Solidarbeitrag und Erzengel

Der ehemalige Schlosser Michael Brenner ist ein gottesfurchtiger Mann. Aus Sorge um die Menschen, Umwelt und Tiere gründete der heute 38jährige „Fan vom Erzengel Michael“, wie jener sich nennt, vor vier Jahren seinen mittlerweile als gemeinnützig abgesegneten Verein „MUT e.V.“ – und begann seine schlagzeilenträchtige Karriere als „Pornojäger vom Neckar“ („Hamburger Abendblatt“), für den „alles Böse“ auf dem Papier beginnt: „Pornographie ist, wenn nur rumgefickt wird.“ Für den Kreuzzug gegen die Hilfeorganisation pro familia, der er vorwarf, Kinder zu „sexualisieren“, erbat der praktizierende Katholik sogar „Gottes Segen“.

Nicht weniger als „die Achtung der gesamten Schöpfung“ steht für den selbsternannten Moralapostel auf dem Spiel, der bereits mehr ab 100 Anzeigen gegen den den „Konkursbuch Vorlag“ oder „Spiegel“ erstattete und die Indizierung einer Ausgabe der Teenie-Postille „Bravo Girl“ wegen eines Aufklärungsreports initiierte. Er reichte bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften fünf Anträge auf Indizierung des Marijuana-Magazins „Grow!“ ein – die allesamt abgelehnt wurden. Und die Staatsanwaltschaft Heidelberg ließ er gegen die Rockband Klein wegen des Tatbestandes der Gewaltverherrlichung beziehungsweise -verharmlosung ermitteln. Im Lied „Ein Herz für Kinder hatte sie eine zunehmende Gewaltbereitschaft von Kindern thematisiert: „Als Hansi Lieses Ärmchen greift, bricht er es entzwei. Mit seinem Eisenschippchen haut er ihren Kopf zu Brei.“

Den größten Coup landete Brenner jedoch im Juli 1995, als der Meininger Oberstaatsanwalt Reinhard Hönninger den „Alpha Comic Verlag“, die verlagseigene Auslieferung „Packwahn“ und die angegliederte „Edition Kunst der Comics“ im thüringischen Sonneberg von zum Teil schwerbewaffneten Polizisten durchsuchen ließ. Etwa DO Comics, darunter „Kondom des Grauens“ von Ralf König, ein „Maus“-Plakat Art Spiegelmanns und – peinlich, peinlioch – Unterrichtsmaterial von der thüringischen Landeszentrale für politische Bildung, wurden beschlagnahmt. Der Anfangsverdacht, diese Verlage verbreiteten gewaltverherrlichende und pornographische Schriften, wurde um den Vorwurf der Nazi-Propaganda erweitert. Spiegelmann – ein Nazi? Seine Geschichte der Judenverfolgung in Comic-Form wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und von der UNO als Begleitbuch zum Geschichtsunterricht empfohlen. Das inkriminierte Plakat und ein für den Gustav-Heinemann-Friedenspreis nominierter Comic von Paul Gillon übers Warschauer Ghetto wurden inzwischen zurückgegeben. Kommentarlos. Der absurde Nazi-Propaganda-Vorwurf besteht jedoch nach wie vor. Keiner der beschlagnahmten Titel ist bisher von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert worden. Den Staatsanwalt Hönninger hielt das im April ’96 aber nicht davon ab, per Ermittlungsersuchen an 480 Polizeidienststellen die größte Durchsuchung im deutschen Literaturbetrieb seit 1933 auszulösen. Mehr als 1200 Buchläden waren von der Aktion betroffen, in deren Verlauf mal eben noch Comics von Walter Moers („Das kleine Arschloch“), vom Carlsen und vom Rowohlt Verlag mitgenommen wurden. Zahlreiche Buchhandlungen sandten daraufhin ihre Bücher zurück – aus Angst, belangt werden zu können. Der finanzielle Schaden beziffert sich auf Millionen. Eugen Emmerling vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels fürchtet sogar, daß sich die vom Ein-Mann-Verein MUT e.V. begonnene „Provinzposse“ zur „ernsthaften Bedrohung“ der Kunstund Meinungsfreiheit ausweite. Vor allem in Kleinstädten und auf dem Land hätten Buchhändler Angst vor Sanktionen, und Comics daher ganz aus dem Programm gestrichen.

Aus Solidarität veröffendicht das Label Plattenmeister jetzt einen „Soundtrack gegen Zensur“, für den Die fantastischen Vier und Fettes Brot, Slime, Fischmob und Ton Steine Scherben, die Ärzte, Herbert Grönemeyer und Tocotronic größtenteils unveröffentlichte oder rare Aufnahmen beigesteuert haben.

Michael Brenner wird daran wohl wenig Freude haben. Er hört lieber Reinhard Mey oder Simon & Garfunkel: „Ich brauche ruhige Musik, ich halte schließlich den ganzen Tag meinen Kopf hin.“

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