Roulettespiel mit der Pop-Geschichte

Fernab aller Trends schafften die gerade zum Trio geschrumpften Taxiride in Australien den Sprung an die Spitze. Dem kleinen Rest der Welt wollen sie ihren klassischen Rockpop jetzt auch noch nahebringen

Auf dem Teller liegt ein gegrilltes Riesensteak, 24 Ounces, ziemlich saftig und auch nett dekoriert, mit einem winzigen Stengelchen Petersilie. Aus dem Off eine rauchige Stimme: „Australian for Salad“. Down Under als gefundenes Fressen für die TV-Werbung. Derbe, bäuerliche Rauf- und Trunkenbolde gesucht? Flug auf die andere Seite der Erde gebucht. „Man kann sie schon noch finden“, grinst Jason Singh, „diese Crocodile Dundees mit dem Messer im Stiefel.“ Aber man muss sich weit ins Hinterland verirren. „Unsere Metropolen“, Singh grinst jetzt noch breiter, „sind voll von Kultur.“ Er und seine Freunde, Tim Watson und Tim Wilde, kommen übrigens aus Melbourne, 2,9 Millionen Einwohner, Universitäten, Staatsbibliothek, Nationalgalerie, Bischofssitz. Und hunderte von Bars, in denen zumindest Rudimente des Klischees vom wilden Aussie doch überlebt zu haben scheinen.

Als Singh und Kollegen vor ein paar Jahren die Band Taxiride gründeten, da lebten sie bisweilen noch gefährlich. „Bei uns gibt’s halt Bars“, erzählt Tim Wild, „da passen 2000 Leute rein, und die sind nicht immer lieb und herzig.“ Soll heißen: Mit fliegenden Bierflaschen muss gerechnet werden. „Wenn dem Publikum nicht gefallt, was du spielst, dann bist du nicht bloß Verlierer, du siehst hinterher auch wie einer aus. Bei uns gibt’s keine Gitter vor der Bühne.“ Dafür aber hübsche Anekdoten. „Wir hätten vor Jahren mal ’nen Funk-Rap-Abend geben sollen“, erinnert sich Tim Watson, „angeblich war der Laden ideal dafür.“ Und dann standen plötzlich gut tausend Biker im Saal, „so die Sorte mit finsterem Blick, in Lederjacke mit ZZ Top-Bart“ Da hieß es ruhig und flexibel bleiben, „gut, haben wir halt Hillbilly Rap gespielt, vielleicht war’s auch Funk Crap, egal, man kann schließlich eine Fusion aus allen Arten von Musik herstellen, wenn’s ums nackte Überleben geht.“

Vergangenheit, zumindest für Taxiride. Heute kämpft man an anderen Fronten, für hehre Ziele. Nachdem in Australien die Spitze der Charts mit dem Debüt-Album „Imaginate“ längst erreicht ist, gilt es, den kleinen Rest der Welt zu erobern. Die harten Nächte in den Pubs der Heimat halten Singh & Co. dennoch in Ehren – „ein besseres Training lässt sich einfach nicht denken“. In Good Old Europe werden sie dadurch freilich gleich mit dem Prädikat der unverkennbar nach Australien klingenden Band belegt. „Wir haben zwar erst bei euch gehört, dass es einen Aussie-Sound überhaupt gibt“, sagt Tim Wild, „aber mittlerweile können wir ihn nicht bloß beschreiben, wir sind auch in der Lage, seine Ursachen zu erläutern.“

Was zwar lange dauert, aber gar nicht uninteressant und außerdem noch heiter ist. Zunächst einmal, ganz wichtig, seien all die Pop-Hochburgen dieser Welt zwar Hauptlieferanten des australischen Marktes, „aber der Vertrieb ist eben ziemlich langsam und lückenhaft. Bei uns taucht nur die Spitze des Eisberges in den Läden auf, und das oft mit gehöriger Verspätung.“ Was einfach toll sei, denn „anders hätten Bands wie INXS oder Midnight Oil doch gar nicht an allen Trends vorbei so groß werden können“. Und dann, beim Blick in die entgegengesetzte Richtung, das gleiche Spiel. „Wer sich in Australien nicht auf die Schultern der Mitbewerber stützt, wird nicht bemerkt“ Am trefflichsten gelingt die Karriere, wenn man sich dem Konkurrenzkampf auf den Live-Bühnen stellt „und am besten nicht unter sechs Konzerten pro Woche weggeht“. Womit denn auch schon die vorzüglichste Qualität australischer Popmusik beim Namen genannt wäre: „Bei uns stellt sich niemand die Frage, welches Jacket und welche Frisur zu welchem Song passt“, so Jason Singh, „bei uns fragt man sich bei jedem Song: Funktioniert der live?“ Nur mit dieser Einstellung kann man bestehen.

Ein Eldorado für Nostalgiker, so möchte man glauben. Und das stimmt sogar, wenn man sich nur auf Besuche in Australiens Pub-Szene beschränkt „Wir wollen überhaupt nicht leugnen“, fast hätte Tim Watson jetzt wild gestikulierend in seinen fünften schwarzen Kaffee geascht, „dass bei uns gerne die musikalische Unschuld gepflegt wird und wir mit unserer popkulturellen und technologischen Entwicklung dem größten Teil der Welt hinterherlaufen.“ Dafür aber stimmten im Lande der niedlichen Beuteltiere wenigstens noch die Relationen: „Wer einen Hit landet und den auf der Bühne nicht bringen kann, der wird keinen zweiten Hit erleben.“ Das gelte auch für HipHop und Dancefloor, weshalb beides „noch junge, aber doch vorhandene Stile bei uns sind“.

Gar nicht mal so einfach, mit Taxiride auf deren eigene Musik ins Gespräch zu kommen. Auf jene 13 Songs von „Imaginate“ also, die weder Pub Rock noch Trend genannt werden dürfen. Die einfach schöner Pop sind, vierstimmig und auf vier Gitarren ins Rund geschmettert, selten nur mit Schmalz geschmiert, umso häufiger dafür, uns entfährt ein langer Seufzer, mit jenen uralten Qualitäten gesegnet, die bereits etliche Rezensenten zu Vergleichen mit

den Beatles, Beach Boys und mit Crosby, Stills, Nash & Young genötigt haben. Da allerdings, und jetzt rieselt leider ein bisschen Salz in die erste Wunde der Band, waren sie tatsächlich noch zu viert. Über den Fortgang Daniel Halls redet man noch immer nicht sehr gern, da werden Singh, Watson, Wild einsilbig. Zu viel Arbeit sei dem Kollegen die Karriere wohl gewesen, er war ja auch der Jüngste und so sensibel. Doch, man verstehe das, und ein Türchen bleibe ihm stets offen, und nein, ersetzen könne und wolle man ihn jetzt nicht. Wer Daniel einmal im Interview erlebt hat, kann sich gut vorstellen, dass ihm das Leben als Popstar zu anstrengend wurde. Smalltalk gelang ihm nicht, und mit Fremden zu reden schien ihm suspekt zu sein. Meist saß er nur still da, während seine aufgeweckteren Freunde ihre Scherze machten, über die er dann leise lachte. Ganz offensichtlich verstand sich das Quartett ausgezeichnet, aber ganz offensichtlich fühlte sich Hall dennoch unwohl.

Soviel dazu, jetzt möchten sie lieber die Vergleiche kommentieren. Auf jeden Fall seien die „natürlich schmeichelhaft“, wenngleich man sich nun nicht in der Ecke der Retro-Liga tummeln wolle. „Wenn wir auf unserem Album eine Sitar einsetzen“, sucht Jason Singh nach Grenzpfählen, „dann hat das gar nichts mit diesem Hippie-Revival zu tun, weil wir dieses Zitat in einem ganz anderen Kontext benutzen.“ Hört sich prima an, bleibt aber letztendlich ohne Beweis. „Bloß weil wir die Pop-Geschichte wie eine Roulettescheibe betrachten und uns nach Bedarf daraus bedienen“, widerspricht Wild, „kann ich doch nicht einsehen, mich ab Retro-Rocker bezeichnen lassen zu müssen und dafür Buße zu tun.“ Außerdem habe man für die letzte Reise noch haufenweise CDs der Beatles und Doors eingepackt, aber „jetzt amüsieren wir uns mit Underworld und Massive Attack„.

Was das nun heißen und bedeuten soll, fällt ziemlich schwer auch nur zu ahnen. Von Big Beat oder TripHop ist bei Taxiride jedenfalls nichts zu hören, auch wenn sie noch so schlau daherreden. Irgendwie haben uns die Jungs besser gefallen, als sie noch mit ihren sprachlichen Delikatessen made in Australia wucherten. Ach, welch ein Glück, sie haben das bemerkt! Also zurück in die verbale Fransenlederjacke! Recht holprig zwar und über Stock und Stein, aber immerhin. Erfolg heißt nun das rettende Stichwort.

Ja, das sei wohl in Australien eine etwas andere Kategorie, „man muss uns schon in günstigen Momenten erwischen, wenn man uns feiern sehen will“ Zahlen, Daten, Fakten, Fakten, Fakten nämlich seien absolut nicht entscheidend, „wenn der letzte Gig ein miserabler war. Dann sind wir ganz unten, down und deprimiert, und dann ist Erfolg in weiter Ferne.“ Bevor nun aber grau und trist die Welt im allgemeinen und der Pop als Teil von ihr wird, fällt zum Glück rechtzeitig ein Stichwort, das ungeahnt die Band zur Bestform in der Rednerkanzel treibt. Das Wort heißt England, dessen Königin bis heute auch die Aussies Staatsoberhaupt zu nennen haben. Für Popstars wie Taxiride gleicht die Insel in der Nordsee dennoch – oder auch deshalb?- einem Reich des Bösen. Ein kurzer, klarer Satz nur, und die Gegner sind postiert „Das Einzige, was wir zur Karriere-Förderung total ablehnen“, sagt Jason Singh, „ist Hype.“ Potzblitz! An einen Feldzug quer durchs Land der Briten also ist gar nicht gedacht? „Doch, Pläne dafür gibt es schon.“ Tim Watson greift zur nächsten Filterlosen. „Vermutlich werden wir erst einmal behaupten, die beste Rockband seit Erfindung des Rock’n’Roll zu sein, mindestens. Und dann dachten wir daran, zur Ermordung Liam Gallaghers aufzufordern. Das müsste doch eigentlich recht gut klappen, oder etwa nicht?“ So weit vom Zeitgeschehen weg scheinen die Aussies doch gar nicht zu sein.

Ihre Galionsfiguren halten sie auch in Ehren. Der Name Michael Hutchence fällt im Gespräch auffallend oft, und als „Performer, der in einer Liga mit Mick Jagger spielte“, scheint der Boss von INXS bei dem Trio nicht schlecht wegzukommen. „Seitdem er uns gezeigt hat, dass Glamour und Professionalität keine Eigentümer Europas und Amerikas mehr sind“, sagt Singh und streicht sich durch sein gegeltes Haar, „glaubt kein Australier mehr, sein Leben lang nur für die Leute im eigenen Land musizieren zu müssen.“ Und in Zeiten, da Britney Spears oder die Backstreet Boys den Pop definieren könnten, sei doch wohl „genügend Platz und auch Bedarf, es mal mit anderen Musikern zu versuchen. Wir sind so weit gekommen, dass die Rettung sogar aus Australien kommen könnte.“

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