Smells Like Teen Spirit

"Wir waren gar nicht darauf vorbereitet, so berühmt zu werden. Das war nie unser großes Ziel. Wir wollten nur eine Platte rausbringen, und all den Leuten, denen die erste gefiel, dürfte sicher auch die hier gefallen", sagte Kurt Cobain Anfang '92 über "Nevermind". Da aber ahnte er noch nicht, daß diese LP Verkaufsrekorde brechen, die Industrie erschüttern und obendrein die Initialzündung zu einer musikalischen Revolte geben sollte, die als Grunge Wellen schlug. Danach war nichts mehr wie vorher.

Plötzlich waren sie überall, der alte Mann mit dem Feudel, der Basketball-Korb, die verschwommenen Cheerleaders, die drei krakeelenden Burschen. „Here we are now, entertain us“ – das war der Slogan des Jahres 1991, das brüchige philosophische Fundament, auf dem die „Generation X“ erstand, als Douglas Coupland die knuffige Resignation schlaffer Wohlstandsgeschädigter ausformulierte. Kurt Cobain war wirklich und wahrhaftig ein slacker – schlimme Kindheit, schlimme Jugend, schlimme Magenschmerzen und Drogenprobleme. Und dann auch noch der Erfolg. Er konnte einem leid tun, doch wir ahnten ja nicht, was sich hinter diesem Äußeren verbarg, dieser fast artifiziellen Schludrigkeit, dieser Mutlosigkeit metaphysischen Kalibers.

„Nevermind“ erlöste uns von den Achtzigern und von unserer Jugend, es begründete „Grunge“ und „Alternative“, obwohl es nur die Vollendung von Ideen war, die Mudhoney, Mother Love Bone, Screaming Trees, Soundgarden, Melvins und zahllose andere Jahre früher auf den Weg gebracht hatten. Cobain wußte das und dankte den historischen Verlierern bis an sein Ende. Vom Roadie zum Junkie – so kurz war die Strecke von Seattle bis zum Himmel. Der zweite große Satz von Cobain fand sich auf „In Utero“, dem Abschiedswerk: „Teenage angst has paid off well/ Now I’m bored and old.“ Ja, kokett war das und blöd – existentiellere Sentenzen aber hat keiner aus der „Generation X“ mehr zustande gebracht. Die Phantomgeneration wurde mit Cobain begraben. Danach kamen Green Day und Rancid und ähnliche Witzfiguren, das war die eigentliche Tragödie.

Im Angesicht von Cobains Suizid erschien alles gering: der Aufstieg der belächelten Pearl Jam, der Erfolg des „SubPop“-Labels, der beklagte Ausverkauf in Seattle, der „Alternative“-Wahn, der selbst die alten Sonic Youth ergriff- Ostküste durch und durch, und plötzlich mit „Dirty“ im Nirvana-Schatten. Gründervater Bob Mould, einst bei den Post-Punk- Wilden Hüsker Du, brachte mit „Workbook“ ein Buße-Album heraus und gründete Sugar. „Coppe Bitte“geriet fast so kraftvoll, fast so schön zweifelnd und verzweifelt wie „Nevermind“. R.E.M. erreichten mit „Losing My Religion“ gerade noch den Mainstream; die Smashing Pumpkins aus Chicago gelangten mit „ Gish “ und „Siamese Dream“ sofort an die Spitze. Billy Corgan folgte Kurt Cobain, jedoch nur auf dem halben Weg: produktive Neurosen und Träumerle als Wutkopf. Mittlerweile macht er gemeinsame Sache mit Mick Jagger und überlegt, ob die nächste Platte noch ein Doppel- Album wird oder unplugged.

Die „MTV unplugged“-Welle dieser Jahre brach erst ab, als Bruce Springsteen elektrisch aufgetreten war und der Nirvana-Schwanengesang „Unplugged In New York“ die Möglichkeiten der Reduktion ausgeschöpft hatte. Mit Nirvana versank auch die prägende Pracht des Video-Versenders – der Rest ist Pomp & Circumstance, eine Abspielhalde für Großmeister wie Pulp und Radiohead.

Den Briten gehörte die zweite Hälfte der Neunziger: Im Herbst 1994 brach die Ägide von Oasis an, wenngleich „Definitely Maybe“ nur ein Präludium war. Erst „(What’s The Story) Morning Glory?“ brachte schleppend den globalen Triumph: Anfang 1996 mit ihren Singles „Wonderwall“ und „Don’t Look Back In Anger“. In diesem Jahr tanzten alle nach der Pfeife von Noel und Liam, jeder spielte den lad (Mädchen ausgenommen, die spielten Mädchen). Endlich kamen Pulp zu Ruhm: „Different Class“ ist das schönste Statement des Britpop und das unvergänglichste. Blur hatten den Höhepunkt mit „Parklife“; „The Great Escape“ ist zu verspielt und ambitiös und wurde neben „Morning Glory“ zum Treppenwitz. Supergrass, Suede, Sleeper, Marion, Mansun, The Bluetones, Radiohead – die britische Invasion war unaufhaltsam.

Die amerikanische „Grunge“- Fraktion hatte da ausgespielt. Die letzten großen Rock-Alben waren „Mellon Collie & The Infinite Sadness“ von den Smashing Pumpkins und „Dust“ von den Screaming Trees. Mit monströsen Bands wie den Stone Temple Pilots und Alice In Chains war noch die authentischste Drogensucht zur häßlichen Pose erstarrt.

Die Superstars in den Neunzigern? „New Adventures In Hi-Fi“ von R.E.M. blieb ein schlaffer Versuch, ihrem Niedergang spontan ein Konzept entgegenzusetzen – sogar „Monster“ ist ein Monster dagegen. Die Innerlichkeitssuche von Eddie Vedder führte zu „No Code“, einem Album der Einkehr und Besinnung freilich ein kommerzielles Desaster. Und U2 eierten von „Zooropa“ zu „Pop“ – hysterischer Meta-Rock mit Stadion-Schnickschnack und Gratisironie. Bruce Springsteen heiratete Patti Scialfa, wurde Vater und veröffentlichte zwei bedauerliche Alben zugleich: „Human Touch“ und „Lucky Town“ markierten den Tiefpunkt seines Schaffens. Mit dem Depressions-Folk von „The Ghost Of Tomjoad“ nahm er sich aber des Erbes von Woody Guthrie und John Steinbeck an und erreichte beinahe die Intensität von „Nebraska“. David Bowie, ewiges „Chamäleon“, löste die sinnlose Time Machine auf, entdeckte den .Jungle“ und verstieg sich dabei zu Kunst-Exzessen auf„Outside“. Mit „Earthling“ erklärte er den Altvordern das Prinzip „Drum & Bass“, doch die hören lieber „Hunky Dory“.

Dancefloor, HipHop, Elektronik und Kinderkram bestimmen das Tagesgeschäft, täuschen wir uns nicht. „It’s not dark yet, but it’s getting there“, singt da gerade noch zur rechten Zeit Bob Dylan, Retter des Guten, Wahren, Schönen auch in der vierten Dekade. Die Rolling Stones röhren dagegen weiterhin brünstiges Zeug wie „Anybody Seen My Baby?“ – ein chronischer Fall von Regression, qua Dehydrierung in vakuumverpackter Frische, notorisch erfolgreich sowieso. Ihre Tourneen ziehen wie sonst nur Papstreisen ins Land; ganze Belegschaften machen Betriebsausflüge ins immergrüne Rock-Paradies; die Veranstalter kämpfen gegen die Pleite. Kurz, es ist recht eigentlich dieselbe Situation wie einst Mitte der Siebziger, bloß kein Punk ist in Sicht. Hätte Cobain das Ausglühen des sog. Underground verhindern können? Niemals. „Nevermind“ war der Sargnagel für die Gegenkultur. „I Hate Myself And I Wanna Die“ hatte Cobain ursprünglich als Titel für „In Utero“ vorgesehen. Das konnte gerade noch verhindert werden. Doch so spricht man vier Jahre später nicht mehr. Denn die reale Krise ist da, und in der realen Krise regiert die Verlustierung um jeden Preis: Hanson, Backstreet Boys und Spice Girls sind die Kinder von Kurt Cobain.

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