Young Marble Giants – Colossa Youth :: Das einzige, dafür famose Album des Minimalisten-Trios, erweitert
Was könnte alles geschehen, wenn wir es nur zuließen: Musik – egal, ob Indie, Rock oder Avantgarde-Jazz – bleibt oft nur ein theoretisches Versprechen, dessen Einlösung einem immer wieder vorenthalten wird. Radikalität muss sich nicht zwangsläufig in extremen Geräuschen ausdrücken, Schönheit braucht keinen Himmel voller Geigen. Unterhaltung heißt auch: Überraschung.
Das Debütalbum der Young Marble Giants erschien 1980, im Nachhall des Punk, der durch seine Reduzierung auf die Formel „Schneller! Lauter! Härter!“ zu langweilen begann. Doch durch das Credo des Do-it-yourself war die Hemmschwelle für musikalische Debütanten in diesen Tagen erfreulich niedrig. Es sind ja oft die Welpen unter den Musikern, die beim Spielen neue Wege entdecken – oder große Dinge ganz naiv auf den Punkt bringen. Wer sein Instrument beherrscht, tendiert dazu.
die als gut erkannten Läufe und Ideen zu oft und zu selbstgefällig zu reproduzieren. Dilettanten dagegen versuchen ihre handwerklichen Mängel mit kreativen Schummeleien auszugleichen. Siehe auch: PIL, Der Plan, The Pop Group oder The Slits. Alison Statton und die beiden Brüder Stuart und Philip Moxham waren sicher keine Dilettanten, doch ihr einziges Album, „Colossal Touth“, entführt einen noch heute in eine Welt hinter dem Spiegel des Pop. Da gibt es kein Schlagzeug, nur eine billige Rhythmusbox, vermutlich eingebaut in Stuart Moxhams elektrische Orgel. Der Klang dieses Instruments erinnert manchmal an die Begleitung expressionistischer Stummfilme. Manchmal spielt der Hauptsongschreiber auch eine rhythmisch kratzende Gitarre, die sich mit den knochentrockenen, Reggaeinfizierten Bassläufen seines Bruders Philip ideal verzahnt. Alison Statton singt dazu glockenhell, wie ein unschuldiges Folk-Mädchen, das allein einen großen finsteren Wald durchquert. Kurt Cobain liebte diese Band, seine Witwe hat mit Hole sogar „Credit In The Straight World“ gecovert.
„Colossal Touth“ ist ein brillanter musikalischer Schwarzweiß-Film, ein Zusammentreffen von Ennio Morricone und den Residents, Minimal-Pop zwischen David Lynch und isländischen Volkssagen. „Searching For Mr. Right“ und „Brand – New – Life“ knallen trotzdem wie der beste New Wave, nur subtiler, verführerischer… göttlicher. Das Instrumental „Wind In The Rigging“ dagegen ist unendlich traurig und dabei so glücklich machend wie ein Gewitter über einer menschenleeren Landschaft. Es lag offenkundig an dieser Platte, dass sich eine Hamburger Untergrund-Band einst Kolossale Jugend nannte.
Neben dem Album bekommt man auf dieser Wiederveröffentlichung auch das restliche Werk der Band aus Cardiff dazu: die wunderbare Single „Final Day“, die „Testcard E.P.“ und die als „Salad Days“ veröffentlichten, frühen Demo-Aufnahmen.
Nach der überraschenden und höchst bedauerlichen Trennung der Young Marble Giants 1981 konnten die Moxham-Brüder als The Gist immerhin noch einmal mit der süchtig machenden Single „Love At First Sight“ punkten – einem Track von Stuarts Bedroom-Produktion „Embrace The Herd“.