Wings Wings Over America :: Das Live-Album von 1976 -auch mit Konzertfilm und Fotobänden
Paul McCartney wollte nach dem Ende der Beatles noch mal von vorn beginnen -eine Band gründen, mit dem Bus übers Land fahren, Spontankonzerte vor betrunkenen Jugendlichen spielen. Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, aber er hat es durchgezogen. 1976 wagte er mit den Wings schließlich den Sprung über den Atlantik. Die Zeiten hatten sich geändert, seit dem letzten Beatles-Konzert zehn Jahre zuvor in San Francisco. Man konnte die Bands jetzt hören. Die schiere Präsenz reichte nicht mehr aus, man musste das Publikum in den großen Hallen und Stadien mit Lautstärke, Virtuosität und Energie überwältigen.
Für die Wings Mitte der Siebziger eine leichte Übung; nach den Aufnahmen von „Band On The Run“ hatten sie sich, verstärkt durch den Schlagzeuger Joe English und den Ex-Thunderclap-Newman-Gitarristen Jimmy McCulloch, zu einer hart rockenden 70s-Band entwickelt. Das zeigten sie 1976 auch eindrucksvoll in den ersten 20 Minuten ihres Sets. Da mögen so manchem Anhänger des feinsinnigen Popgenies von, sagen wir: „Martha My Dear“ die Ohren geklingelt haben. Doch im Gegensatz zu George Harrison, der 1974 mit seiner ersten US-Tour gescheitert war, weil er die Erwartungen des Publikums nicht hatte erfüllen können und wollen, stellte McCartney auch die alten Fans zufrieden, setzte sich nach dem Tinnitus-Start ans Klavier und gab, unterstützt von Band und Bläsern, sogar erstmals ein paar Beatles-Songs. Danach war Zeit für die subtileren Momente, für ein wundervolles Akustikset mit der definitiven Version von „Bluebird“ und für versteckte Perlen wie „Magneto And Titanium Man“. Denny Laine durfte sein groovendes „Time To Hide“ singen und „Go On“, den Hit seiner alten Band Moody Blues. McCartney konterte mit seinen größten Post-Beatles-Schlagern. Es herrschte Wingsmania in den USA.
Das Dokument dieser triumphalen Tour, „Wings Over America“, ist ohne Frage das beste Livealbum mit Beatle-Beteiligung: Die Band spielt ausgelassen und präzise zugleich, sodass diese Momentaufnahmen auch als Konserve eine Wucht sind. Die Triple-LP findet man oft in wunderbarem Zustand auf dem Flohmarkt für zehn Euro. Jetzt gibt es die remasterte Deluxe-Edition mit allerlei Beigaben für das Dutzendfache. Schon die letzten McCartney-Reissues waren ja prächtig mit Memorabilia bestückt. Diese Ausgabe übertrifft sogar noch die Luxus-Box von „Ram“. Vier Bücher liegen bei – eines mit der von David Fricke erzählten und reich bebilderten Geschichte der Wings, eines mit privaten Fotos von Linda McCartney, ein Band mit Skizzen des Zeichners Humphrey Ocean und ein Ordner mit historischem Reiseplan und Tourprogramm. Dazu gibt’s eine DVD mit der schönen BBC-Dokumentation „Wings Over The World“. Die logischere Ergänzung zu diesem Album wäre allerdings der während der US-Tour entstandene Konzertfilm „Rockshow“ gewesen, doch der erscheint separat in restaurierter Fassung. Wer sich also nichts aus Bildbänden macht, ist mit der Doppel-CD/Dreifach-LP wohl besser bedient. Denn die Bonus-CD der Deluxe-Ausgabe mit acht Songs aus dem Cow Palace in San Francisco fügt wenig Neues hinzu, und das Remastering hält sich doch sehr nah an die Originalaufnahmen. (Universal)