wagte er dann mit „Phases And Stages“ – die Chronik einer in die Brüche gehenden Ehe, auf der A-Seite der LP aus der Perspektive der Frau erzählt, auf der B-Seite die Sicht des Mannes einnehmend. So komplex wie Ingmar Bergmans Film zum selben Thema geriet ihm das natürlich nicht, aber auf übliche Klischees zahlloser Songs über cheatin’und die große Reue danach griff er nicht zurück.
Aufgenommen mit der Muscle Shoals-Mafia in den Studios in Alabama und Johnny Gimble als Gast an Fiedel und Mandoline, war das eine dieser Produktionen, auf die Jerry Wexler besonders stolz war. Zumal in der neuen Remaster-Fassung bei diesem Set ist das eine ähnliche high-fidele Angelegenheit wie das wenige Jahre zuvor am gleichen Ort von Ian Wenner produzierte Solo-Debüt von Boz Scaggs. Ziemlicher Overkill war allerdings die üppig mit Streichern garnierte Alternativ-Version von „(How Will I Know) Im Falling In Love Again“, die den Song zu einem richtigen Schmachtfetzen machten.
Aber der Versuch von Atlantic Records, im Geschäft mit Country Music Fuß zu fassen, erwies sich dann doch als so problematisch, dass man diese ehrgeizigen Pläne bald aufgab. Vielleicht ein wenig zu früh: Ein Jahr später kam Nelson mit seinem Columbia-Debüt erstmals in die Top 30 der Pop(!)Hitparade und mutierte mit „Red Headed Stranger“ zum Hippie-Idol, der dann auch noch so in Filmen vergöttert wurde! Bis zu der somnambulen Selbstparodie in der Hollywood-Polit-Satire „Wag The Dog“.