ROLLING-STONE-Fernsehtipp: „Caligari – Wie der Horror ins Kino kam“

Am 12. Februar auf Arte: „Caligari – Wie der Horror ins Kino kam“ von Rüdiger Suchsland. Ein Film über das Meisterwerk des Expressionismus.

Berlin steht dieser Tage nicht nur im Zeichen von Stars wie George Clooney und Bill Murray, es liegt auch ein Schatten der Vergangenheit über der Stadt, denn die Retrospektive der diesjährigen Berlinale widmet sich dem Thema „Aesthetics Of Shadow. Lightning Styles 1915-1950“, und in der deutschen Kinemathek ist die wundervolle Ausstellung „Licht und Schatten. Am Filmset der Weimarer Republik“ zu sehen. Arte zeigt am Mittwoch aus diesem Anlass Robert Wienes expressionistischen Klassiker „Das Cabinet des Doktor Caligari“ aus dem Jahr 1920 mit einer mehr als nur einführenden Dokumentation von ROLLING STONE-Autor Rüdiger Suchsland.

„Caligari – Wie der Horror ins Kino kam“ (Arte, 12. Februar, 22.05) liefert den historischen, mentalitäts- und kulturgeschichtlichen Kontext, und zeigt wie der Expressionismus als Gegenbewegung zur archaischen, autoritären Gesellschaft des Kaiserreichs entstand, wie sich in der jungen Generation durch die Lektüre Nietzsches und Freuds, die Nervenmusik Richard Wagners und seiner mythischen Traumlandschaften eine innere Welt jenseits der Vernunft auftat. Die Zeit war reif für Wandel und Ekstase, die Künste wurden zum Treibstoff der Moderne und vereinigten sich schließlich im immer populärer werdenden Medium Film zu einem Gesamtkunstwerk Expressionismus.

„Das Cabinet des Doktor Caligari“ war ein früher Höhepunkt dieser Entwicklung. Ein scharfer Gegenentwurf zu den Disziplinierungen des Kaiserreiches, zeigte der Film eine unbürgerliche, bohèmehafte Welt des Laissez-faire und war zugleich Ausdruck einer Utopie als auch der dunklen Unterströmungen dieser Zeit. Der bedeutendste Filmkritiker jener Jahre, Siegfried Kracauer, sah in dem Werk später nicht nur einen Blick in die deutsche Seele, sondern gar eine unbewusste Vorwegnahme der Nazi-Herrschaft. Ganz sicher war es der Anfang eines Goldenen Zeitalters des deutschen Films und das Schlüsselwerk einer ganzen Epoche, in dem sich die Erschütterungen des Lebens nach dem Ersten Weltkrieg spiegelten.

Das deutsche Kino konnte es in den Folgejahren mit den Produktionen aus Hollywood aufnehmen, wurde zur großen Industrie, war aber zugleich ein Seismograph der Weimarer Gesellschaft. Und die Zuschauer akzeptierten den Expressionismus mit seiner radikalen Ästhetik als angemessenen Ausdruck einer chaotischen Zeit der moralischen, politischen und ökonomischen Erschütterungen. Die einst anti-bürgerliche Kultur wurde – und hier kann man sicher Parallelen zum Pop 40 Jahre später ziehen – auf einmal zur Kultur der Bürger. Der Expressionismus sei keine Mode, sondern eine Weltanschauung, sagte einer seiner größten Förderer, der Galerist, Autor und Komponist Herwarth Walden.

Suchsland, der in seiner Dokumentation die Historikerin Rosa von Schulenberg, die Filmhistoriker Erika und Ulrich Gregor sowie die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen zu Wort kommen lässt, zeigt das utopische Bewusstsein und das dämonische Unterbewusstsein einer Epoche auf, vor allem aber macht er große Lust auf den anschließenden Film: „Das Cabinet des Doktor Caligari“.

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