Schweinereimer

Pest, Peseten, Penetration: Die Sommer-Debatten in deut- schen Medien drehten sich um jugendgefährdenden Rap und die Frage nach Zensur. Aber verdienen die Provokateure die ganze Aufmerksamkeit? Ein paar letzte Worte zum Thema

Wenns mit dem HipHop nicht klappt, verkaufe ich eben Drogen“, sagt Bushido, ein 26 Jahre alter Rapper aus Berlin, Sohn eines Tunesiers und einer Deutschen und wohl einer der meistinterviewten Popstars des deutschen Feuilleton-Sommers – dessen aktuelles Album „Carlo Cokxxx Nutten II“ sich munter in den Toprängen der deutschen Charts tummelt. Bushido hat keine Probleme damit, in seinem Titel „Gangbang“ auf brutalste Weise die Mehrfachpenetration einer Frau zu schildern. „So funktioniert Gruppensex“, heißt sein lakonischer Kommentar dazu. Und auch wenn er sich immer wieder von jeglichen rechtsradikalen Tendenzen distanziert, findet er nichts dabei, den bei seinen Konzerten durchaus vorhandenen Skinheads anschließend Autogramme auf die Glatze zu schreiben.

Dem harmlosen Teenie-Magazin „Bravo“ werde er erzählen, prahlt hingegen der Berliner Rapper Sido, „daß ich mit Yvonne Catterfeld bumsen will. Das ist vielleicht ein bißchen hart für die, aber sie werden es drucken.“ Nun wollen wir uns nicht damit aufhalten, wen er mit „die“ meint, also für wen das „ein bißchen hart“werden könnte — weil man davon ausgehen kann, daß die brave Schlagersängerin Catterfeld wohl wenig Lust auf ein Poussierverhäitnis mit jenem 24jährigen Mann hat. Jenem Rapper, der sich bis vor kurzem noch ausschließlich mit einer silbernen Totenkopfmaske der Öffentlichkeit zeigte, der jüngst mit dem „Arschf*cksong“ in den Hitparaden reüssierte und der im vergangenen Jahr bei den Stuttgarter „HipHop-Open“ noch eine Schlägerei mit dem Rap-Kollegen Azad anzettelte.

Und der Rapper Fler, dritter im Bunde der neuen deutschen Unsachlichkeit, ziert seine aktuelle, ebenfalls hoch in die Charts eingestiegene CD „Neue deutsche Welle“ mit Frakturschrift, bewirbt sie mit dem Slogan „Am 1. Mai wird zurückgeschossen'“ und singt auf ihr: „Das ist schwarz-rot-gold, hart und stolz. Man sieht’s mir nicht an, aber glaub mir, meine Mom ist deutsch.“ Und das Gerücht, er habe den Produzenten DJ Uan als „geldgeiles Judenschwein“ tituliert, ließ er nie dementieren.

So sehen sie aus, die neuen deutschen Rapper, die derzeit im HipHop-Markt den Ton angeben – und bis zum Erbrechen für Schlagzeilen sorgen. Dreist genug können die Fäkal- und Genitalworte für sie gar nicht sein, ordinär sind die Lyrics der Songs, die gerne einmal „LMS“ („Lutsch meinen Schwanz“) oder „Fickdeinemutterslang“ heißen und vorgebracht werden von Jungs wie Bushido, die sich damit brüsten, schon gesiebte Luft im Knast geschnuppert zu haben. Rüpel sind ihre Sänger, sexistisch, aggressiv und primitiv versuchen sie, die in Deutschland wenig ausgeprägte Tradition des Battle-Rap hochzuhalten, wenn sie wie Fler den HipHopper Tomkat als „schwulen Zigeuner“ bezeichnen, der sich „ganz kraß mit seiner ganzen Sinti-Sippe in den Arsch ficken“ solle. „Hier reimt die Unterschicht“, schreibt der „Spiegel“ über die vermeintlich harten Männer, und die Feuilletons von der „taz“ bis zur „Süddeutschen“ empören sich.

Mittlerweile kriegen sie bekanntlich auch mit der Obrigkeit Probleme. Sido hat es bereits dazu gebracht, daß sich die Bundeszentrale für jugendgefährdende Schriften mit seinem Oeuvre zu beschäftigen begann. Sie konnte sich allerdings zu Indizierungen nicht durchringen. Bushido erwischte es: Drei seiner fünf Alben durchliefen den Indizierungsprozeß, das Debüt „King Of Kigz“ kam ebenso auf den Ab-18-Index wie zwei Compilations des Aggro-Labels. Daß – davon abgesehen – seit 1993 gerade einmal elf Platten in Deutschland indiziert worden waren (als erstes übrigens „Frohes Fest“ von den Fantastischen Vier), empfindet Bushido offenbar sogar als Auszeichnung: Drei untersuchte Alben seine „eine ziemlich hohe Quote für einen einzelnen Musiker“.

Doch sieht sie so aus, die neue Generation der deutschen Rapper? Sind sie ein Massenphänomen und die Empörung der Presse mithin gerechtfertigt? „Hauptsache Hau-drauf-mäßig“, urteilt Thomas D. von eben jenen Fantastischen Vier, seien seine neuen Kollegen. Während er seinen Widerwillen über Sido nicht verhehlt („Er ist frauenfeindlich, schwulenfeindlich und politisch absolut inkorrekt“), zeigt er sich vor allen Dingen über die öffentliche Resonanz erstaunt, die der HipHop plötzlich republikweit auf den Kulturseiten der Zeitungen findet. Es sei „schon erstaunlich, daß Leute mit Migrantenhintergrund Naziästhetik bemühen, so unverschämt mit allem um sich werfen, was politisch inkorrekt ist, und es damit in Feuilletons schaffen. Ich glaube, das ist echt überbewertet“, sagt Thomas D. Repräsentativ für die HipHop-Szene sei diese Musik jedenfalls nicht: „An einem Song, an einem Künstler aufgehängt läßt sich niemals eine Szene, geschweige denn die deutsche HipHop-Szene, festmachen. Und es handelt sich hier, da bin ich mir ziemlich sicher, einfach nur um den Wunsch, aufzufallen um jeden Preis, gemischt mit politisch absoluter Unkorrektheit. Das kann ich ein bißchen bedauern, ich kann es vielleicht auch belächeln, aber ernst nehmen kann ich es nicht.“

Und das sollte man auch nicht. Zwar trifft der Vorwurf an einige von ihnen zu, mit musikalischen Inhalten zu kokettieren, die auch unter glatzköpfigen Rechtsradikalen salonfähig sind – und die entsprechend vereinnahmt werden. Aber für eine neue Politisierung des HipHop stehen sie gewiß nicht. Ganz im Gegenteil. Den Traum von einer offenen Gesellschaft, in der Menschen aller Nationen einst zu HipHop-Ursprungszeiten in Jams zusammenfanden, negieren sie mit ihrer bewußten Abgrenzungshaltung als Migrantencliquen. „Der multikulturelle Traum ist vorbei. Das Patchwork löst sich auf, man ist stolz auf seine Herkunft“, eine zuvor im HipHop irrelevante Variable, konstatiert Hannes Loh, einst selbst Rapper bei der hochpolitischen Formation Advanced Chemistry und Autor des lesenswerten Buches „Fear Of A Kanak Planet“. Ein paar neue Freunde am rechten Rand werden sie vielleicht auch finden. Von den billigen Provokationen abgesehen zeichnet sich ihre Musik — ganz im Gegenteil zu vielen Rappern, die sich bewußt im linken Spektrum verorten – aber durch explizit politische Aussagen nicht eben aus.

Bushido und seine Kollegen geben überhaupt im Gegensatz zu anderen Rappern, die ebendies durchaus reflektiert thematisieren, nicht allzu viel preis von den harten, realen Lebensverhältnissen, denen sie mit ihrer Migrantenidentität ausgesetzt sind und davon, daß sie sich „Fremd im eigenen Land“ fühlen, wie es Advanced Chemistry Anfang der 90er Jahre einmal besangen. Ihre Lyrics lassen jenseits des verbalen Aufjaulens mehrheitlich emotionale Tiefe vermissen. Sie drehen sich vielmehr größtenteils um die Facetten deutschen Unterschichtslebens. „Wenn alle meine arabischen Freunde kommen, sitzen da 800 Jahre Knast“, prahlt Bushido über sein Lieblingscafe in Berlin-Tempelhof: „Der einzige Unterschied zwischen denen und nur ist, daß ich es mittlerweile geschafft habe. Ich kann mir eine Uhr für 6000 Euro kaufen.“

Statt politischer Inhalte dominiert ihre Musik eine bisher nur von US-Rappern gekannte Großmannsucht. Es fehlt ihnen allerdings die Triebkraft der Old-School-Pioniere des HipHop, die ihre Musik als Ventil nutzten, als Aufschrei, um die Verhältnisse anzuprangern, in denen eine unterdrückte Black Community in den Gettos der US-Großstädte dahinvegetierte. Trotz Migrantenhintergrund haben sie vergleichbare Verhältnisse nicht, denn selbst in Berlin gibt es glücklicherweise keine allabendlichen Bandenschießereien. Von asozialen, verelendeten Verhältnissen ist Deutschland noch weit entfernt – aber vielleicht wünschen sich Sido (dessen Name für „Superintelligentes Drogenopfer“ steht), Bushido und Fler sie sich sogar daher – es würde sie wohlmöglich noch“authentischer“ machen.

Eine nötige kritische Reflexion sucht man in ihren Texten jedenfalls vergebens. Kein Wort über die möglicherweise negativen Wirkungen von Drogen, die von anderen Rappern durchaus thematisiert werden. Keine Silbe über selbstverschuldetes Elend, wie es manch anderer Rapper auf durchaus liebevolle Weise zu thematisieren vermag. Man brüstet sich lieber mit Vorstrafenregistern und eifert den ganz harten Gangsta-Rappern nach. Dicke Karren, fette Schießprügel, ein Leben zwischen Gym, Goldkette und Gewalt, zwischen Muckibude, Mädels und Maserati sind die erstrebenswerten Ziele eines Lebens, in dem alles zählt, nur keine Musik als individuelle Ausdrucksform des Befindens.

Wütend sind sie allein darüber, daß sich die von ihnen so diskreditierten „Spaßrapper“ in der massentauglichen neuen Mitte positioniert haben und ihnen den vermeintlich „authentischen“ Rap geklaut haben. „Ich kann den Frust verstehen“, urteilt Hannes Loh, wenngleich auch ihm natürlich jegliches Verständnis für die Texte der neuen deutschen Rapper fehlt. Bis zum letzten Funken haben sie ihre Musik daraufhin befreit vom Spaßfaktor, der deutschem HipHop bisweilen innewohnt. Nichts gibt es in ihren Texten zu hören von der herrlichen Reimwelt, in die uns feine deutsche Verse-Zusammendrechsler wie die Absoluten Beginner, Fettes Brot oder die deutschen Sprechgesangs-Gaudimaxe Fantastischen Vier mitnehmen. Nichts ist bei ihnen allerdings auch von jener nachdenklichen Zurückhaltung zu vernehmen, in der viele HipHop-Künstler auf Deutschland blicken. Weder kritisch noch spaßig zu sein — das muß man als Musiker auch erst mal hinkriegen.

Sido, Bushido oder Fler flirten ohnehin nicht deshalb mit dem Tabu, weil sie von dieser Gesellschaft nichts mehr erwarten würden. Ganz im Gegenteil sind ihre Erwartungshaltungen klar formuliert. Ihre Triebfeder ist schlicht die Provokation. Beziehungsweise: Die Triebfeder ist Gewinnmaximierung, die sich nur mittels Provokation realisieren läßt. In Zeiten, in denen schon alles dagewesen ist und es der krisengeschüttelten Plattenindustrie offenkundig egal ist, womit Geld verdient wird, muß man eben ein neues Faß aufmachen. Bushido deutet es mit dem eingangs zitierten „Wenn’s mit dem HipHop nicht klappt, verkaufe ich halt Drogen“ bereits an: Es geht ihm darum, kommerzielles Potential abzumelken, es geht nicht um Inhalte, es geht um Profite.

Kaum stellten sich bei Bushido die ersten Erfolge ein, wanderte er von dem Label Aggro Berlin, auf dem die meisten der Alben der neuen deutschen Provokanten erscheinen und bei dem auch er großgeworden ist, unverzüglich zum Musikriesen Universal ab. Soviel zum Thema Verbundenheit mit der Szene.

Aber all das sollte man nicht überbewerten. Denn zum Glück sind diese neuen Rapper in der HipHop-Community weder in der Majorität, noch sind sie Spiegel einer sich wandelnden Gesellschaft. Sie sind schlicht unrepräsentativ für ihr Genre. Sie leisten keinen notwendigen Beitrag zur distanzierten Auseinandersetzung mit dem Leben, keine wirkliche Sozialkritik, und ihre Musik ist auch kein Akt sozialer Notwehr, selbst wenn sie nichts mehr gemein hat mit der von ihnen so geschmähten „Gymnasiastenlyrik“.

Gewalt- und Obszön-Rap ist auch kein neuer Trend — selbst wenn Bushido sich dies wünschen würde, der großspurig in der „Süddeutschen Zeitung“ ankündigte, daß das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht sei: „In Sachen Verantwortung kann ich nichts versprechen. Ich glaube eher, es wird noch härter.“

Aber die Musik von Bushido, Fler, Sido, Kool Savas und den anderen Schweinreimern, die bald auf der sogenannten Welle mitsurfen werden, ist eben nicht der nötige Stachel im Fleisch, das aufrüttelnde Moment, das uns von der Lebenswirklichkeit in Deutschland erzählt. Sie ist viel banaler. Es ist HipHop, der dem bestehenden Sprechgesang wirklich keinerlei stilistische Neuerungen und Gehalt, sondern lediglich ein paar schrille Schlagzeilen hinzufügen konnte, produziert von bemitleidenswerten Dummköpfen, die es mangels musikalischer Mittel auf diese Weise zu Popularität brachten. Und nicht einmal das ist neu — so etwas hat’s in der Musikhistorie seit jeher gegeben.

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