„Sex braucht Ehrlichkeit“

KEINE SCHAUSPIELERIN KENNT das Universum des Lars von Trier besser als Charlotte Gainsbourg. Schon in „Antichrist“ und „Melancholia“ lotete sie die Extreme der Schauspielkunst aus. Mit „Nymphomaniac“, dessen erster Teil am 20. Februar in den deutschen Kinos anläuft, lässt sich die 42-Jährige nun auf das wohl exzessivste Projekt des dänischen Regie-Enfant-Terribles ein. Sie spielt darin die von Sexlust getriebene Joe, deren Suchtgeschichte in oft expliziten Bildern erzählt wird. Doch während sie auf der Leinwand vor fast nichts zurückschreckt, gibt sie sich beim Interview in Kopenhagen zart und schüchtern.

Lars von Trier kündigte „Nymphomaniac“ als „Porno-Projekt“ an. Ist der Film das geworden?

Nein, wenn die Leute einen Porno sehen wollen, dann sollten sie um „Nymphomaniac“ einen Bogen machen. Der Film zeigt, wie zerstörerisch Sex und wie viel Leiden damit verbunden sein kann. Gleichzeitig gibt es aber auch schöne erotische Szenen -insbesondere bei Stacy Martin, die mein jüngeres Ich spielt. Natürlich ist der Film sehr explizit. Er handelt von dem Sexleben einer Frau, und das wäre ohne diese Szenen nicht möglich gewesen. Das Ganze ist ein Film über das Fleisch, und das muss man sehen – unzensiert. Unsere Welt ist so scheinheilig und versucht, den Sex zu verbannen, aber ich finde, wir sollten viel ehrlicher damit umgehen.

Für einen Schauspieler ist aber so ein Dreh alles andere als einfach…

Natürlich, ich hatte große Angst, bevor es losging. Ich wusste nicht genau, was mich erwartete, mir war nur klar, dass das ein gewaltiges Projekt war. Aber sobald wir mit dem Dreh anfingen, löste sich alles auf. Ja, es war harte Arbeit, vor allem weil die Szenen so intensiv waren. Andererseits sehnt sich jeder Schauspieler danach, solche Extreme auszuloten. Und mit Lars weißt du, dass er dich nicht betrügt. Er respektiert dich als Schauspieler, will es dir recht machen. Und das kannst du spüren. Sein einziges Bedürfnis ist es, ehrlich zu sein.

Welche Szenen waren für Sie die am härtesten zu spielenden?

Wie ich einem Pädophilen einen Blowjob gebe. Das fand ich erniedrigend. Und in der längeren Fassung des zweiten Teils gibt es Szenen, wo man meine Vagina sieht, die am Schluss komplett wund ist, natürlich nicht meine, sondern eine künstliche. Aber jeden Morgen musste ein Make-up-Mann sie neu drankleben und an mir herumfummeln. Das war etwas peinlich. Abgesehen davon konnte ich dann stundenlang nicht pinkeln. Nacktszenen hatte ich eigentlich gar nicht so viele, im Gegensatz zu Stacy Martin.

Und das war’s schon?

Es gab da noch die Dialogszenen, in denen ich mit Stellan Skarsgård meine Geschichte kommentiere, und die waren auf ihre Weise genauso schwierig. Ich dachte eigentlich, dass ich nach den übrigen Szenen das Schlimmste überstanden hätte. Aber ich musste dann so viel Text lernen. Und das in ganz kurzer Zeit. Das war wirklich hart. Zuerst sagte mir Lars, das sei ein Pornofilm, aber später rief er mich an und meinte: „Das ist ein Porno, aber du wirst sehr viel sprechen.“

Gibt es denn auch Szenen, die Sie abgelehnt hätten?

Ich hätte nie Sex vor der Kamera gehabt. Mein Geschlechtsteil will ich nicht zeigen. Die Vagina, die es in den Sado-Maso-Szenen zu sehen gibt, ist nicht meine. Wobei ich es ziemlich verstörend fand, als ich das dann bei der Vorführung zu Gesicht bekam. Und ich muss sagen, dass ich mich nicht wohl fühlte, als ich für das Filmplakat einen Orgasmus simulieren sollte. Der Fotograf war sehr nett und auch gut, doch er war eben nicht Lars.

Aber die Themen des Films finden Sie im Vergleich dazu nicht verstörend?

Ich stimme natürlich nicht allem zu, was meine Figur sagt, aber ich muss es nicht verteidigen. Schließlich bin ich nur ein Sprachrohr für Lars. Ich will ihn da nicht zensieren, ansonsten sollte ich keine solchen Filme drehen.

Eigentlich sind Sie ja Kontroversen gewöhnt. 1984, als Sie zwölf waren, nahm Ihr Vater Serge Gainsbourg mit Ihnen den Song „Lemon Incest“ auf -was für einen entsprechenden Skandal sorgte.

Aber ich bekam erst nichts davon mit. Zu der Zeit ging ich auf ein Internat in der Schweiz und führte ein wohlbehütetes Leben. Und danach sah ich keinen Grund, den Song zu verteidigen. Ich wusste ja, dass es darin nur um die unschuldige Liebe eines Vaters zu seiner Tochter geht. Wobei ich es schon genossen habe, Teil dieser Kontroverse zu sein. Denn ich war ja nicht die Verantwortliche. Bei Lars ist es genauso. Er ist derjenige, der alles steuert, und ich bin lediglich eine Art von Marionette, und das genieße ich.

Und das wird sich auch in Zukunft so fortsetzen? Immerhin drehten Sie mit Lars von Trier häufiger als jede andere Schauspielerin

Ich weiß es nicht. Jedes Mal war es eine solche Überraschung, wenn er mich für eine Rolle haben wollte. Nach unserem ersten Treffen für „Antichrist“ hatte ich gedacht, er wäre überhaupt nicht an mir interessiert. Ich bin ihm wahnsinnig dankbar für diese ganzen Erfahrungen. Aber momentan glaube ich eher nicht, dass er mich ein viertes Mal fragen wird. Er kennt mich jetzt einfach zu gut. Ich habe kein Geheimnis mehr für ihn. Und das macht mich sehr traurig.

Werden Sie dann in Zukunft anderweitig nach solchen extremen Erfahrungen suchen?

Ja, aber nur im Film, niemals privat. Mein persönliches Leben ist ganz banal.

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