Rückkehr der kosmischen Ritter

Mit einem der ersten Moog-Synthesizer erlangten Tangerine Dream Wettruhm. Das Ambient-Revival bringt den lange verpönten Kraut-Rockern wieder Respekt ein

Wie das damals eben so war: Die Samtjacke vom Trödelmarkt. „Die habe ich getragen, bis sie auseinanderfiel. Eines Tages steckte zufallig ein Stück Sandpapier in der Tasche. Mit der einen Hand fühlte ich rauhen Schmirgel, mit der anderen weichen Samt. In dieser Sekunde wußte ich: Das ist es!“ Seitdem begrüßte Edgar Froese neue Musiker bei Tangerine Dream mit Samt und Sand: „Kannst du das in Musik ausdrücken?“

30 Jahre gibt es Tangerine Dream; die Welt hat sich verändert. Aber ihre Adresse ist die alte, Schwäbische Straße in Schöneberg, nicht mal die Telefonnummer hat gewechselt. Seltsamer Anachronismus. Alles von gestern? Elektronische Musik, das einzige Selbstgestöpselte, das Deutschland der Popwelt je mitzuteilen hatte. Sie waren ganz groß mittendrin in den 70ern: Weltruhm, Goldene, Hollywood. In den 80ern weiter erfolgreich, aber Kritiker hörten Synthesizer nur noch „wabern“. Erst seit ein paar Jahren – Trance und Ambient sei Dank – gilt als musically correct: „Phaedra“, „Ricochet“ und „Exit“ sind toll, Mellotron und Moog doch kein Irrtum der Evolution.

Seit 1989 sind Sohn Jerome und Edgar Froese Tangerine Dream; mit der Saxophonistin Linda Spa haben sie gerade das Album „Goblins Club“ veröffentlicht. Hierzulande bekommt man wenig davon mit – ein Großteil der Arbeit spielt sich im Ausland ab.

Das kosmopolitische Dream Team pendelt zwischen Wien, London, New York und LA. Wir treffen uns in ihrem Berliner Übungsstudio. „Manchmal schellen merkwürdige Leute und denken, das wäre ein Puff, da man von außen nichts erkennen kann“, begrüßt mich Jerome. Der Vater schenkt Kaffee ein, „den herzfreundlichen“. Edgar Froese, der als Blues-Fan und Gitarrist angefangen hat, ist 52, der Sohn halb so alt. Als Kind war er auf jedem TD-Cover versteckt.

Berlin 1967, die kleine Welt ist im Rausch, die große Welt verändern zu können. „Das war die totale Auflehnung gegen das deutsche Wohnzimmer“, sagt Edgar Froese, „die Gesellschaft war ein toter Haufen Mensch für uns. Im Cafe Zodiac spielten wir unsere Nachtkonzerte, oder was wir damals so nannten. Es war vor allem laut“ Im Zodiac brodelte die Ursuppe der Bewegung, hier fühlten sich noch alle wohl im selben Topf, Kiffer, Künstler, Kommunarden mit gemeinsam halluziniertem Ziel vor den geweiteten Pupillen. Dann wurde aus den „Umherschweifenden Haschrebellen“ die „Bewegung 2. Juni“. Tangerine Dream wollten nie Flugblätter singen – ihre Revolution war instrumental. „Wir haben an alle möglichen Gegenstände Kontakmikros geklemmt, um Ungehörtes zu finden.“

September 1968, Essener Songtage, Initialzündung für deutsche Rockfestivals. Erstmals Zappa. Und TD: „Wir als Underground-Band auf derselben Bühne mit Zappa das war ein Hammer. Keine Ahnung, ob wir uns blamiert haben. Spielte auch keine Rolle, weil es familiärer als heute zuging.“

„Electronic Meditation“ hieß 1970 mit Klaus Schulze am Schlagzeug – die erste TD-Platte auf dem „Ohr“-Label, das Rolf-Ulrich Kaiser mit dem Schlagerproduzenten Peter Meisel gegründet hatte. Musikerrechte galten wenig, und statt mit Kaisers Kosmischen Kurieren und Timothy Leary weiter durchs Acid-All zu düsen, mußten sich TD bis zum Bundesgerichtshof durchklagen, um ihre Plattenrechte wiederzubekommen. 1973 erklärte John Peel „Atem“ zu dem Album des Jahres. Der Plattenverkäufer Richard Branson hörte davon, fand die Musik gräßlich, wollte aber ein Label gründen und wußte: Was Peel spielt, gilt. Ein Tape hatte er bereits auf dem Tisch „Tubular Bells“. Auch Peter Baumann, Edgar Froese und Chris Franke gelang mit „Phaedra“ ein weltweiter Erfolg.

Vorher mußte Mick Jagger jedoch noch ein Teufelsding verkaufen, das ihm keinerlei satisfaction bereitete: einen Moog-Synthesizer „Peter Meisel, mit dem wir vor Gericht standen, kaufte dieses Ungetüm vom Stones-Managment“, erzählt Edgar Froese. „Ein Haufen aus Kabeln und Schrott. Keiner wußte, wie man das Ding bedient. Aber Chris hatte ein Faible dafür. Als die ersten Töne rauskamen, sind wir total ausgeflippt. Meisel sagte: Damit soll ich Schlager produzieren? Und wir: Nee, du sollst uns das verkaufen. So kamen wir an unseren ersten Moog.“ Und an die hypnotischen Sequencerläufe, TD-Markenzeichen neben dem notorisch schön dahineiernden Mellotron, das trotzdem für Mißtöne sorgte: „Beim ersten Konzert in der Londoner Royal Albert Hall am 1. April 1975 mußten wir 2000 Pfund Strafe an die britische Musikergewerkschaft zahlen, als Gage für drei Kammerorchester, die wir angeblich mit unseren Mellotronen arbeitslos gemacht hätten.“

1977 stieß der US-Regisseur William Friedkin in einem Schwabinger Plattenladen auf TD und fand so die Soundtrack-Autoren für „Sorcerer“, sein Remake von „Lohn der Angst“. Seitdem standen Hollywoods Studiotüren weit offen für TD. Selbst ihr einziger Single-Hit in Deutschland stammte aus einem Film: „Das Mädchen auf der Treppe“ (1982). Nach 20 Soundtracks und 16 Jahren mag Edgar Froese nicht mehr: „Ich bin das Leinwand-Gemetzel leid, und in Hollywood bist du als Musiker nur noch Erfüllungsgehilfe.“

Die 80er Jahre: spottbillige Synthesizer und Keyboards, Digitalisierung, MIDI, Home-Recording. „Wir waren plötzlich nicht mehr allein in der Wüste.“ Und nirgends Pioniere. Mit Interesse und Skepsis verfolgen Vater und Sohn die Ambient-Renaissance. „Wir haben viele Angebote, Dance-Hits zu remixen oder TD-Songs von DJs remixen lassen“, so Jerome. Grandios: Tricky und Aphex Twin mit den uralten Bändern arbeiten zu lassen! Doch da wird der freundliche Edgar Froese grantig: „Das ist wie TD bei ALDI, wie eine Platte mit Sprung, da geht alles verloren, was wichtig ist an der Musik!“

„Tangerine“ ist die Farbe der Mandarine. Und wie war das mit den anderen Farben? „Marihuana und LSD haben mir geholfen, scheinbar Unverrückbares in Frage zu stellen: Warum denkst du so? Ist der Ball wirklich rund? Einige Antworten suche ich noch immer, andere habe ich nach Jahren erhalten. Eine wesentliche auch auf Acid: Die Droge öffnet dir die Tür aus dem Gefängnis. Du kommst in einen neuen Raum. Da ist wieder eine Tür, dahinter ein neuer Raum. Bis du merkst: Es sind alles Räume ein- und desselben Gefängnisses. Eine blitzartige Erkenntnis. Seit 20 Jahren nehme ich keine Drogen mehr.“ Darauf einen Kaffee – herzfreundlichen ohne Koffein.

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