Rumba mit Rumsäufern

Ein Hausbesuch bei dem schreibenden Weltenbummler Hans Herbst in Hamburg.

Nach langen Jahren der Wanderschaft und Weltenbummelei ist er irgendwann wieder zurückgekehrt in seine Geburtsstadt Hamburg. In Eimsbüttel liegt das derzeitige Domizil von Hans Herbst. Als ich ihn darauf anspreche, winkt er gleich ab. Ihm gefalle es hier gar nicht. „Viel zu ruhig.“ Da war schon mal mehr los in seinem Leben, soll das wohl heißen. Etwa in der Pariser Demimonde Ende der Fünfziger, als ihn die Flies, nervös von den Plastikbombenanschlägen der algerischen Unabhängigkeitskämpfer, mehrmals auseinandernahmen und für ein paar Monate in den berüchtigten Knast „La Sante“ steckten. Oder dann in den süddeutschen Army Clubs, wo er sich von den schwarzen GIs die Anfangsgründe auf den Congas beibringen ließ. Oder in den heruntergekommenen, nur von Plastikplanen überdachten Tavernen Mexikos und Brasiliens, in den Jazz-Clubs Nordamerikas, in Libyen, wo er das ganz große Geld mit dem Erdöl machen wollte. Oder Anfang der 90er Jahre in Kuba, wo er sich von den „Roneros“, den Rumsäufern, in den schwarzen Vierteln von Santiago zeigen ließ, was eine richtige Rumba ist. Die Conga, sein Instrument, steht denn auch gleich neben der Garderobe in dem kleinen schummerigen Eingangsflur, der vollgehängt ist mit seiner Pfeifensammlung.

Später zeigt er mir eins seiner Lieblingsstücke, eine große Frau mit gespreizten Beinen als Pfeifenkopf, dahinter eine Kanone, die von zwei kleinen Männchen bedient wird und auf den Schoß der Schönen zielt. „Das muss schon sein“, sagt er mit einem Lachen. Wer die vitalen, stolzen und lebensklugen Frauen seiner Storys kennt, die von seinen Antihelden und Schmerzensmännern angebetet werden als Allheilmittel gegen die Unbill dieser Welt, weiß diesen kleinen Machospaß richtig zu deuten. Hemingway steht nicht umsonst am Anfang seiner Biografie als Leser.

Er führt mich in eine kleine offene Küche. Ein halbes Wasserglas Rotwein und ein Teller mit einem übriggebliebenen Streifen Camenbert auf dem kargen Küchentisch drapieren sich hier zum Stilleben eines mediterranen Frühstücks. Das sieht aus, als wäre es Absicht. Und zuzutrauen wäre ihm auch das noch. Herbst hat sich nicht nur als Autoschlosser, Steineschlepper, Eisenflechter, Kranfahrer, Hafenarbeiter und Kellner verdingt, er war eben auch Beleuchter bei Fassbinder. Michael Ballhaus und Norman Jewson. Bei denen hat er einiges gelernt — nicht zuletzt, was einen guten Set ausmacht. Das merkt man seinen rüde-realistischen, die Poesie im Dreck der Straßen suchenden Erzählungen jederzeit an.

Die Küche erweitert sich nach rechts zum Salon. Ein schwerer Perser auf dem groben Dielenboden, ein edel gemaserter Schreibtisch mit goldenen Beschlägen. An den Wänden alte Landkarten, auch hier viele Pfeifen, Schwarzweißbilder von dunkelhaarigen Schönheiten. In den Bücherregalen stehen viele Taschenbücher, Krimis. Da kennt er sich aus. Was er so gelesen habe? „Hammett, Chandler, Ross Thomas, quer durch“, sagt er knapp, wie er sich über literarische Fragen ohnhin nur stichwortartig und fast widerwillig auslässt. Auf seine stilistische Affinität zu Jörg Fauser angesprochen, meint er: „Es gibt einen großen Unterschied Zwischen uns. Jörg war ein richtiger Intellektueller. Und der bin ich nun absolut nicht.'“

Fauser hat Herbsts Debüt „Der Cadillac ist immer noch endlos lang und olivgrün“ im Berliner „Tip“ eine sehr freundliche und treffsichere Besprechung gewidmet. Er sah in ihm einen Bundesgenossen in seinem Windmühlenkampf gegen die erfahrungslose, zentralgeheizte Schreibtischliteratur. Herbst habe sich erst mal im Leben umgesehen, konstatiert er zu Recht, „bevor er sich an die Maschine setzte und uns zeigte, dass er außer Trommeln und Weiten auch den Rhvthmus kennt, der aus Wörtern Menschen macht“. Seine Protagonisten schlagen sich so durch im kleinkriminellen Milieu, in Paris, in Mexiko und Brasilien, leben in billigen Absteigen, und ganz bei sich sind sie nur in den Armen einer Frau oder an der Trommel, wenn der Groove ihr kleines bisschen Leben transzendiert.

Man ahnt, dass er die hier beschriebenen Interieurs, Milieus und Plätze der Halbwelt aus eigener Anschauung kennt. „Das ist mein Fundus, ich komme daher“, bestätigt er. „Man darf auch nicht vergessen, ich bin in einer Zeit aufgewachsenen der es völlig normal war, kriminell zu sein. Nach dem Krieg, keiner hatte etwas. Wir alle haben geklaut, wo wir konnten, schon als Kinder. Das war normal. Das war völlig normal, das gehörte zum Überleben. Und dass ich hinterher in eine Szene hineinkam, die … naja, davon gar nicht so verschieden war, das war völlig organisch. Das Unrechtsbewusstsein kam sehr viel später.“

Etwa als er sich auf seinen Reisen nach Lateinamerika mit dem Verbrechen im ganz großen Maßstab konfrontiert sah. Sein Thriller „Mendoza“, gerade wiederaufgelegt als dritter Band der schmucken, sorgfältig gemachten Hans-Herbst-Werkausgabe im Pendragon Verlag, arbeitet sich ab an den vielfältigen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen Frankreichs und Deutschlands mit Pinochets Terrorregime in Chile, nicht zuletzt an der „Colonia Dignidad“, dieser deutschen Fascho-Sekte, auf deren Gelände sich Folterkeller des Geheimdienstes befanden. Carlos Mendoza überlebt die bestialische Schinderei, ersucht in Frankreich um politisches Asyl, gerät dann aber zwischen die Fronten. Die Häscher Pichochets wollen verhindern, dass er auspackt, und die emigrierten Regime-Gegner benutzen Mendoza als Lockvogel. Mendoza nimmt den Kampf auf. Und dass dieses albtraumgeplagte, inkontinente psychische Wrack am Ende wieder ein Leben hat, dafür sorgt einmal mehr die Liebe einer Frau.

Herbst ist ein Romantiker, der von der Realität immer wieder eines Besseren belehrt wird und der daran trotzdem nicht zu verzweifeln versucht. Die Widersprüche muss man aushalten, auch wenn sie schmerzhaft sind ‚wie im Fall seiner großen Liebe Lateinamerika. „Wie sich auf einer Müllhalde zwei Menschen prügeln, weil sie ein Stück zu essen gefunden haben, so etwas erlebt man jeden Tag, und das bricht einem das Herz. Nein, da war des Bleibens nicht, obwohl mein Herz immer noch an Brasilien hängt.“

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