Slime: Warum wurde „Bullenschweine“ erst im Mai 2011 indiziert? Eine Spurensuche

1980 veröffentlicht die Punkband Slime ihren Song "Bullenschweine". Im Mai 2011 wird die Platte auf den Index gesetzt. Wenn überhaupt – warum erst jetzt? Eine Spurensuche von Christoph Dorner und Joachim Hentschel.

Elke Monssen-Engberding klingt ernsthaft aufgebracht: „Was will man bei diesem Stück denn eigentlich nicht überpiepsen?“ Dabei müsste die Leiterin der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in Bonn, eine Juristin mit resolutem Tonfall, doch halbwegs abgehärtet sein von all dem Schweinkram, der täglich über die Tische der Behörde kriecht. Aber dann geht sie noch einmal kurz den Liedtext von „Bullenschweine“ durch, dem alten Song der Hamburger Punkband Slime: „Ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin/ Wie ’68 in Westberlin/ Diese Mischung ist wirkungsvoll/ Diese Mischung knallt ganz toll/ Wir wollen keine Bullenschweine!“ Und dann, falls es einer noch nicht gemerkt hat: „Dies ist ein Aufruf zur Gewalt/ Bomben bau’n, Waffen klau’n/ Den Bullen auf die Fresse hau’n …“

Tatsächlich existieren Fassungen des Songs, „*Schweine 2003“ oder „Wir wollen keine“, bei denen Störtöne über den möglicherweise anstößigen Wörtern liegen, die Slime-Sänger Dirk Jora heiser hechelt. Es gibt Coverversionen, eine von den Absoluten Beginnern, in der Jan Delay „Wir wollen keine, keine, keine …“ wiederholt. Eine von Fischmob mit hochgepitchten Singstimmen, die so albern klingen, dass die Aggression zum Kasperltheater wird. Aber es ändert nichts daran: „Bullenschweine“, diesen stumpfen, plakativen Klassiker des deutschen Punk, 1980 veröffentlicht, zehntausendfach auf Straßen, in Stadien und durch schwarze Sturmhauben hindurch gegrölt, kriegt man durch Teilzensur nicht in den Griff. Den kann man nur dulden, verdauen, niederargumentieren. Oder: wirklich ganz verbieten.

„Der Text ist ein einziger Aufruf zur Gewalt“, fasst Bundesprüfstellenleiterin Monssen-Engberding zusammen. Wasserdicht formuliert: „Durch die eindeutige Verächtlichmachung, Diskriminierung, Beschimpfung von Polizeibeamten und die Aufforderung, diese zu töten, ist nach Auffassung der Beisitzer das Tatbestandsmerkmal des § 130 Abs. 1 StGB erfüllt.“ So steht es in der Indizierungsentscheidung 9801 der Bundesprüfstelle, abgedruckt im Bundesanzeiger-Rundbrief Nummer 83, in dem regelmäßig die Neuzugänge auf der Schwarzen Liste vermeldet werden. Datum: 10. Mai 2011. Kaum einer hat’s gemerkt – zusammen mit der EP „Fleischfestival“ der Dark-Metal-Band Eisregen und DVDs wie „Die weiße Göttin der Kannibalen“ und „Viele Gesichter hat der Tod“ sind Slime mit dem „Bullenschweine“-Song auf dem deutschen Index gelandet, mehr als 30 Jahre nach der Veröffentlichung. Wieder, will man spontan ergänzen. Dass Slime, 1994 aufgelöst, 2010 zurückgekehrt, immer Ärger mit der sogenannten Zensur hatten, gehört ja fest zum Mythos der Band.

Um genau zu sein: Die EP „Wir wollen keine Bullenschweine“ und das Album „Slime 1“ (auf dem der Song enthalten ist) wurden von der Prüfstelle in den Teil B der Liste aufgenommen. Das bedeutet nicht nur, dass die zwei Tonträger ab sofort nicht mehr an Unter-18-Jährige verkauft und öffentlich beworben werden dürfen (wie es für die Medien in Listenteil A gilt) – es heißt auch, dass sie nach Einschätzung der Behörde strafrechtlich relevant sein könnten. Mögliche Konsequenz: Die Slime-Platten könnten beschlagnahmt, also auch für Erwachsene verboten werden. Aber das kann nur ein Gericht anordnen. Der Fall wird, nach dem Urteil durch die Prüfstelle, derzeit von der Cottbusser Staatsanwaltschaft bearbeitet.

Aber wie kommen zwei Punk-Platten aus den frühen Achtzigern 2011 auf den Index? Und vor allem: Standen die da nicht eigentlich schon?

Die Bundesprüfstelle leitet die Indizierungsverfahren nie selbst ein, sondern wird erst auf Antrag anderer Behörden aktiv. Antragsteller im Fall Slime, eingereicht im März 2011: das Landeskriminalamt Brandenburg. Über 400 rechtsextremistische oder gewaltverherrlichende Tonträger habe man seit 2003 zur Indizierung vorgeschlagen, über 90 Prozent seien tatsächlich in die Liste aufgenommen wurden, sagt LKA-Sprecher Toralf Reinhardt. Woher der Hinweis auf Slime kam? Es habe mit dem Konzert der Band vom 15. Dezember 2010 im Berliner SO36 zu tun, deutet Reinhardt an. Im Anschluss war es wie bei den einstmals berüchtigten Slime-Shows in den Achtzigern zu einer kleinen Straßenschlacht gekommen, in deren Verlauf auch Polizisten mit „Eisklumpen, Flaschen sowie Steinen“ attackiert wurden. Den Songs attestiert man beim LKA weiterhin eine „aufputschende und Gewalt fördernde Wirkung“.

Rückblende. Im Jahr 1982 ist es das Jugendamt der Stadt Hagen, das erstmals eine Überprüfung von Slime-Stücken anregt. Ein paritätisch besetztes Zwölfer-Gremium der Bonner Bundesprüfstelle, in dem neben dem Künstler Hans-Peter Reuter und der Schriftstellerin Thea Graumann auch ein Büchereidirektor und ein Prälat sitzen, beschließen am 13. Mai 1982 die Indizierung des Punk-Samplers „Soundtracks zum Untergang“. Grund sind unter anderem die Stücke „Polizei SA/SS“ und „Keine Führer“ von Slime. Zitat: „Der Text beider Lieder ist geeignet, den jugendlichen Zuhörern das Vertrauen in die Rechtsordnung und die Verfassungsmäßigkeit der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen.“ Der Sampler darf nicht mehr beworben, an Jugendliche verkauft und ihnen vorgespielt werden. Eine B-Liste mit Vorschlägen für den Staatsanwalt gab es 1982 noch nicht.

Wohlgemerkt: Um „Bullenschweine“ ging es damals gar nicht. Das Stück war im Februar 1980 zum ersten Mal auf der EP „Wir wollen keine Bullenschweine“ erschienen, auf deren Cover die vier Mitglieder das Foto auf der ersten The-Clash-Single „White Riot“ nachstellen, dann 1981 auf dem Album „Slime 1“. „Der Faschismus hier in diesem Land/ Der nimmt allmählich Überhand“, skandierte Sänger Jora über das berühmte Schrubb-Riff, „wenn ich die Bullen seh‘ mit Knüppeln und Wummen/ Jedesmal sind wir die Dummen.“ Ähnliches Thema, anderes Lied.

Die Band selbst hat mittlerweile natürlich ein etwas besonneneres Verhältnis zur Institution Polizei und dem Song, der aus einer Zeit der Terrorismus-Hysterie, linker Hausbesetzungs-Folklore in Hamburg und West-Berlin sowie der Deutschpunk-Explosion heraus entstand: „Natürlich ist der Text unter künstlerischem Aspekt nicht gerade ein Highlight“, sagt Gitarrist Michael „Elf“ Mayer heute. „Es ist ein Hass-Song. Als 15-jährige Punks wurden wir in der S-Bahn verhaftet, ohne etwas getan zu haben. Mit 16 habe ich das Lied geschrieben, die Parolen hatte ich von Demos und aus RAF-Texten.“

„Natürlich war das Volksverhetzung“, erklärt Sänger Dirk Jora. „Trotzdem wird es von uns niemals eine Distanzierung zu dem Song geben. Man muss den Text in seinem zeitgeschichtlichen Kontext sehen: Ich war in der Anti-AKW-Bewegung und in der Hamburger Hafenstraße unterwegs. Wir haben uns mit Faschos geprügelt, im Knast sind immer nur wir gelandet. Dort haben wir dann die vier Ecken der Zelle gezeigt bekommen, sprich: Wir wurden verprügelt. Heute sind Polizisten für mich einfach nur schlecht bezahlte Erfüllungsgehilfen für ein System, das ich ablehne.“

Aber wann kamen „Bullenschweine“-Single und Slime-Album denn nun zum ersten Mal auf den berühmten Index, auf dem einst die Ärzte mit ihren Schäferhunde- und Geschwisterliebe-Songs und Bushido mit „Vom Bordstein bis zur Skyline” landeten? Laut Auskunft der Bundesprüfstelle: gar nicht. Eben erst jetzt, im Mai 2011. Nur eine weitere Compilation mit verschiedenen Bands namens „Deutschpunk Kampflieder“, auf der der Song enthalten war, geriet 2003 auf die Liste. Aber da die Prüfstelle immer nur ganze Tonträger und nie einzelne Stücke indiziert, hatte das auf die Slime-Diskografie keine praktische Auswirkung.

Ärger gab es trotzdem – nicht mit der Bundesbehörde, sondern gleich mit der so frenetisch besungenen Polizei. Karl Walterbach, heute Chef der Produktionsfirma Music Force, leitete in den 80er-Jahren das Berliner Label Aggressive Rockproduktionen, brachte die Platten von Slime heraus (und auch die zwei bereits erwähnten, indizierten Sampler) und bekam mehrfach Besuch vom Durchsuchungskommando.

„Wahrscheinlich hatte da irgendein Söhnchen zu Hause die Musik zu laut aufgedreht“, vermutet Walterbach im Gespräch mit dem ROLLING STONE, „und weil dem Vater schon die Punkfrisur nicht gefiel, dachte er sich: ,Jetzt reicht’s!‘, und lief mit der Platte zur Polizei.“ Allein zwischen 1981 und 1986, erinnert der Labelbetreiber sich, habe es mindestens drei Slime-bedingte Ermittlungsverfahren gegeben, in deren Verlauf bei ihm und beim Vertrieb SPV in Hannover Schallplatten konfisziert wurden. Alle wurden eingestellt. „Kein Richter würde ein solches Verbotsverfahren wirklich durch die Instanzen treiben. Solange es um die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks geht, wäre das auch aussichtslos.“

Hat er die beschlagnahmten Platten dann wenigstens zurückbekommen? „Ach, das waren doch nur Restbestände“, sagt Walterbach. „Die hatten sich längst wie geschnitten Brot verkauft. Dank der Staatsanwaltschaft musste ich bei Slime keine Mark für Promotion ausgeben.“

Wieso im März 2011 unter anderem die alte Vinyl-7-Inch in Bonn vorgelegt wurde, ist ein Rätsel, das mit den eher diplomatischen Auskünften des LKA und der Band nicht geklärt werden kann. Die Website Discogs.com verzeichnet allerdings – ohne Labelangabe – einen Re-Release der EP von 2010, also aus der Zeit der Wiedervereinigungskonzerte. Möglich, dass eine dieser Platten den Ermittlern in die Hände kam.

Die Beratung in der Bundesprüfstelle dauerte nicht lange. Das Dreier-Gremium bestand aus Leiterin Monssen-Engberding, einer politischen Referentin und einer wissenschaftlichen Angestellten. Das Ergebnis, auszugsweise: „Die Bundesprüfstelle kommt zu dem Ergebnis, dass der Kunstgehalt der Lieder als gering einzustufen ist. Demgegenüber sind die Belange des Jugendschutzes als hoch anzusiedeln, da dazu aufgefordert wird, Menschen (Bullen) zu töten, mit der Folge, dass dem Jugendschutz Vorrang vor dem Kunstschutz einzuräumen war.“ Indiziert wurden die Single und die „Smile 1“-LP umgehend – die Entscheidung, ob es auch ein Verbot geben wird (oder die Platten am Ende doch zurück in den Listenteil A wandern), wird sich noch hinziehen. Erst muss das Brandenburger LKA feststellen, wo die Herstellerfirma der Tonträger sitzt – die am Ende immer für das haftbar bleibt, was auf ihren Schallplatten enthalten ist. Bei Slime ist selbst das kompliziert: Auf der nachgepressten Single steht keine Adresse.

„Würde die Polizei sich im Jahr 2011 nicht immer noch so daneben benehmen, würden wir den Song gar nicht mehr spielen“, schickt Slime-Sänger Dirk Jora hinterher und erzählt vom Konzert in Stuttgart, bei dem sogar bürgerliche Stuttgart-21-Demonstranten applaudiert hätten. Zur Sicherheit lässt die Band – wie letztens  beim Hamburger Hafengeburtstag – kritische Passagen ganz einfach von den Fans singen. „Die können ja schlecht ein paar 100 Leute auf einmal festnehmen.“ 

Den besungenen Bullen hat der Song in den vergangenen 30 Jahren zum Glück nicht nachweislich geschadet. Slime – der Band, die so überaus leicht beweisen konnte, für wie gefährlich Punkrock im Jahr 2011 noch gehalten wird – auch nicht.

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