Robert Crumb: Die sieben Leben des Perverslings
Längst werden Robert Crumbs Zeichnungen in Museen ausgestellt. Aber wie relevant ist der Verehrer voluminöser Frauen und angestaubter Blues-Platten wirklich? Eine Spurensuche aus Anlass seines 75. Geburtstags.
Robert Crumb sagte einmal in einem Interview, dass er als Jugendlicher vor allem deshalb zum Zeichenstift griff, weil sich keine Frau für ihn interessierte. Er hatte immer nur Ärger mit ihnen. Zum kunstfördernden Dilemma wurde dies aber nur deshalb, weil er gleichzeitig so wild auf Sex war wie kaum ein anderer Mensch, den er kannte.
Im Werk dieses wohl größten, schmierigsten aller Comickünstler sind diese beiden Motive – die Verbitterung durch Zurückstoßung und die notorische Geilheit – auf radikale Weise miteinander verschmolzen. Ja, die Comics von Robert Crumb lassen sich eigentlich gar nicht vorstellen ohne jene sabbernden Spinner, die keine Scham kennen, ihre eigenen Neurosen pflegen wie andere ihr schütteres Haar und zugleich jederzeit vor Wut in die Luft gehen könnten.Crumb wurde von den Hippies verehrt. Und als er dann doch seine Comics, die er zunächst im Eigenverlag herausbrachte (ZAP!), mit Gewinn verkaufte, krochen sogar die Blumenmädchen in sein Bett. Doch es ist nicht die einzige Befriedigung, die möglich wurde: Der flinke Zeichner durfte seine Lieblingsmusiker porträtieren, wie er sie sich vorstellte – und auch noch ihre Plattencover gestalten (immer noch berüchtigt: Janis Joplins „Cheap Thrills“). Man muss sich diesen Perversling einfach als glücklichen Menschen vorstellen.
Robert Crumbs Eigensinn kennt keine Grenzen
Der Ruhm des in Philadelphia geborenen und längst abgeschottet von der Außenwelt in Frankreich lebenden Crumbs steigt, als wäre sein einst als ungenießbare Zeichenplürre verspottetes Material nun ein Zaubertrank gegen die vom Bildungsbürgertum zu Weltliteratur ausgerufenen Graphic Novels. Einer, der noch durfte, was er wollte… Der immer etwas lethargisch daherkommende Crumb muss kaum mehr mit neuen Comics auf sich aufmerksam machen. Und wenn doch, widmet er sich größenwahnsinnigen wie auch für seine Verhältnisse widersprüchlichen Projekten („Genesis“).
Inzwischen hängen schludrig dahingeworfene Skizzen von ihm in den Museen dieser Welt oder werden auf Auktionen zu unglaublichen Preisen versteigert. Crumb ist Kunst – und seine bedeutendsten Werke sind die fast täglich angefertigten „Hirnwichsereien“ in seinen Sketchbooks, die nun endlich zu einem unverschämt günstigen Preis bei TASCHEN erscheinen. (Im Ernst: Holen Sie sich die Bände, es gibt sie für ein Taschengeld, nachdem sie Jahre lang so viel kosteten wie ein Gebrauchtwagen.) Eine schier endlose Ansammlung von Kalauern, illustriertem Unrat, genialen Bildeinfällen und schonungslosen Porträts. Vor allem von voluminösen Frauen und alten, versifften Knackern.
Als einer der ersten seiner Zunft erdachte Crumb im Untergrund Kritzeleien für Erwachsene, die nicht einfach nur als Hardcorephantasien abgeurteilt werden konnten. Vielleicht profitierte er aber auch davon, dass Porno für eine Moment chic wurde und manche sogar einen „Deep Throat“ zu einer neuen Form der Performancekunst erklärten. Man muss sich nur noch einmal „Fritz The Cat“ vor Augen halten! Beziehungslos schwankt ein versoffener, versexter, Gewalt nicht abgeneigter Kater durch manchmal gähnend langweilige Episoden, bis wieder irgendeine Sauerei ansteht. Sozialkritisch war daran nichts – und doch war „Fritz The Cat“ etwas unerhört Neues. (Viel besser – weil konsistenter und lustiger – war da schon „Mr. Natural“, ein verirrter Guru, den der Zeichner schon zu „ZAP“-Zeiten erfunden hatte.)
Egal wie man es dreht und wendet: Crumb rückte seine eigenen Gelüste und sehr oft verworrenen Gedanken so unverfroren ins Zentrum, pfropfte sie den eigenen Figuren auf wie kein anderer Comiczeichner zuvor und danach.
Von Erfolg zu Misserfolg
Im ersten herausgebrachten „Fritz The Cat“-Strip rammelt Fritz seine Schwester, im letzten wird der „Klugscheißer“ von einer Straußendame mit einem Eispickel ermordet, weil er sie nicht fesseln und befummeln will. Crumb wollte seine berühmte Figur loswerden, sie war ihm lästig geworden. Den künstlerischen Suizid kommentierte er mit den Worten: „Gewalt in den Medien!“ Eine im vergangenen Jahr bei Reprodukt erschienene Gesamtausgabe breitet das ganze Drama in Top-Qualität aus. Endlich ungekürzt.
Crumb selbst verkaufte keine Comics mehr, aber die abstruse Verfilmung von Ralph Bakshi Anfang der 70er hielt ihn über Wasser. Mit der konnte der notorisch Beleidigte nichts anfangen: Zeitgeistschund und eine technische Katastrophe. Und nicht seine Form der burlesken Erotik. Robert Crumbs damalige Frau hatte den Vertrag für den Film unterschrieben. Nun wollte der Zeichner vielleicht auch deshalb nichts mehr mit ihr zu tun haben.Crumb fand mit der Kommunistin und Künstlerin Aline Kaminsky stattdessen seine Seelenverwandte. Oder vielmehr die Inkarnation seiner in zahlreichen „Sex Obsessions“ beschriebene Traumfrau. 1985 nahmen beide die schräge MTV-Welt von Ozzy Osbourne und seiner Sippe vorweg und schufen einen skandalös erfolglosen Strip über das eigene Familienleben mit Tochter Sophie.
Robert Crumb war Ruhm stets piepegal. Der leidenschaftliche Plattensammler goutierte weiterhin uralte Bluesaufnahmen, machte selbst das zum Thema seines in jeder Hinsicht selbstbezüglichen Zeichenuniversums, und verbündete sich mit Frau und Tochter zum Kunsttrio. Spätestens mit der genialen Doku „Crumb“ von Terry Zwigoff, die ihn gemeinsam mit seinem klugen, aber ebenso autistischen Bruder zu erklären versuchte, war er Mitte der 90er wieder zurück auf der Bildfläche. Diesmal dankte es Crumb einem Filmfuzzi auch einmal: Zeichnungen und jede Menge Schallplatten flossen ein paar Jahre später in die wundervolle Zwigoff-Adaption von Daniel Clowes‘ „Ghost World“ ein.
Wie hätte Robert Crumb allerdings je annehmen können, dass ein paar Klecksereien auf französischen Bistro-Servietten schließlich sein künstlerisches Comeback einleiten würden – wie es sich Ende der 90er tatsächlich zutrug? Eine Wiederkehr, die ihn schlussendlich zu einem wohlhabenden Partikülier machten. Der Kunstmarkt ist eben zu einem Heißluftballon geworden – und Robert Crumb, ihr größter, frechster Widersacher, reitet auf ihm hinfort nach Absurdistan.
Am 30. August wird Robert Crumb, der letzte und einzige seiner Art, 75 Jahre alt.
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Lesen Sie auf der folgenden Seite einen Auszug aus dem Crumb-Band „Mein Ärger mit den Frauen“ (Reprodukt)
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