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„There’s a Riot Goin‘ On“ von Sly & The Family Stone: Rumpeliger Ego-Trip

Sylvester Stewards faszinierender Egotrip wurde lange als Meisterwerk von Sly & The Family Stone verklärt. Das Songwriting hält den Vergleich zu anderen Großtaten des Jahrzehnts aber aus späterer Sicht nicht ganz stand.

Das Sly im Band-Namen passe zu ihm, behauptete Columbia-Boss Clive Davis in seiner Autobiografie „Inside The Record Business“, und seine notorische Drogenkarriere illustriert auch die Anekdote, in der ihn sein Künstler, in vollem Ornament und aufgeputzt ziemlich von der Rolle, sprich: high, am Pool im Beverly Hills Hotel aufsucht und von ihm einen Scheck über gerade mal 250.000 Dollar verlangt.

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Nächsten Montag werde er dann auch ganz sicher die Mutterbänder fertigen abliefern. Aber das hatte er in den Jahren seit „Stand!“ schon so oft versprochen, dass die Firma nach dem spektakulären Woodstock-Auftritt eine „Greatest Hits“-Kollektion einschieben musste, um von der seither immens zunehmenden Popularität der Band zu profitieren. Auch auf die schlaue Idee vom schlauen Sylvester Stewart, er könne den Scheck ja die paar Tage vordatieren, ging Davis nicht ein.

Keiner glaubte mehr an Sylvester Stewart

Soviel Beharrungsvermögen zahlte sich aus. Zwei Wochen später brachte ihm der durch exzessiven Drogenkonsum notorisch unzuverlässig gewordene Star die Bänder zu „There’s A Riot Going On“ ins Haus. Das war die Platte, die ihn mit drei ausgekoppelten Hit-Singles und mehreren Millionen verkauften LPs für eine Weile zum Superstar machte. Am Ende war sie, in mehr als einer Hinsicht unter ähnlichen Umständen entstanden wie „Exile On Main St.“, dann doch noch fertig geworden, und anders als im Fall des genannten Stones-Klassikers reagierte die Kritik nicht reserviert, sondern ohne Vorbehalte enthusiastisch.

Die ersten LPs konnte man noch als die übliche Hits-with-filler-Strategie betrachten und sogar an „Stand!“ noch bemäkeln, dass es kein ähnlich schlackenloses Werk war wie „Otis Blue“. Aber „Riot“ überrumpelte mit den vielen divergierenden Ideen alle, obwohl es überhaupt kein geschlossenes Konzeptalbum war. (Dass die Platte Marvin Gaye oder Stevie Wonders musikalischen Fortgang maßgeblich beeinflusst hätte, wie von manchen Kritikern dann leichtfertig behauptet, ist ziemlicher Unsinn. „Music Of My Mind“ von 1972 und die in ununterbrochener Serie folgenden Meisterwerke waren eine total andere Baustelle, „Let’s Gct It On“ sowieso.)

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Bei all dem kriminellen Pack um ihn herum in der Luxusvilla, die mal Hollywoodstar Jeanette MacDonald bauen ließ, war „Riot“ weithin doch ein im Alleingang aufgenommenes Werk – und anders als der Hit längst nicht mehr in demselben Maße eine „Family Affair“ wie die vier LPs vorher. Bei den legendären, Tage dauernden Koks-Partys waren Songschreiber-Kollege Jim Ford oder Bobby Womack mehr präsent als sein toller Mann am Bass. Wenn der gelegentlich von Oakland runterflog nach Los Angeles, um den Fortgang der Dinge über die Monate hinweg zu prüfen, fand Larry Graham zu seinem bassen Erstaunen manchmal, dass der Chef seine Beiträge gelöscht und eigenen Bass drübergespielt hatte. So viel Selbstbewusstsein produzierte nicht nur reichlich Frust.

Die Family hatte sich auseinander gelebt

„Riot“ dokumentiert nebenbei auch die Familie in Auflösung. Das waren – ausgerechnet zu Beginn der Ära, die mit dem Aufstieg von Steely Dan, Pink Floyd, Yes & Co. dem Begriff High Fidelity in der Popmusik eine ganz neue und zentrale Bedeutung gab – weithin wahre LoFi-Orgien, alle von ihm selber geschrieben, arrangiert, produziert, auch überwiegend solo musiziert und gesungen.

Bis heute aus irgendeinem nie näher geklärten Reflex heraus maßlos überschätzt, gilt „Riot“ als das magnum opus von Sylvester Stewart. Es ist – natürlich und unbezweifelt- das ungleich persönlichere Werk. Und es rangiert, nüchtern und aus der Distanz noch einmal gehört, in derselben Liga wie „Stand“.  Aber, jedenfalls was das Songwriting angeht, nicht in derselben Klasse wie etwa “ Sticky Fingers“ oder „Exile On Main St.“. Auch wenn letztere nie eine Schule begründeten wie „Riot“. Es bleibt stets Sylvester Stewarts faszinierendster Egotrip.

Ein (leicht modifizierter) Artikel aus dem RS-Archiv

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