Seymour Stein

Als Record-Man alten Schlages wird Seymour Stein bewundert, für sein Lebenswerk ehrte ihn die "Rock'n'Roll Hall Of Fame", nun gibt er seine Erfahrungen weiter.

Er wirkt nicht wie ein Erfolgsmensch, der kleine, rundliche Mann in kariertem Hemd, Jeans und Turnschuhen, doch wird Seymour Stein von Leuten hofiert, denen es um Erfolg geht und nur darum. Die „Berlin School of Creative Leadership“ hatte geladen, ein privates Institut, dessen Lehrgänge expressis verbis dem einen Ziel dienen: „Turning great creatives into great creative leaders“. Hier wird Kreativität and Karriere kühn zusammengedacht, was bei einer Einschreibungsgebühr von knapp 50 000 Euro freilich nicht zuviel verlangt scheint. So lauschen die künftigen Führer schöpferischer Industrien wie Advertising und Entertainment, Media und Marketing also den Worten dieses jovial plaudernden älteren Herrn, der als „Class Godfather“ den Lernerfolg der ehrgeizigen Eleven sichern helfen soll. Und sie erfahren, dass Steins steiler Weg nach oben mit Zufällen gepflastert war, dass er viel Glück hatte, etliche Gönner und stets die Nase im Wind.

Anderntags bei der Privataudienz wird schnell deutlich, dass die Hemdsärmeligkeit Steins nur eine gern gezeigte Facette seiner Persönlichkeit ist. Vermutlich, weil Geschäftssinn und Cleverness nicht gerade einnehmende Eigenschaften sind. Seymour Stein ist auf der Hut, lässt sich schwer dingfest machen, legt jedes Wort auf die Goldwaage und zeigt sich indigniert, wenn er meint, missverstanden worden zu sein. Was man ihm jederzeit abnimmt, ist seine Liebe zur Musik, „die einzige Konstante meines Lebens“, sagt er, „und letztlich der entscheidende Grund dafür, dass mir einiges gelang. Das und ein paar Mentoren, von denen ich lernte, meine Musikverrücktheit in gewisse Bahnen zu lenken und konstruktiv zu nutzen, bereits von klein auf“.

Seymour, 1942 in Brooklyn geboren, war noch keine 14 Jahre alt, als er sich ein Herz fasste und beim Branchenblatt „Billboard“ um einen Job nachsuchte. Die Platten der älteren Schwester hatte er längst verinnerlicht, die von Guy Mitchell vor allem, und die Songs von Jimmie Rodgers und Hank Williams waren ihm treue Begleiter geworden. „Schon damals gab ich alles Geld, dessen ich habhaft werden konnte, für Singles aus“, erzählt der Mogul lächelnd, „und die meisten habe ich noch.“ Tom Noonan, als Chart-Editor immerhin Herr über die Hitparaden, war vom Enthusiasmus des Teenagers so angetan, dass er ihn unter seine Fittiche nahm. Gemeinsam entwickelten sie in den Folgejahren die „Hot 100“, die erste Genre-übergreifende Hitliste, und renovierten das herrschende Vokabular des Musikbetriebs. „Man unterschied bis dahin noch zwischen den Segmenten ,race music‘ und ‚hillbilly‘, was wir nicht nur herabsetzend fanden, sondern auch nicht mehr zeitgemäß. Also machten wir daraus ,Rhythm & Blues‘ und ,Country & Western‘, und der Rock’n’Roll verwischte dann auch die Grenzen zwischen diesen Kategorien. Elvis war ja alles in einer Person: Country, Blues und Pop.“ Sein Beispiel habe sogar Pat Boone inspiriert, ein paar mehr als passable Platten zu machen.

Paul Ackerman, Musikredakteur bei „Billboard“, wurde Seymours nächster Mentor. „Er ließ mich Reviews schreiben und schickte mich zu Konzerten, die ich mir als Highschool-Student nie hätte leisten können. Und ich wurde dafür auch noch bezahlt! Das haute mich um“. Schließlich trat Syd Nathan, Eigner des R&B-Labels King Records, in Seymours Leben. Bei ihm lernte Stein zwei Sommer lang das Record Business von der Pike auf.

Intime Kenntnisse, die ihm sehr zupass kommen sollten, als er 1966 gemeinsam mit dem Songwriter und Produzenten Richard Gottehrer Sire Records gründete. Inzwischen hatte sich die Topografie der Musiklandschaft abermals radikal gewandelt. Zwei Jahre zuvor war Amerika von Langhaarigen aus Liverpool und London überrannt worden, ein Ereignis, das Seymour Stein aus nächster Nähe genoss. Er freundete sich mit Andrew Loog Oldham an, sah die Stones wie auch die Beatles des Öfteren live, und schaute daher zuerst nach England, als es darum ging, Bands für Sire unter Vertrag zu nehmen. Barclay James Harvest gehörten zu den ersten Acts, die Stein für den US-Markt lizensierte, „weil ich sie sehr mochte*. Das Kriterium schlechthin für sämtliche Sire-Künstler: „Ausschlaggebend ist, dass ich ihre Songs mag.“

Im Frühjahr 1973 landete Sire den ersten Hit: „Hocus Pocus“, ein leichtgewichtiges Instrumental der holländischen Prog-Gruppe Focus, das Stein in den UK-Charts entdeckt und von Polydor lizensiert hatte. Ein lukrativer Deal, aber nur schnöde Weiterverwertung von Musik eines anderen Labels. Sire hatte noch kein Gesicht. Das änderte sich zwei Jahre später, als die Ramones auf den Plan traten und für Stein aufspielten. „Es fühlte sich an wie ein elektrischer Schlag“, grinst Stein. Nach 15 Minuten waren die brudders mit ihm handelseinig. „Sie akzeptierten mein Vertragsangebot sofort, gingen ins Studio und kurze Zeit später war ihr erstes Album fertig. Es kostete 6400 Dollar. Der Umgang mit den Ramones war so unkompliziert, so leicht wie mit niemand sonst. Reizende Jungs, immer hilfsbereit. Unendlich traurig, dass sie uns so früh verließen.“

Mit den Talking Heads, den Dead Boys und Richard Hell & The Voidoids unterschrieben weitere Bands aus dem Dunstkreis der New Yorker Punk-Szene bei Sire, die Achse New York-London war nun keine Einbahnstraße mehr. Und doch blieb der UK-Markt für Stein von überragender Bedeutung, denn dort avancierten seine Acts zu Stars, dort fanden sie medial statt, dort galten sie ungleich mehr als in der Heimat außerhalb des Big Apple. Und es sollte dauern, bis der Rest Amerikas Notiz nahm von Punk, ein Begriff übrigens, den Stein ablehnte, „weil er abfällig klang“. Sire Records reüssierte jedenfalls, schluckte Real Records und verleibte sich damit die Pretenders ein, kaufte mehr Lizenzen, darunter die US-Rechte an den Smiths, die Stein verehrt, und stand Anfang der 80er Jahre, auch dank eines Vertriebsdeals mit Warner Brothers, als Global Player da, potent und expandierend. Dann kam Madonna.

Ins Krankenhaus, wie die Legende geht. Dort war Stein im Herbst 1982 aufgrund eines Herzproblems, und als Madonna mit ihm fertig war, wusste er, was die Stunde geschlagen hatte. „Dieses Mädchen war auf einer Mission, sie wollte einen Vertrag, und den bekam sie. Ihre Willensstärke, ihr Flair, ihre Selbstgewissheit, ihr ganzes Auftreten buchstabierte Ambition. Sie wusste genau, was sie wollte, und sie wollte es sofort.“ Ganz anders k.d.lang, „eine begnadete Sängerin“, der Stein jedoch mit guten Ratschlägen auf die Sprünge helfen musste. „Es fehlte ihr an musikalischer Vorstellungskraft, deshalb schickte ich sie zu Dave Edmunds nach England. Danach blühte sie unglaublich auf und machte großartige Platten für Sire.“

Fast forward, 20 Jahre später: Der CD-Boom, dem die Plattenfirmen Milliardenumsätze verdankten, ist längst vorbei. Es brauchte keine Finanzkrise, um die Plattenindustrie in die Knie zu zwingen. Ist das Desaster nicht selbstgemacht? „Doch, aber nicht erst seit die CD-Verkäufe im Keller sind“, weiß Seymour Stein, „die Ursache für den Niedergang der Majors liegt tiefer. Früher stellten die Plattenfirmen auch Plattenspieler her, egal ob EMI oder RCA, sie lieferten das komplette Musikinventar. Dann ließ man zu, dass immer mehr Hersteller von Abspielgeräten am Markt partizipierten und gab diesen Sektor schließlich ganz auf. Was kompensiert werden konnte, solange das Geschäft mit Tonträgern florierte. Nun ist das aber dramatisch eingebrochen, während die Produzenten von iPods zum Beispiel nach wie vor glänzende Geschäfte machen. Musik wird ja nach wie vor gehört, das ist ein Grundbedürfnis. Es sind nur immer weniger Leute bereit, dafür zu bezahlen.“

Der Musikmarkt, das ungerechte Wesen. Klingt wie ein Seminarthema für angehende Führungskräfte der besonders kreativen Art.

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