ROLLING-STONE-Interview mit Kim Gordon: „Ich fühle mich frei“

Kim Gordon über „Girl In A Band“ und ihre Arbeit im Spannungsfeld zwischen Musik und Kunst

Sie haben „Girl In A Band“ als Anti-Rock-Autobiografie beschrieben.

Ja, weil es darin kein Sex, Drugs & Rock’n’Roll gibt. (lacht)

War es für Sie schwierig, sich wieder in Ihr jüngeres Ich hineinzuversetzen?

Na ja, das kommt drauf an. Mein Ansatz war gewissermaßen ein soziologischer, ich wollte anhand meiner Erfahrungen und Erlebnisse ein Porträt des Los Angeles der 60er- und 70er-Jahre zeichnen und eins von New York in den 80er-Jahren. Davon ausgehend habe ich mich gefragt, wie ich über verschiedene Sachen denke. Ich wollte nicht speziell auf bestimmte Personen eingehen oder Sachen wiederholen, die in den Medien stets geschrieben wurden. Einiges war auch vergleichsweise langweilig zu schreiben, da ich selbst den Verlauf meiner Lebensgeschichte ja kenne, daher habe ich diesen etwas ungewöhnlichen Ansatz gewählt, um das Ganze auch für mich interessant zu machen.

Sie schreiben, dass Sie sich zu Beginn ihrer Karriere entschieden, lieber ganz praktisch Musik zu machen, als theo­retisch über Popkultur und Kunst zu schreiben. Waren Sonic Youth am Ende ein Projekt der Popkritik?

(Lacht) Na ja, ich glaube nicht, dass die anderen drei das unterschreiben würden. Für mich ging es lediglich darum, einen anderen Zugang zu finden und andere Themen zu verhandeln, als das üblich war.

Inwiefern war es ein subversiver Akt, Gerhard Richters Gemälde „Kerze“ auf das Cover von „Daydream Nation“ zu nehmen ?

Die Idee dahinter war, etwas Auratisches wie ein Gemälde in einen maschinell gefertigten Kontext wie ein Album-Cover zu bringen. Meine Freundin Jutta Koether (Künstlerin und langjährige Freundin, damals Redakteurin bei „Spex“ – Red.) fragte seinerzeit, warum wir das Werk eines so etablierten und konservativen Künstlers, wie Gerhard Richter es für sie war, als Motiv ausgewählt hatten. Ich fand es immer interessant, etwas zu verwenden, das von außen betrachtet sehr harmlos aussieht, im Kern aber sehr radikal ist. Hinzu kommt, dass die Größe des Gemäldes in etwa den Maßen eines LP-Covers entsprach, also bot sich für mich einfach die Idee an, es in einen neuen Kontext zu überführen.

Sie schreiben, dass Sie stets den Eindruck hatten, rebellische Posen seien in der Rockmusik den Männern vorbehalten, während von Frauen erwartet werde, dass sie stille Handwerker sind und sich im Hintergrund halten. Hat sich das Ihrer Meinung nach geändert, seit Sie anfingen, Musik zu machen?

Ich glaube, in der Mainstream-Welt hat sich in dieser Zeit nicht viel verändert, aber in der Underground-Szene gibt es verstärkt einzelne Frauen, die experimentelle Musik machen. 

Und Ihren ironischen 60er-Jahre-Look haben Sie tatsächlich kultiviert, nachdem Sie merkten, dass das Tragen von Miniröcken hilft, dissonante Musik zu verkaufen?

Ja, ich habe angefangen, einen etwas spielerischeren Umgang mit Mode zu pflegen. Debbie Harry war hier für mich ein wichtiger Bezug, weil sie es immer verstanden hat, diesem Look eine gewisse Art von Humor zu verleihen, den ich ansprechend fand.

Sie schreiben, dass sie mit Künstlern meist schnell auf einer Wellenlänge sind, weil diese weniger zur Emotion und mehr zum intellektuellen Diskurs neigen. Musiker dagegen seien schwierig gewesen. Sonic Youth waren ja eigentlich eine Band, die es schaffte, beides miteinander zu verbinden, den Rock’n’Roll und das Intellektuelle …

Na ja, dieser Ansatz war keine bewusste Entscheidung, sondern hat sich einfach durch das ergeben, was wir waren und was unsere Art, an Musik heranzugehen, war. Ich selbst habe mich unter anderen Musikern immer wie eine Außenseiterin gefühlt. Meinem Selbstverständnis nach war ich eine Künstlerin, die im Zuge des Post-Punk zur Musik gekommen ist, so wie viele andere auch. Durch Punkrock ergaben sich neue Freiräume für Leute, die sonst nicht Musiker geworden wären, mich eingeschlossen. Aber ich hatte nie das Gefühl, in dieser Welt wirklich zu Hause zu sein. Auf der anderen Seite hat mich die Kunstwelt natürlich genauso eingeschüchtert. (lacht) Daraus ergab sich immer das Gefühl, zwischen zwei Dingen zu stehen, ohne wirklich dazuzugehören.

Der letzte Satz Ihres Buches lautet: „Ich weiß, das klingt, als wäre ich jetzt ein völlig anderer Mensch, und ich vermute, das bin ich wohl auch.“ Glauben Sie, dass wir durch unsere Erfahrungen zu einer anderen Person werden?

Es ist ein interessanter Satz, und ich denke in gewisser Weise, dass ich zu mir selbst zurück gefunden habe und eigentlich noch die gleiche Person bin, die ich mit fünf war. Ich fühle mich, als hätte ich das zurückgewonnen, was ich einst war: eine unabhängige, freie Persönlichkeit.

Der Kreis in Ihrem Leben hat sich geschlossen?

Ja. (lacht)

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