Jünger als gestern noch

Das ehemalige kino royal im schweizerischen Baden ist ein Auftrittsort ganz nach dem Geschmack von James Bagshaw. Auf der niedrigen Bühne vor der alten Leinwand steht der Sänger der Temples mit dem Publikum fast auf Augenhöhe. Eine geisterhafte Seventies-Erscheinung mit Dandy-Pelzmantel, Marc-Bolan-Wuschelfrisur und glitzerndem Feenstaub auf den Wangenknochen gibt den distanzierten Paradiesvogel. Da braucht es keine Ansagen oder kumpelhaften Gesten. Drummer Sam Toms und Organist Adam Smith spielen stoisch ihr Set. Einzig Bassist Thomas Warmsley springt gelegentlich herum und lässt das schulterlange Haar wippen. Bagshaw führt seine Band durch einen melodiösen Trip, der aus der Improvisation immer wieder in strukturierte Harmonien zurückkehrt.

Dazu würden bunte Ölscheiben-Projektionen gut passen, doch die Temples funktionieren auch ohne große Lichtshow. Die Songs werden lauter und räudiger, die Riffs fetter und das einsame Kaleidoskop in Technicolor bekommt einen Blaustich. Als zum Ende „Shelter Song“ anklingt – die erste Single und Indie-Überhit des vorigen Jahres – gerät auch das Publikum auf den hinteren Rängen in Wallung. Bagshaw lässt die zwölfsaitige Rickenbacker jingeln und führt seine Jünger auf eine Reise ins Dämmerlicht. Bereits zum Schlussapplaus tritt die Band ab. Bagshaw murmelt einen letzten Gruß und verschwindet standesgemäß ohne Zugabe. Rockstar-Arroganz trifft Newcomer-Schüchternheit.

Der Auftritt beim geschmackvoll kuratierten Festival „One Of A Million“ ist eine Momentaufnahme des erstaunlichen Aufstiegs der Temples. Bereits vor der Veröffentlichung ihres Debütalbums „Sun Structures“ wurden sie für Konzerte in Europa, Japan und den USA gebucht. Beim Hyde-Park-Konzert der Rolling Stones waren sie auf der Nachwuchsbühne dabei. Immerhin reichte es für eine kurze Backstage-Begegnung mit Charlie Watts. Nicht schlecht für vier Jungs aus der mittelenglischen Provinzstadt Kettering, die gerade mal Anfang zwanzig sind. Das Lob von Traditionalisten wie Noel Gallagher mag ihre rasante Entwicklung gefördert haben.

Der Ausgangspunkt war jedoch ihre akribische Beschäftigung mit Psychedelia aller Art. Die Temples verweisen auf Einflüsse zwischen Byrds, Gong, Soft Machine und -aus Gründen der opulenten Orchestrierung – „Days Of Future Passed“ von den Moody Blues. Eine neue Psychedelia-Generation hat frei schwebend in den musikalischen Baukasten der Jahrzehnte gegriffen. Auf ihrer Website ist neben Schnappschüssen vom weltweiten Tourleben eine Montage mit Plattencovern von Osibisa, Steve Hillage und Pink Floyds „Obscured By Clouds“ zu besichtigen. „Das ist unsere Internet-Schatzkiste mit Fundstücken, die wir mögen und teilen möchten. Eine eher atmosphärische Sache, die zeigt, was wir für Typen sind.“ Dazu bedienen sie die Sehnsucht nach einer verschworenen Subkultur, die jenseits von digitalen Fantasien an echten Orten stattfindet.

Vor ihrem Interview-Tag in Berlin hat es Bagshaw und Warmsley wie selbstverständlich in die 8mm Bar verschlagen. Die schummrige Musikkneipe an der Schönhauser Allee vereint ein weitgefasstes Underground-Spektrum, das den Retrospezialisten aus Northamptonshire ein heimeliges Gefühl gibt. Whiskey Sour schlürfend war Bagshaw mit dem DJ ins Gespräch gekommen, der sich sofort mit dem Temples-Kosmos vertraut zeigte. „Wir sprachen natürlich über Musik und kamen schnell darauf, dass er einige Leute aus unserem direkten Umfeld kennt“, erzählt er. „Unglaublich, was das für eine spezielle Gemeinschaft ist, die auf der ganzen Welt verstreut ist. Eine Gitarrengemeinde zwischen Garage Rock, Shoegaze und Psychedelia.“

Es sagt einiges über Popmusik 2014 aus, dass es mal wieder einen Neo-Trend gibt und einer der dynamischsten Newcomer des Jahresanfangs eine Retro-Band ist. Und Psychedelia als wiederkehrendes Phänomen hat ja auch schon einige Runden gedreht. Bereits mit den „Nuggets“-Compilations mit Material aus den Jahren 1965 bis 68 wurde der amerikanische Garagen-Underground in der Prä-Punk-Phase zum ersten Mal zurück ins Bewusstsein geholt.

Die „Pebbles“-Serie führte diese Aufarbeitung später weiter. Und immer wenn Sturm-und-Drang-Phasen neuer musikalischer Entwicklungen vorüber waren, schlug die Stunde des Paisley Underground. Nach Punkrock und New Wave trieb die Subkultur eine ganze Welle von Bands an der amerikanischen Westcoast voran. Von Dream Syndicate über Rain Parade bis zu The Bangles, die Ende der Achtzigerjahre eine steile Mainstream-Karriere hinlegten. In den Neunzigern formierte sich in San Francisco das bis heute aktive Brian Jonestown Massacre. Auch die Manchester-Szene suchte nach dem Rave-Rausch ihr Heil in flirrenden Rocksongs. Im Britpop sorgten diese über die Jahrtausendwende hinaus für diverse neue Hoffnungen. In den Zehnerjahren begann die nächste Wiederentdeckung mit den australischen Space-Rockern Tame Impala. Sie verpassten den sphärischen Gitarren den nächsten frischen Dreh, der sie bis in die Top 20 der britischen Charts führte. Auf den Labels Trouble in Mind oder Rocket Recordings wird der Underground gepflegt. Wie weit dieses Spektrum heute reicht, zeigen das Austin Psych Fest und das Liverpool International Festival of Psychedelia, welche die Elektroniker Clinic, den Sixties-Wiedergänger Jacco Gardner und die Avantgardisten von Animal Collective zusammenführen. Auch die Geschichte des Temples-Labels Heavenly ist bezeichnend für diese Entwicklung in die Breite. Anfang der Neunziger startete man mit Acid-Houseund elektronikorientierten Popbands wie St. Etienne – mittlerweile sucht Labelgründer Jeff Barrett die Zukunft zwischen Psychedelia und Dream Pop. Mit den Temples hat er die ersten Posterboys der schillernden Bewegung gefunden.

Gestylt mit Chelsea-Boots, engen, schwarzen Jeans und einem weißen Rollkragenpullover, verweist Bagshaw auf das britische Songwriting, das ihn bei seinen Exkursionen durch die Popgeschichte faszinierte: „Natürlich haben sich die regionalen Einflüsse immer mehr vermischt. Doch mich hat die Exzentrik von Syd Barrett und Ray Davies weit mehr gereizt als die entspannte Hippie-Tradition der amerikanischen Westcoast. Auch der hintergründige Humor schwarzer Komödien gehört für mich zu dieser britishness.“ Seine Songs handeln von einer seltsamen Mystik, goldenen Thronsälen und verwischten Farbfeldern. Während diese wabernde Poesie in den späten Sechzigern mit LSD-Experimenten verbunden war, ist sie für die Nachgeborenen zum Stilelement geworden. Schließlich sind die Temples keine expliziten Drogenköpfe, von diversen Drinks mal abgesehen. Das Albumcover zeigt die vier in eingefrorenen Posen vor einem mittelalterlichen Gebäude am Waldesrand, der Triangular Lodge. Ein dreieckiger Turm, den sich ein renitenter Adeliger im 16. Jahrhundert hat errichten lassen, um als Katholik gegen die Dominanz der protestantisch-anglikanischen Kirche zu rebellieren. „Diese Verbindung zwischen Extravaganz und Protest gab es in England schon vor Jahrhunderten. Die Lodge liegt gerade mal fünf Auto-Minuten von unserem Viertel entfernt. Ein eher abgelegenes Nationaldenkmal ohne Besucherzentrum oder Cafeteria, wo man sich trifft und spinnerte Ideen ausbrütet. Von dort aus führen unterirdische Gänge in die nahegelegene Rushton Abtei.“

Die Schulkumpels bewegten sich anfangs in örtlichen Mod-Kreisen und nahmen aus einer Laune heraus gemeinsame Demos auf. Nachdem sie ihren „Shelter Song“ ins Netz gestellt hatten, verbreitete er sich mit rasanter Geschwindigkeit, sodass schnellstens eine richtige Band her musste. Schlagzeuger Toms und Organist Smith kamen hinzu. Dabei gab es anfangs nur drei weitere Songs:“The Golden Throne“,“The Guesser“ und „Keep In The Dark“. Was ursprünglich als Online-EP gedacht war, landete bald beim renommierten Londoner Indie Heavenly Records. „Sie wollten 2013 eine Single auf Vinyl veröffentlichen, während wir uns absolut nicht vorstellen konnten, dass sich überhaupt ein echtes Label für uns interessiert“, sagt Warmsley. Denn vom Selbstverständnis sind die Temples eine typische Do-It-Yourself-Band. Alles entsteht in Eigenregie: Ihr gerade mal sechs Quadratmeter großes Ministudio in Kettering ist im Keller von Bagshaws Backstein-Reihenhaus untergebracht. Auf diese Weise konnten sie wie Schlafzimmer-Produzenten arbeiten, ohne große Kosten. In der Kombination von alten Effektgeräten, Tonbandmaschinen und digitalen Aufnahmeprogrammen ist dann jene Soundmischung entstanden, die vertraute Retro-Sounds so modern klingen lässt. „Da wir wegen der Nachbarn abends kein Schlagzeug aufnehmen konnten, haben wir viel über Kopf hörer mit der Drum Machine ausprobiert, was uns durchaus neue Perspektiven eröffnete“, erzählt Bagshaw. Nach einem legendären ersten Auftritt auf dem Green Man Festival („vor vielleicht 50 Leuten“) spielten sie sich quer durch die britische Clubszene. In der Zwischenzeit kehrten sie immer wieder in ihr Studio zurück, wo in einem Stop-and-Go-Prozess ein komplettes Album mit mehrstimmigen Harmonien und schwelgerischen Hooklines entstanden ist: „Mesmerize“ ist ein schneller Ritt durch den jungen Morgen, mit jaulenden Saiten und rasanten Tempowechseln. Der Schlagzeugsound, auf den sie viel Wert gelegt haben, kracht wie bei frühen Motown-Singles. „The Guesser“ ist mit seinem fordernden Wechselspiel von Bagshaws schwelgerischem Gesang, Drums und Orgel absolut rockpartytauglich. Ihre Songs sind mit großer Finesse detailverliebt und variabel arrangiert. Etwa das verhalten jingelnde „Move With The Season“ oder das munter polternde, von einer Geisterorgel begleitete „Keep In The Dark“. Bei „Sand Dance“ werden Bass und Gitarre durch den Verzerrer gejagt, wobei die Temples keineswegs daran interessiert sind, sich in komplexen Experimenten zu verlieren.

Bei so vielen Verweisen auf die Popgeschichte stellt sich die Frage, was den Temples zur Musik ihrer Altersgenossen einfällt, zu Dubstep, HipHop oder Grime?“Das ist nicht gerade unser Ding“, sind sich Bagshaw und Warmsley einig. „Im Gegensatz zur elektronischen Musik aus Deutschland oder Frankreich. Von den aktuellen Projekten schätzen wir Air. Der Sound von ,Moon Safari‘ hat uns ziemlich gefangen genommen, auch wenn der sicher sehr schwer live umzusetzen ist. Unsere eigentliche Leidenschaft aber gehört den Siebzigern mit Klaus Schulze, Edgar Froese von Tangerine Dream und natürlich Kraftwerk. Auf unserem Album kombinieren wir ja beides: schroffe Gitarren und Ansätze zum großen Klangentwurf. Wenn beides in den klassischen Drei-bis-vier-Minuten-Popsong passt, ist es perfekt.“

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates