Slave to Love

Nicht zum ersten Mal interpretiert der kunstsinnige Dandy auf dem neuen Album Songs von Bob Dylan - den er übrigens nie kennengelernt hat. Doch Ferry sieht keinen Widerspruch zwischen seinem Image und den frühen Dylan-Texten - und definiert sich als anspruchsvoller Entertainer und Stilist der alten Schule.

Bryan Ferry schmunzelt. Eine Zehntelsekunde lang blitzt es in seinen Augen, dann lehnt er sich zurück und sagt: „Sie wollen wissen, in welcher Stimmung ich Lieder wie in ,In Every Dream Home A Heartache‘ schreibe? Na schön, ich werde es Ihnen verraten. Doch Sie müssen bedenken, dass nur sehr wenige Songs aus der eigenen Reflexion entstehen… allein… spät in der Nacht. Womöglich mit einem schönen Glas schottischem Malt Whisky neben sich.“ Der Sultan of Suave grinst breiter. „Das Kaminfeuer knistert, ein paar schöne Asiatinnen räkeln sich auf dem Teppich. Hab ich was vergessen? Nein, das ist alles, was es braucht: Führe mich zu meinem Piano, oh Muse! Oder sollte ich vielleicht doch noch ein Smoking‘ Jackett überziehen?“ Es kommt nicht oft vor, dass sich Ferry in der Öffentlichkeit so quietschvergnügt zeigt. „Das ist großartig, oder?“ begeistert er sich über seine Selbstparodie. „Und wissen Sie was? Danach werde ich mich nach ein paar Leuten umsehen, die mich mit auf eine Party nehmen. Das ist nämlich die beste Methode, um ein paar fröhliche Songs zu schreiben…“

Im März 2002, als sich diese Episode im Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten abspielte, hätte Ferry vermutlich ein ganzes Album voller happysongs schreiben können. Doch der alte, seit 20 Jahren verheiratete Salonlöwe hatte Besseres zu tun. Dinge, die man auch aus der Tierwelt kennt: wenn der Pfau sein Rad schlägt oder der brünftige Hirsch seine Männlichkeit hinausröhrt. Ferry war frisch verliebt, und das Objekt seiner Begierde umkreiste uns während des gesamten Interviews mit einer Videokamera. Ihr Name: Katie Turner. Ihre Profession: Tänzerin und Model. Ihr Alter: 21. Natürlich war sie groß, schlank und ausgesprochen hübsch: Ferrys Hauptkriterien bei der Auswahl der stets blutjungen Freundinnen. Jerry Hall war gerade mal 18. Ferry hatte Katie Turner, die einen reizenden Eindruck machte, bei der Roxy Music-Tour kennengelernt, wo sie als Tänzerin auftrat. Seitdem waren die beiden unzertrennlich.

Falls der ein oder andere Leser jetzt das Gefühl hat, der ROLLING STONE habe sich unter seinen Händen in die „Bunte“ verwandelt: nur ein klein wenig Geduld! Natürlich werden wir auch noch auf das brandneue Album „Dylanesque“ zu sprechen kommen, selbstverständlich wird der weite Weg des Bergarbeitersohns in die Salons der Upperclass kritisch beleuchtet, und ohne Zweifel wird auch das musikalische Werk einer genauen Analyse unterzogen. Doch so viel ist klar: Bryan Ferry ist nicht einfach ein Rock-, Pop-, oder Schnulzensänger. Er ist vor allem eine Stil-Ikone, ein Dandy aus der Unterschicht und ein furchtbar charmanter Schnösel. Das kann man nicht einfach unter den Tisch kehren.

Deshalb sind wir nun wieder zurück im furchtbar steifen und – für ein deutsches Hotel – wahnsinnig britischen Vier Jahreszeiten. Ferry trägt einen eleganten Nadelstreifenanzug und wirkt trotzdem enorm lässig und jungenhaft. Er lacht mehr als sonst in Interviews, vermutlich die Hormone. Aber er ist auch höflich und möchte, dass man seine kleine Selbstparodie richtig versteht: „Wie Sie gerade gesehen haben, habe ich auch so etwas wie Humor. Eine dunkle Stimmung hat für mich allerdings ebenfalls ihren Reiz. Zu melancholischer Musik habe ich mich immer hingezogen gefühlt, egal ob Blues oder Oper. Ich mag Dinge, die dem Herzen nahe gehen. Das ist die Sorte Musik, die ich liebe.“

Okay, das konnte man sich denken, aber was genau fasziniert Ferry an Melancholie so sehr, dass sie sich wie ein roter Faden durch sein Lebenswerk zieht? Er denkt einen Moment darüber nach und sagt dann langsam: „Ich empfinde das als sehr sinnlich, im Unterschied zu HipHop, wo sich alles um Rhythmus und kecke Sprüche dreht. So etwas kann auch seinen Reiz haben, aber es ist schon komisch, wie komplett sich die amerikanische Black Music gewandelt hat, finden Sie nicht? Das kam vom Blues und wurde mehr oder weniger zu einer Feier von Sex und Gewalt. Heute klingt alles sehr… selbstbewusst, wo früher Unterdrückung ein Thema war.“

Er wirkt plötzlich sehr nachdenklich. Mit zeitgenössischer Musik konnte Ferry noch nie viel anfangen. Alicia Keys, die er für ein revival of the heart felt things hält, ist ihm deutlich näher als die avantgardistische Erykah Badu. Ferrys Teenager-Söhne mögen die Eels, dafür interessieren sie sich leider kaum für Roxy Music: „Selbst wenn ich sie frage, sagen sie nicht viel dazu. Auf der Tour mochten sie ,Both Ends Burning‘ und ‚Mother Of Pearl‘ – eigentlich alles, bei dem die Tänzerinnen auf der Bühne waren.“ Dabei schmunzelt Ferry in die Richtung seiner ganz besonderen Tänzerin. Und man selber denkt, dass die Äpfel hier nicht sehr weit vom Stamm gefallen sind. Zumal der 19-jährige Otis im Sommer 2002 bei dem Versuch erwischt wurde, Pro-Jagd-Plakate an Tony Blairs Haus in der Grafschaft Durham anzubringen. Der einst bekennende Fuchsjäger Ferry hält sich heute bei diesem, aber auch bei anderen kontroversen Thema lieber zurück. Ob der Mann, der bei Roxy Music in engen Paillettenkostümen über die Bühne stolzierte und den weißen Smoking Rock-fähig gemacht hat, alt und langweilig geworden ist?

Wie sieht eigentlich Ihr ganz normales Leben aus. Herr Ferry? Jetzt grinst er wieder breit und setzt sich in Positur: „Nun, ich stehe wie jeder normale Mensch auf. Meist finde ich dann auf dem Piano noch ein paar Kleidungsstücke vom Abend davor. Dann schicke ich erst einmal die Mädchen, die überall herumliegen, weg – husch, husch, ab nach Hause! -und studiere in Ruhe die vielenAngebote der Studios. Ach, mein Leben ist manchmal die Hölle…“

Noch bevor man sich über diese Albernheit ärgern kann, beantwortet er die Frage ganz seriös und ernsthaft: „Normalerweise gehe ich regelmäßig in mein Studio – meinen Arbeitsplatz in der Fabrik. Da geht es nicht immer nur um Musik, zuletzt habe ich am Artwork für Frantic gearbeitet. Ich plane dort auch oft zukünftige Projekte, meist ist es aber auch nur ganz normaler Kleinkram. Wenn ich aufnehme, bin ich eine Etage tiefer im Studio. Abends, das klingt jetzt vielleicht ziemlich langweilig, gehe ich meistens irgendwo etwas essen. Man trifft mich heute nicht mehr so oft auf Raves…“

Schon 1972 bekannte sich Ferry in dem Roxy Music-Song „2HB“ zu Humphrey Bogart und dem Film „Casablanca“: „White jacket black tie wings too/ You gave her away to the hero.“ Seit er auf dem Cover von „Another Time Another Place“ im weißen Haifischhaut-Smoking als Widergänger seines Idols posierte, hat Ferry das Image eines eleganten Lebemanns. Für einen Rocksänger war das damals eine kühne Pose. Doch spätestens seit „Avalon“ und „Boys And Girls“ wurde dieser (abgemilderte) Look auch zum Erkennungszeichen der Yuppies. Jedes dahergelaufene Männermagazin feiert Ferry seitdem als Stil-Ikone. Er lässt sich das gerne gefallen, eitel genug ist er ja. Während der Deutschland-Tour von Roxy Music im Sommer 2001 wechselte der Sänger gleich mehrmals am Abend die Garderobe.

Gab es für die Kleiderwechsel einen Grund?

„Um ehrlich zu sein, das lag an der Hitze: Bei den schnellen Stücken, wo ich gleichzeitig singe und tanze, schwitze ich schnell. Bei den langsamen Nummern fange ich dann an zu frieren.“

Und das nennen Sie ehrlich?

„Naja, wenn man sich schon umzieht, dann wechselt man natürlich in etwas anderes. Gucci und Dior haben uns ein wenig mit der Kleidung geholfen, das war kein Deal, sondern einfach nur nett von diesen Designern.“

Sind das Lieblingsdesigner von Ihnen?

„Ach, was heißt Lieblingsdesigner… Das sind ja eher Design-Hersteller, was ein Unterschied ist. (lacht wissend) Ich persönlich trage lieber englische, traditionell geschneiderte Kleidung.“

Gibt es Dinge, die sie nicht mal zu Hause anziehen wurden?

„Ich mag keine Trainingsanzüge mit Streifen. Was gefällt mir außerdem nicht…“

Jetzt meldet sich auch Katie Turner mit piepsiger Stimme und nettem Akzent zu Wort. Ein wenig hat sie Bryans Geschmack offenbar schon kennen gelernt: „Turnschuhe?“

Ferry: „Oh, oh, mit Turnschuhen zeige ich mich ebenso ungern wie in Bomberjacken“.

Katie (lacht): „Speedos?“ (grellbunte lächerliche Bade-Slips) Ferry. „Pah! Da würde ich ja eher Boxershorts anziehen.“

Katie: „Billige Krawatten?“

Ferry: „Richtig. Ich mag auch keine schmalen Krawatten. Tja, wenn man mal anfängt, darüber nachzudenken, gibt es schon ein paar Sachen, die mir nicht gefallen. Aber wissen Sie, was ich richtig gut finde? Den Mercedes 500 SL können Sie mir einen besorgen?“

Wie sollte ich?

„Keine Ahnung, ich dachte, in Deutschland fährt jeder einen Mercedes.“

Haben Sie außer dem 500er noch ein weiteres Lieblingsauto?

„Der Wagen, den ich momentan am liebsten und häufigsten fahre, ist ein alter Landrover. Ich stehe auf diesen röhrenden Macho-Sound, den er von sich gibt, wenn ich über die Feldwege rase. Aber der neue Ferrari ist auch nicht übel, ich hatte noch keinen.“

Bevor seine Kritiker nun endgültig den Stab über Ferry brechen, verlassen wir besser das Hotel Vier Jahreszeiten und das Jahr 2002. Wir verpassen dann zwar die Einlassungen des Hobby-Sammlers zum Thema Malerei, doch bei aller Liebe zu Gerhard Richter, Anselm Kiefer und dem einstigen Mentor Richard Hamikon: Der Sänger mag vor allem Bilder, „mit denen man gut leben kann, weil sie recht dekorativ sind“. Nein, natürlich kein Kitsch, sondern britische Malerei aus der ersten Hälfte des 2O.Jahrhunderts.

Ferry liebt aber auch „alte“ Hotels wie das Berliner Adlon, wo ich ihn vor einigen Wochen wieder getroffen habe. Doch bevor wir eintauchen in die Gegenwart der von einem mächtig lauten Bar-Pianisten bespielten Nobelherberge, noch ein paar Gedanken zu unserem Helden: Viele haben Ferry nie verziehen, dass er „For Tour Pleasure“ nur einmal gemacht hat. Wie eine Kamera begleitete er damals seinen Protagonisten in die kalte und entfremdete Welt von „In Every Dream Home A Heartache“: „In every dream home a heartache and every step I take/ Takes me further from heaven/ Is there a heaven?/ I’d like to think so Standards of living they’re rising

daily/ But home, oh sweet home it’s only a saying.“ Was für eine weit abgewandte, wehmütige Pose. Dazu dieses ungreifbare Flirren von Enos Synthesizer, die unheilvoll leiernde Orgel. Natürlich geht es um die Verlorenheit des Einzelnen: Was, wenn da wirklich nichts wäre außer einer aufblasbaren Gummi-Puppe?

„Open plan living bungalow ranch style/All of its comforts seem so essential“: Ferry scheint noch heute gefangen in dieser Welt. Seine Melancholie ist die eines Multimillionärs, der vieles erreicht hat, sich aber dennoch oft unverstanden und einsam fühlt. Diese Stimmung zieht sich — mal mehr, mal weniger—durch alle Alben und macht die schnöselige und konservative Seite von Ferry erträglich. Auch seine Unsicherheit ist letztlich eine Stärke. Man sollte vielleicht etwas Verständnis haben, gerade für den Solokünstler, der es nicht immer schafft, den eigenen Ansprüchen zu genügen. Der sich in sündhaft teure Produktionen stürzt – wie das Desaster „Horoscope“, das dann als „Mamouna“ enttäuschte – und der sich viel zu oft mit seelenlos perfekten Studiomusikern umgibt. Wenn ihm ein gutes Album glückt, wie 2002 mit „Frantic“, dann spielt er seinen Erfolg gelangweilt herunter und betont Nebensächlichkeiten: „Es war gut, mal wieder Harmonika zu spielen. Das ist zwar ein schlichtes Instrument, aber am richtigen Platz funktioniert es und schafft die richtige Stimmung.“ Trotz der innovativen Impulse, die auch heute noch von seiner Musik ausgehen, arbeitet Ferry schon immer am liebsten mit einer persönlich interpretierten und neu arrangierten Vergangenheit.

Doch bevor wir die Wurzeln des 61-Jährigen untersuchen, blenden wir über in das Berliner Hotel Adlon, im Januar 2007. Ferrys Ehe ist inzwischen geschieden, und Katie Turner hat sich nach zwei Jahren ebenfalls von ihm getrennt – auch wenn über ein erneutes Aufflammen der Beziehung getuschelt wird. Roxy Music touren noch immer gemeinsam, und seit letztem Jahr arbeiten sie auch an einem neuen Album.

Der Stil-Papst zeigt sich heute fast lässig: Jeans, schwarzes Breitcord-Jackett, helles Hemd mit dezenter Krawatte unter einem grauen Pulli.

Herr Ferry, Sie hatten schon immer eine Vorliebe für Bob Dylan. Bereits der erste Song ihres ersten Soloalbums war eine Coverversion von „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“. Nun legen Sie gleich ein ganzes Album mit Neu-lnterpretationen des alten Meisters vor – was fasziniert Sie an Dylan?

„Zunächst einmal die Texte: Dylan entwirft tolle Bilder und verwendet Sprache ganz großartig – ich liebe es, solche Sache zu singen. Da ist alles sehr einfach und pur, Stimme und Harmonika stehen im Vordergrund, ohne jede Spur von Ironie oder so etwas. (lacht) Manchmal ist das der beste Weg, um etwas zu tun.“

Mögen Sie Ironie nicht mehr?

„Ich mag Ironie sehr gerne, sie ist ein Teil meines Aktienkapitals. (lacht) Aber hier war sie nicht angebracht.“

Es heißt, Sie hatten Dylan nie getroffen.

„Nein, kein einziges Mal.“

Würden Sie gerne?

„Nein, eigentlich nicht. Es wäre nett, wenn ich ihm irgendwo zufällig begegnen würde. Ein Freund von mir, der Musiker Dave Stewart, ist mit ihm befreundet. Vielleicht treffe ich ihn mit Dave eines Tages, irgendwo an einem einsamen, staubigen Highway.“

Er wird Anfang April durch Deutschland touren – genau wie Sie…

„Ah, interessant, ich habe ihn erst einmal gesehen – das war letztes Jahr in der Brixton Academy in London. Dylan spielte nur Piano, keine Gitarre.“

Warum haben Sie sich Dylan nicht schon früher einmal angeschaut?

„Keine Ahnung, seit ich selber Musiker bin, gehe nicht oft auf Konzerte. Es ist immer so viel zu tun. Vermutlich gibt es in meinem Leben bereits genug Musik, (lacht) Nein, da gehe ich lieber zu einer Kunstausstellung.“

Obwohl er auch „The Times They Are A-Changing“ neu eingespielt hat, interessiert ihn das soziale Engagement des jungen Dylan herzlich wenig: „Ich habe nicht viel, gegen das ich protestieren möchte – außer der englischen Regierung“, sagt er mit einem grimmigen Lachen. „Aber ich glaube auch, dass es möglich ist, sich einem großen Song auf verschiedene Weisen zu nähern. Für mich spielte es keine Rolle, von was „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ handelte, dass Vietnam die Quelle der Inspiration war. Es ist ein großartiger Text, dessen Aussage man auch viel allgemeiner verstehen kann. Es ist faszinierend, wie gut sich diese Lieder Dylans gehalten haben.“

Sie haben auf ihren Soloalben schon immer gerne die Musik anderer Künstler interpretiert – was reizt Sie daran?

„Ich liebe es, eigene Stücke zu bringen, aber

ich bin nicht sehr produktiv, ich schreibe einfach nicht genug Songs. Deshalb schaue ich mich immer nach neuen Sachen um. Aber erinnern Sie sich bitte auch daran, dass all die großen Sänger des 2O.Jahrhunderts mit Liedern berühmt wurden, die nicht von ihnen stammten. Frank Sinatra, Bing Crosby und Elvis Presley waren die größten Sänger des 2O.Jahrhunderts. Keiner von ihnen hat etwas geschrieben.“

Glauben Sie, dass Ihr Publikum das genauso sieht?

„Aber sicher, man mochte hören, wie ich verschiedene Dinge ausprobiere. Das 3oer-Jahre-Album war ein großer Erfolg, weil das Material gut zu meiner Stimme passte. Und ich verstehe dieses Material. Ich möchte auch annehmen, dass ich Dylan sehr gut verstehe.“

Wie kommen Sie darauf?

„Dylan und ich unterscheiden uns nicht so sehr im Alter. Als wir aufwuchsen, hörten wir vermutlich die gleiche Art Musik – er im Mittelwesten der USA und ich im Nordwesten Englands. Ich könnte mir vorstellen, dass er dasselbe empfand wie ich, als er Leadbelly zum ersten Mal hörte: Huh, wow, was ist das?“

Für den kleinen Bryan waren Musik, Kunst und Literatur zunächst Fluchtburgen und dann ein wunderbares Sprungbrett, um der proletarischen Realität seines Elternhauses zu entfliehen. „Einerseits liebt man den Ort, wo man herkommt, andererseits möchte man dem verzweifelt entfliehen: neue Plätze entdecken, sich selber entdecken“, sagt er heute. Sein Elternhaus hat Ferry stets als liebevoll und fürsorglich empfunden. Sein Vater war ein Bauer, der sich für einen Hungerlohn unter Tage um die Gruben-Ponys eines Kohlebergwerks kümmerte. Doch sein Junge hatte Ambitionen, träumte schon früh davon, ein anderer zu werden.“Zur Universität zu gehen, das war ein großer Moment. Ich fing plötzlich an aufzublühen wie eine Blume, als ich Menschen mit den gleichen Interessen kennenlernte. Vor allem in der Kunst, denn das war meine Sache.“

Ferry ist inzwischen aufgestanden und hat sich – obwohl im Zimmer eine angenehme Temperatur herrscht – seinen Mantel übergezogen, sogar den Schal hat er umgelegt. Nun sitzt er etwas müde, wie ein entmachteter König in einem Armstuhl. Warum bloß vergleicht sich der Mann laufend mit Dylan wo es doch offensichtlich mehr Unterschiede gibt als Gemeinsamkeiten? Vielleicht sollten wir zum Abschluss über jemanden sprechen, der eher als sein als Gegenpol galt: Brian Eno. Seit den späten Achtzigern hat der Ambient-Philosoph und Roxy-Gegenspieler an drei Soloalben von Ferry mitgearbeitet: „Mamomid“ und „Frantic“— wo er jeweils einen Song mit Ferry schrieb und auch das übliche Instrumentarium auspackte und nun auch auf „Dylanesque“: „Das war keine große Sache, es ist ein netter struktureller Dreh, den er dem Rhythmus von ,If Not For You‘ verpasst hat.“

Was fasziniert die Menschen so an der Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Eno?

„Ich glaube, die Leute mochten von Anfang an die Kombination von uns beiden. Die Tatsache, dass wir uns unter recht dramatischen Umständen trennten, steigerte das Interesse sogar noch. In jedem Film spielen Spannungen und Konflikte eine wichtige Rolle – und so ist das auch hier.“

Wie wurden Sie ihr Verhältnis beschreiben?

„Ich glaube, wir genossen die Gesellschaft des anderen schon immer, obwohl wir unsere eigenen Umlaufbahnen haben, in denen wir arbeiteten. Deshalb sahen wir uns in den letzten Jahrzehnten nicht gerade häufig, aber wenn, dann war es ein Vergnügen. Als ich St. Petersburg war, um mit ihm „I Thought“ zu schreiben und danach im Studio, das war wirklich gut. Das war Freundschaft, ohne den Druck, dem wir in den frühen Siebzigern ausgesetzt waren.“

Was stand damals zwischen ihnen?

„Diese Treibhaus-Atmosphäre einer neuen Band, die sehr populär war. Wie so oft bei jungen Leuten, gab es unterschiedliche Interessen innerhalb der Band, Egos, die aneinander gerieten, solche Sachen. Meine Ambitionen mit der Band waren andere als die von Brian. Also trennten wir uns.“

Angesichts des anstehenden Roxy-Albums – seit 34 Jahren das erste mit Eno wäre etwas Selbstbeherrschung bei der Machtfrage vielleicht auch nicht ganz unangebracht. Doch Eno hat Ferrys Hauptrolle bei Roxy Music längst akzeptiert.

Zum Abschied will ich von Ferry wissen, ob ihm das Bild gefällt, das die Medien von ihm zeichnen. Er lächelt müde und sagt: „Das hängt immer davon ab, wie intelligent das Medium ist. Wenn die Menschen meine Musik verstehen, dann verstehen sie in der Regel auch mich besser. Aber wenn sie nur den Typen im Anzug sehen, der mit den Mädchen rummacht, dann ist das langweilig- selbst wenn es als Kompliment gemeint ist.“ Ferrys Helden, das sollte man nie vergessen, sind nicht langhaarige Rocker, die sich im Drogenrausch über die Bühne rollen. „Wenn man auf die Bühne geht, sollte man sich Mühe geben“, sagt er beim Rausgehen. „Als ich früher meine Jazz-Helden auf der Bühne sah, haben sie sich auch Mühe gegeben. Das ist auch meine Einstellung: Es ist immer Showtime!“

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