Sean & Julian Lennon im Kampf um Erbe & und Identität

Der übermächtige Schatten des Vaters lastet schwer auf ihren Schultern - zumal der Zufall die Brüder nun gar zu Konkurrenten macht: Fast zeitgleich erscheinen in diesen Tagen ihre Alben - wobei der Ältere nach einer siebenjährigen Denkpause bereits den zweiten Anlauf wagt, während der jüngere sich erstmals vom Übervater zu emanzipieren versucht: Sean und Julian Lennon im Kampf um Erbe & Identität

Die Geschichte ist voll von ihnen: den genialen, mächtigen, berühmten (oder auch nur steinreichen) Männern und ihren Nachkommen, die an der ihnen urplötzlich in den Schoß gefallenen Erblast ihrer Überväter schwer trugen – und in der Regel kläglich scheiterten. Und wenn sich, wie im Fall von Julian Lennon, der Vater auch noch – seine drei Co-worker hatte er damals gnädigst mit einbezogen – für „größer als Jesus“ einstuft, dann bleibt dem Sohn eigentlich nur noch die Wahl zwischen Gottvater und Totalversager. Oder?

Wenn man Julian Lennon, inzwischen reife 35 Jahre alt, gegenübersitzt und mal kurz die Augen schließt, dann glaubt man seinen Ohren nicht zu trauen. Diese nasale und leicht blecherne Stimme, die zuweilen etwas von oben herab klingt: Ganz der geniale Ober-Beatle, dessen Karriere 1980 von einem amerikanischen Wirrkopf jäh beendet wurde. – Und die Optik tut ihr Übriges: Einzig die schwarze Hornbrille mit den orangefarbenen Gläsern unterscheidet Julian von Vater John, der ja sein Faible für Nickelbrillen 1974 mit „Walls And Bridges“ ein für alle Mal manifestierte. – Keine Spur aber von einer tragischen Sohn-Gestalt à la Ghetty jr. oder Mitchum jr., denn Julian Lennon ist völlig uneitel, sehr eloquent und überaus höflich.

„Valotte“ C84) und „The Secret Value Of Daydreaming“ (’86), mittelmäßig: „Mr. Jordan“ (’89), schwach: „Help Yourself‘ (’91) – eine siebenjährige Karenzzeit einlegt, um sich anno ’98 mit dem meisterlichen „Photograph Smile“ (auf dem Julian mehr als einmal wie John zu Fab-Four-Zeiten klingt) zurückzumelden, dann fragt man ihn – selbst auf die Gefahr des sofortigen Rauswurfs – wie man unter der Crux eines Familiennamens wie Lennon lebt oder leidet, und welch Motivationen und Selbstdisziplinierungen es angesichts des künstlerisch durchweg genialen väterlichen Nachlasses wohl bedurfte und bedarf, um als Musiker nicht laufend als bloße Marginalie abgetan zu werden oder gar als „der kleine Lennon“ in die Annalen der Popmusik einzugehen.

„Diese Thematik habe ich vor zehn Jahren endgültig abgehakt. Natürlich müssen sich ja die Ähnlichkeiten zwischen mir und Dad jedem Kritiker geradezu aufdrängen. Aber da vermutet man auch Ähnlichkeiten, die gar keine sind, gar keine sein können. So werde ich permanent gelöchert, ob ich nicht rund um die Uhr Beatles-Platten höre, und ob die als Gesamtkunstwerk für mich nicht den definitiven musikalischen Stein der Weisen darstellen würden. Aber wenn ich das verneine, sehe ich nur absolut ungläubige Gesichter. Das neue Album dürfte die Schreiber zwar – mehr denn je zuvor – zu dieser Frage provozieren. But who cares?

Wenn das Publikum die Platte liebt, wen interessieren dann vermeintliche Ähnlichkeiten? Es ist doch absurd, daß man versucht, meine ganze Existenz an meiner Abstammung und meiner Vergangenheit festzunageln. Ich habe die Vergangenheit hinter mir gelassen, ich lebe in der Gegenwart und konzentriere mich auf die Zukunft.

Die aber, die der Vater/Sohn-Schimäre von ein paar ellow-press-Zeilenschindern immer noch auf den Leim gehen, sollten sich bezüglich meiner, inzwischen immer phantastischer werdenden JLennon-Vergangenheit“ nur dies vor Augen halten: Mein Vater war schon bei meiner Geburt nicht zugegen (John war auf Tour in London, und die Eltern von Cynthia Lennon wußten zu dem Zeitpunkt noch nicht mal, daß der Gatte ihrer Tochter einer der berühmten Beatles war. – Red.), John trennte sich von Mutter als ich gerade vier war, und ich war von der sagenumwobenen ,Beatles-World‘ so weit weg wie jedes andere Kindergartenkind in Liverpool. Erst als Teenager – und das war kurz bevor er ermordet wurde – habe ich John ein paarmal gesehen. Was die Leute, die mir ständig mit diesem ,Dein Vater war ein Genie! Wir lieben ihn!‘ kommen, nicht begreifen wollen, ist, daß ich Dad als Musiker bewundere und verehre, aber als Vater war er für mich nun einfach nicht existent. Dann könnte ich schreien vor Wut, aber inzwischen krieg ich zumindest ein: ,Yes, ich liebe seine Musik auch.‘ hin.“

Was die Frage nach der Hypothek, für immer der Nachkomme von… zu sein, aufwirft. Ein paar die Fonda- oder die Bridges-Kids etwa haben es bravourös geschafft, in die Fußstapfen ihrer Uberväterzutreten, viele Sprößlinge großer Stars aber landeten nicht die ersehnten Filmoder Platten-Hits, sondern in der^etty Ford Clinic“ oder gar auf dem Friedhof. Hätten ihnen nicht klare Worte bezüglich mangelnden Talents oder der Verweis awf berufliche Alternativen geholfen?

Nein, denn dem Einfluß, den dein Vater als ein Künstler auf dich ausübt, kannst du dich nicht entziehen. Das sieht man ja selbst an mir. Ich kriegte meinen Dad fast nie zu Gesicht, doch gelegentlich schickte er mir von unterwegs eine Gitarre. Und bei unseren recht seltenen Zusammentreffen zeigte er mir oft den einen oder anderen Griffbrett-Trick. Nein, schon als Kind, lange bevor ich mit der Frage konfrontiert wurde, was ich denn mal werden sollte, war die Musik bereits prägender Bestandteil meines Lebens. Und unter diesem Gesichtspunkt muß man dann auch eine so tragische Figur wie etwa den Sohn von Robert Mitchum sehen. Natürlich hat der als Kind seinen Vater auf dem Set erlebt, und natürlich wollte auch er es später allen in Hollywood zeigen. Für dich als Kind nimmt solch ein Vater, über den alle reden, dessen Bilder du überall siehst, die Proportion eines Helden an, und wo die Kids normaler Väter sich in Träumen von Rennoder Raumfahrer-Karrieren ergehen, wünschst du dir nichts sehnlicher, als mal so wie dein Held/Vater zu werden.

Es gibt in England indischen aber ein paar Zeitgenossen, die nicht etwa ehrfürchtig zu den alten Helden der Popmusik aufblicken, sondern ihnen großmäulig Prügel androhen oder sie – restlos übergeschnappt-gar zum Teufel wünschen.

Ich weiß, wen Du meinst Mal abgesehen davon, daß ich ein solches Verhalten für vollkommen kindisch erachte, ist diese Maulhurerei auch trauriger Beweis für einen krassen Mangel an Respekt. Oasis etwa sollten sich glücklich schätzen, daß sie sich so reichlich des Fundus‘ der alten Helden bedienen durften und dürfen. Nein, da sind mir Radiohead nun wesentlich lieber. Die machen ihr ganz eigenes Ding, und haben es folglich auch nicht nötig, in der Presse durchgeknalltes Zeug zu labern oder auf die Superstar zu machen.

Es ist nicht nur diese „fiick this“- und „flick that“-Attitüde so einiger Musiker, nein, das komplette englische Musik-Business kommt nur im Moment ohnehin wie ein schlechter Scherz vor. Das erschreckende Ausmaß der Narretei, von Abzockerei und bis-zumgeht-nicht-mehr aufgeblähter Nichtigkeit ist einer der Gründe, warum ich diesmal alle Fäden selbst in die Hand genommen habe. Ich bin inzwischen zu alt dazu, um mich noch, wie bei meinem letzten Album passiert, auf Promo-Tour morgens um sechs plötzlich vor den Kameras eines blöden Kinder-TV-Kanal wiederfinden zu dürfen.

Du bist ja – auch Teil Deiner Strategie mit dem neuen Album in jedem Land bei einer anderen Firma unter Vertrag. Was war ausschlaggebend, daß Du Dich befüglich Deutschland für die bei vielen Leuten noch als Indie gehende Plattenftrnut Rough Trade entschieden hast?

Das ist eine Frage, auf die man mehr als zehn Antworten geben kann. Fakt ist, daß ich mir nach meinem letzten Album geschworen habe, nie mehr mit „renommierten“ Firmen zusammenzuarbeiten. Da gab’s stets zu viele leere Versprechen und wenig bis keine Unterstützung, wenn man sie am nötigsten brauchte. Ergo habe ich beschlossen, fortan unabhängig zu arbeiten. Ich habe mein eigenes Label gegründet, und um zu unterstreichen, daß ich es mit meinem Neubeginn und meiner Selbstbestimmung ernst meine, habe ich es nicht etwa „So-und-so-Records“ getauft sondern „Musiv From Another Room“. Bislang hatte ja das Publikum noch nie wirklich die Chance, mich so zu hören, wie ich gehört werden wollte; die Fremdbestimmung durch meine jeweiligen Manager und Produzenten machte mich zur Marionette. Ich habe diesen Leuten einfach zuviel Vertrauen geschenkt. Und so gesehen paßte dann die deutsche Dependance von Rough Trade hervorragend in meinen master plan. Ich hab bislang immer nur Gutes über die Firma gehört Das Motto also: „leammg by doing“?

Absolut! Denn da 50 Prozent deiner Deals mit Managern und Plattenfirmen, meist frei nach dem Motto „mal sehen, vielleicht, es könnt ja sein“ abwickelt werden, habe ich mir gesagt: „Gut, sehn wir mal selbst, es könnte ja wirklich sein.“ Hinzu kommt, daß ich seit 15 Jahren im Geschäft bin und miterlebt hab, was mit einigen „hoffnungsvollen“ Kollegen angestellt wurde.

Jedem normalen Sterblichen drängt sich angesichts Deines gigantischen Erbes natürlich die berechtigte Frage auf: Warum nur arbeitet dieser Typ noch? Auch wenn sein Ding unbedingt die Musik ist, so muß er sich selbst ab Multimillionär mit den Kritikern rumschlagen, blöde Fragen beantworten, wildgewordenen Fans entfliehen oder Autogramme geben. Warum nur kauft er sich nicht einfach eine Villa in der Karibik und aalt sich am Strand?

(Lacht) Für mich ist das nicht etwa nur die Suche nach Selbstbestätigung. Sieh mal, ich schreibe schon seit Jahren Songs, ich liebe es, Songs zu schreiben, und daher seh ich meine Rolle als Musiker eher als ganz persönliche Herausforderung: Ich will ausloten, was alles noch in mir steckt, zu was ich noch in der Lage bin. Für mich gibt’s nichts Spannenderes, als mich einer Herausforderung zu stellen. Und da ich weiß, daß vielen Leuten das, was ich bislang gemacht habe, recht gut gefallen hat, ich mich aber dennoch künstlerisch kastriert und falsch repräsentiert fand bingo, neuer Anlauf, neues Team.

Hattest Du in den vergangenenjahren denn keinen persönlichen Manager?

Doch, leider, und das wurde zu einer wesentlichen Facette meiner späten Erleuchtung: daß man sich in diesem Geschäft niemals blind und blauäugig auf andere verlassen sollte. Ich hatte zwei oder drei Manager. Einer vertrat neben einigen anderen Acts auch Phil Collins und Genesis. Inzwischen ist mir klar, daß jemand mit einem so vollen Teller niemals mein Brian Epstein hätte sein können. Okay, für Collins machte er sicher einen tollen Job, ich aber rangierte eher unter „ferner liefen“. Klar, Mitschuld daran hatte sicher auch meine eigene Dämlichkeit; zu glauben, daß diese Leute hundertprozentig wüßten, was sie da taten, wo doch ein Großteil ihres Tuns eher bloßes Mutmaßen, Kaffeesatzlesen oder Wunschdenken war. Kurzum, wenn diesmal etwas schiefgeht, hat nur einer Schuld: ich!

Einen wesentlichen Anteil am Zustandekommen und dem Gelingen von „Photograph Smile“hat unbestritten ja auch Dein Produzent Bob Rose, den ich seit vielen Jahren gut kenne, der unser Meeting ausheckte und es dann auch arrangierte. Wie bist Du an diesen Studio-Maniac geraten?

Ich habe Bob ein paarmal in den Staaten getroffen, und anfangs hielt ich ihn eher für einen Freak, denn er sieht ja exakt so aus, wie sich jeder den archetypischen amerikanischen Producer so vorstellt Aber ich beurteile nie ein Buch nach dem Cover, sondern bin überzeugt, daß es immer so kommt, wie es halt kommen muß. Wie es jedoch zu meinem Album unter seiner Regie kam, ist ’ne völlig schräge Story.

Vor ein paar Jahren war ich in den USA mal auf einen recht guten, aber mäßig erfolgreichen Musiker namens Gregory Darling gestoßen, der Frontman einer Band namens Darling Cruel war. Einige Zeit darauf zog ich um nach Monaco, wo ich zufallig dem damaligen Scorpions-Drummer Herman Rarebell über den Weg lief. Der schwärmte mir von seiner neuen Firma „Monaco Records“ vor. Du erinnerst: dieses schillernde, epochale Projekt, zu dem Hermans Partner, Prinz Albert von Monaco, zwar null Kapital beigesteuert, es dafür aber mit seinem fürstlichen Namen und seiner Referenz geadelt hatte. Tags darauf traf ich Herman auf einen Drink, und zufallig kam ich auf Gregory Darling zu sprechen. Und siehe da, auch Herman kannte ihn und hielt ihn für einen guten Musiker. Also riefen wir Greg spontan an.

Im Laufe des Gesprächs erwähnte Gregory diesen phantastischen Produzenten namens Bob Rose, mit dem er momentan zusammenarbeiten würde. Die perfekte Ehe. – Ich hatte zu dem Zeitpunkt zwar keine konkreten Pläne in puncto Musik, dennoch flogen wir kurz darauf in die Staaten. Hier lernte ich Bob kennen, und als ich dann im Studio hörte, was der mit Gregory aufs Band gezaubert hatte, machte ich große Augen. Nun kam Herman urplötzlich mit der Idee, daß wir Vier doch gemeinsam für ein, zwei Wochen nach Barbados fliegen könnten; er müsse da sowieso hin, um die dortigen Studios auszuchecken. Und ich dürfte, da ich mich dort ja auskennen würde, gerne den alternativen Tourguide spielen.

Zwei Tage später saßen wir, Gregory, Bob, Herman und ich, vor unserem Haus am Strand von Barbados, und irgendwann griff ich mir dann eine Gitarre und klampfte ein paar der Song-Fragmente, die mir seit geraumer Zeit durch den Kopf schwirrten. Als Gregory und Herman sich später Richtung Nachtleben verabschiedet hatten, saßen Bob und ich stundenlang zusammen und redeten über Songwriting, Produzieren, die Vibes zwischen dem Mann am Pult und dem Musiker etc. Bob kam derart intensiv rüber, daß ich plötzlich total nervös wurde und ihm sagte, daß ich mich eingedenk all meiner bisherigen schlechten Erfahrungen, diesmal selbst produzieren wolle. Ich blaffte ihn sogar an, daß ich es endlich leid sei, dank der unausbleiblichen Einflüsse eines Produzenten auf meine Musik, erneut einen Teil von mir aufgeben zu müssen.

Nach langem Palavern kamen wir schließlich überein, trotz allem mal in ein Studio zu gehen, ein paar Tracks zu versuchen, und die Chemie auszuloten. Als wir dann aus Barbados zurück waren, mieteten wir ein Studio, heuerten ein paar uns bekannte Musiker an, und zu meiner absoluten Verblüffung hatten wir nach einer Woche bereits elf komplette Songs im Kasten. Ich mußte Bob gestehen: „Unglaublich, aber Du hast mich tatsächlich überzeugt! Das gefallt mir von vorn bis hinten.“ So arbeiteten wir an einem Album weiter, das nie geplant war und nur dem puren Zufall zu verdanken sein sollte. Aber diesem Zufall verdanke ich, erleben zu können, wie die Beziehung zwischen Bob und mir mit jedem Tag wächst. Deine ersten vier Alben durchzog hinsichtlich Sound und Gesang immer so ein leichter Anflug von Borne. Was ja keine schlechte Referenz ist. Aber Dein neues Werk klingt wie „‚Abbey Road‘ meets ,The White Album'“ für meine Ohren.

Gut, ich hatte zwar nie die Absicht wie irgendjemand zu klingen, aber ich kann nun mal nicht leugnen, daß es in meinem Leben ein paar wichtige und prägende Einflüsse gab. Sagen wir es mal so: Die ersten vier Alben sind für mich heute eher nur Dokumente meiner Selbstfindung; auszuloten, wie du komponierst, wie du textest, bis an welchen Limits du dabei anlangst Und so gesehen ist das neue Album das erste, das wirklich hundertprozentig von mir ist Ich bin inzwischen zu der zwar etwas traurigen, aber sicher auch lehrreichen Erkenntnis gelangt, daß die ersten vier Alben in erster Linie die Produkte meiner Produzenten, meiner Manager und der Plattenfirmen sind. Ich spiele da eher nur so ein Schemen, dem man eingebleut hat, wie es zu klingen und was es zu tun und zu lassen hat. Nun aber hab ich am eigenen Leibe erfahren, zu welch berauschendem Erlebnis es werden kann, mal als Musiker sein Ding ganz alleine durchziehen zu können. Einfach loszulegen, keinem was davon zu verraten, niemanden von draußen ins Boot zu lassen, dann plötzlich fertig und stolz auf das Geschaffene zu sein. Sich obendrein noch mit gestärktem Selbstbewußtsein sagen zu können: Hey, wir haben es bis hierhin im Alleingang geschafft, jetzt wird der Rest auch noch im Alleingang erledigt WaresAbsicht, daß speziell der Gesang auf^hotograph Smile“ so zurückgenommen und subtil daherkommt?

Absolut, denn wenn ich mich beim Singen nicht kontrolliere und mich gehen lasse, dann klinge ich stets zu sehr wie Dad. Und das wollte ich verständlicherweise unbedingt vermeiden.

WasDirjedocli nicht ganz gelungen ist, denn ab ich das Album das erste Mal im Büro spielte, fragten mich ein paar Kollegen, welche John Lennon- oder Beatles-Platte denn das bloß sei.

Okay, ich beuge mich dem Votum, denn manchmal wirken einige Tracks sogar auf mich wie Songs von sagenumwobenen, unentdeckten „Lost Lennon-“ oder „Lost Beatles-Files“. Nichtdestotrotz sind die Songs trotz gewisser Referenzen in jeder Hinsicht total meine eigenen. Nun etwaige Ähnlichkeiten zu~ auszumachen, sei jedem freigestellt, hat aber für mich noch weniger Relevanz als die Auslegung von Horoskopen der Tagespresse. Speziell dann, wenn man weiß, daß nicht wenige Leute ihr tägliches Tun danach ausrichten.

Bob hat mir verraten, daß das Album in den unterschiedlichsten Studios an den verschiedensten Orten der Welt entstanden ist Und dennoch klingt das Resultat ungeheuer homogen…

Das ist der Besessenheit Bobs zu verdanken. Aber für mich das Verblüffendste dabei war, nach Beendigung der Aufnahmen die Entdeckung machen zu müssen, daß alle die Orte, an denen wir gearbeitet hatten – ob in Italien, Wales, Irland oder in der Karibik in der Geschichte meiner Familie eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben. Unser Aufenthalt in Italien führte schließlich auch dazu, daß ich dieses Album meinem ersten Stiefvater gewidmet habe, der aus Italien war, der damals für mich mehr mein Vater als der wirkliche war und den ich sehr geliebt habe. Er war der Teil meiner Kindheit, und er war stets da, wenn ich ihn brauchte.

Aber auch zu allen anderen Aufhahmeorten gibt es ganz konkrete Connections: In Wales habe ich längere Zeit mit meiner Mutter gelebt. Was Irland betrifft, so ist der Name Lennon so irisch wie es in England der Name Smith ist – der Lennon-Clan stammt aus einem kleinen Kaff an der irischen Westküste.Und was Barbados anbelangt, so habe ich hier viele Jahre lang die öden Weihnachtstage überstanden.

Womit die Frage nach dem Wagnis, ein Album in verschiedenen Studios aufzunehmen, aber noch nicht so ganz zufriedenstellend beantwortet ist Sorry, bei all diesen Erinnerungen kann man schon mal den Faden verlieren. Aber wie Du schon sagtest, es war ein Wagnis. Und anfangs hat mir das echt Kopfschmerzen beschert. Primärer Grund, warum wir plötzlich zu Studio-Nomaden wurden, war jedoch in erster Linie der, daß wir uns erst in letzter Minute entschieden hatten: Let’s do it! Und in letzter Minute lassen sich nun mal nicht die Studios deiner Wahl buchen. Daß das Album wie aus einem Guß klingen mußte, war bei aller Lust am Abenteuer die Prämisse. Denn die Grundvoraussetzungen für jedes Studio hießen kategorisch: natürliche Instrumente, null Computer, natürliche Echos und Delays, keine Sounds aus der Trickkiste, alles analog. Dann kamen Bobs große Stunden. Genau wie ich, haßt auch er diese sterilen, künstlichen Sounds, die in den Achtzigern plötzlich groß in Mode kamen. Alles digital, ohne jegliches Leben, Beat für Beat, und Sound für Sound, im Computer vorprommiert Bob ist ein bekennender oldschool-Produzent und ein Genie, wenn’s um die Wahl der richtigen Mikrophone sowie ihre Plazierungen geht. Er hätte Probleme, den richtigen Knopf an einem Drumcomputer zu finden, doch dafür weiß er, daß jede Trommel eines Schlagzeugs ihren eigenen Sound hat, ergo auch ihr spezielles Mikrophon benötigt. Anfangs habe ich geglaubt, daß er definitiv ’nen Knall hat. Denn da kroch er fast eine Ewigkeit in jeden Vferstärker hinein, wechselte ein Mikro nach dem anderen aus und plazierte sie mal hier, mal dort. Ich hatte manchmal fünf bis zehn Mikrophone vor meiner Gitarre – nur um eventuell dem ganz kleinen, aber so unheimlich wichtigen Unterschied auf die Spur zu kommen, der dann dem Song „das gewisse Etwas“ geben sollte. Als ich den ersten fertigen Track hörte, da leistete ich innerlich für „den Knall“ sofort Abbitte, denn das Resultat war schlicht geniaL“

Diesem Resümee kann sich der Autor in Bezug auf das ganze Album uneingeschränkt anschließen. Wem sich wie ihm die Faszination der vielen Britpop-Sensationen partout nicht erschließen will, wer all den Retro-Bezichtigungen wacker die Stirn bietet, dafür hartnäckig auf Songwriting samt Melodien mit Hooks, Bridges, Soli sowie Intros und Outros besteht, wird hier mit einem Werk belohnt, das einen Musiker präsentiert, der sein Leben unter der Übervater-Bürde in den Griff bekommen hat und nach vielen schmerzlichen Häutungen nun endlich zu sich selbst, zu seiner eigenen Musik und auch zu dem privaten Glück gefunden hat, dem er jahrelang durch viele Irrgärten und Labyrinthe hinterhergejagt ist.

Wer nun die Probe aufs Exempel machen wilL der führe sich nur „Way To The Heart“, den symphonischen Ausklang von „Photograph Smile“, zu Gemüt, Hier nämlich zitiert Julian nicht nur, völlig legitim, Vaters Hit „Lucy In The Sky With Diamonds“, den er ja mit einer Kinderzeichnung initiierte, er nutzt diesen Song doppelter Lennon-Prägung auch zu einer finalen Reflexion seiner emotionalen Odyssee, geprägt von Ablehnungen, Sehnsüchten, Aufbrüchen, Umbrüchen – und glücklicher Ankunft Julians Hals schmückt ein schlichtes aber großes Amulett, auf dem, nicht zu übersehen, die Ziffer 4 eingraviert ist Auf meine neugierige Frage antwortet er: „Die 4 steht in der Numerologie für ,faith‘.“ – Und im Englischen steht „faith“ für Glaube, Vertrauen, Treue und Redlichkeit Amen. „

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates