Some Kinda Love

Wim Wenders erinnert sich an sein Lieblingslied, das ihm Ende der Sechziger das Leben rettete. Die Songs von Velvet Underground machten dem ehemaligen Studenten der Medizin, Philosophie, Soziologie und Malerei seine eigentliche Bestimmung klar: das Filmemachen

Eine Ungerechtigkeit sondergleichen, die ich da meinen vielen hundert anderen Lieblingsliedern antun muss!

Nach welchen Kriterien soll ich mich bloß auf einen Song einlassen?

So viele haben mich über die Jahre durch wichtige Lebenslagen getragen, Situationen gerettet, mein Leben verändert, Träume oder Ideen produziert…

Einmal habe ich leichtsinnigerweise in einem Interview gesagt:

„Rock’n’Roll has saved my life“.

Dass ich da nur Lou Reed zitiert habe, hat dabei niemanden interessiert, und seitdem habe ich mich unzählige Male erklären müssen, warum dem so ist und weshalb Musik so eine wichtige Rolle in meinem Leben spielt.

Aber genau genommen ist das Zitat wahrer als ich je zugegeben habe. Und Lou Reed spielt in dieser Geschichte eine zentrale Rolle.

In der Zeit bevor Musik „portable“ wurde, also noch vor dem Walkman und überhaupt noch vor der Audiokassette und Dolby A und B, hatte ich als Reisebegleiter einen tragbaren Uher Recorder, der noch mit Magnetbändern auf Spulen funktionierte.

Das Ding war relativ klobig, hatte einen sensationell hohen Verbrauch an Batterien, aber man konnte ihn überall hin mitnehmen und zum Beispiel im Auto auch über Kopfhörer Musik hören.

Das waren damals auch noch Riesenklopper, zwei gewaltige halbrunde Schalen, die ich da auf dem Kopf trug, und mancher, der mich in meinem 2CV da nachts vor sich hat herfahren sehen, wird gedacht haben, dass da Mickey Mouse höchstpersönlich am Steuer sitzt.

Dieser Uher Recorder mit den Spulen, die man am Ende des Bandes kompliziert umlegen und neu einfädeln musste, hat viele tausend Kilometer quer durch Europa mitgemacht.

Auf den Bändern waren meine „Compilations“, analog ausgesteuert und vom Plattenspieler und LPs auf die magnetischen Tonträger überspielt.

Wie gesagt, dieses Gerät war tragbar und konnte sogar Lautsprecher betreiben, dann aber nur über direkten Stromanschluss.

Im Sommer des Jahres 1969 begleitete mich dieser Walkman-Vorfahre auf einer bizarren Reise nach Italien.

Ich muss vorausschicken:

Ich war da noch Filmstudent, und wir lebten zu mehreren in einer Kommune, die in jener Zeit sehr politisiert war.

Im Haus lebte eine zweite Kommune, diese ausschließlich politisch und prominent besetzt.

(Mit Namen will ich hier aber nicht um mich werfen.) Es gab einen regen Austausch zwischen den beiden Etagen.

Als Filmemacher hatte ich zum Beispiel mit meiner 10mm-Bolex den einen oder anderen Polit-Event oder diverse Demos mitgefilmt Wim Wenders erinnert sich an sein Lieblingslied, das ihm Ende der Sechziger das Leben rettete. Die Songs von Velvet Underground machten dem ehemaligen Studenten der Medizin, Philosophie, Soziologie und Malerei seine eigentliche Bestimmmung klar: das Filmemachen.

Die Reise nach Italien war dann eine Art „Schicksalsreise“

für sämtliche Hausbewohner, die sich da allesamt, auf mehrere Autos verteilt, auf den Weg machten.

Die Demos aus dem Vorjahr hatten sich irgendwie abgenutzt, die politischen Happenings und sonstigen Aktionen ebenso, und im Raum standen neue Strategien.

Da gab es einige, die sich auf den Weg durch die Institutionen machen wollten, und andere, die behaupteten, nur die Bereitschaft zur Gewalt könnte jetzt noch Dinge bewegen.

Gemeinsam mit italienischen Aktionsgruppen, Anarchisten und sonstigen Lebenskünstlern sollten diese neuen Möglichkeiten in Italien diskutiert werden.

Irgendwo in einem einsamen Landhaus in der Nähe von Rom trafen sich dann alle diese Leute.

Viele kannte man – einige waren damals schon legendär andere waren unbekannt, Freunde,

Vordenker, Revoluzzer oder nur Mitläufer.

Auf der Reise war irgendwie mein Gepäck abhanden gekommen oder geklaut worden.

Mehr als meinen treuen Uher mit dem einen Band, das zufällig eingelegt war, besaß ich nicht mehr.

So wuchs mein Bart, was der Gelegenheit nicht abträglich war, und mein Aussehen wurde verlotterter, womit ich ebenfalls höchstens unauffälliger wurde.

Das Tape, was dann von früh bis spät lief, war meine letzte Compilation, auf der besonders Velvet Underground prominent vorhanden war.

Ihr drittes Album, einfach nur Velvet Underground betitelt, war gerade ein paar Wochen vorher erschienen.

Weil auf so einem Schnürsenkelband natürlich keine Titel vermerkt waren, und vor- sowie zurückspulen ohnehin sehr mühsam war“, sind die Songs auf diesem Tape wie zu einem einzigen verschmolzen.

Überhaupt sind jene läge in meiner Erinnerung sehr verwaschen.

Wahrscheinlich, weil ich mich innerlich von der ganzen Sache schon längst verabschiedet hatte.

Bei Diskussionen um irgendwelche Brandsätze oder „Bomben“, die nachts irgendwo losgehen sollten, hatte ich mich demonstrativ entfernt, auch wenn es sich dabei immer nur ausdrücklich um „Gewalt gegen Dinge“ handeln sollte.

Andere Gruppen aber trafen sich, um auch die „Grundsatzdiskussionen“

über „Gewalt gegen Personen“ abzuhalten.

Dafür hatten viele von uns ohnehin keine Gesprächsbereitschaft, so dass sich dieser Kreis dann mehr und mehr isolierte.

Es drang durch, dass für einige zur Diskussion stand, zur „Ausbildung“ in den Nahen Osten zu „Al Fatah“ zu gehen.

„Selbstmörderisch“ habe ich das dann einmal öffentlich genannt, wonach ich für einige persona non grata war, politisch nicht mehr relevant, Filmemacher eben, oder „privatisierender Künstler“.

Da waren mir viele der italienischen Anarchisten oder Aktionskünstler schon näher. Die besprachen irgendwelche verrückten Happenings.

Einmal bin ich mitgefahren zum Haus eines damals berühmten italienischen Regisseurs, Marco Ferreri.

Von dem erhofften sich die „Uccelini“, wie die Gruppe sich, glaube ich, nannte, finanzielle Hilfe.

Aber der Mann wollte nicht aus seinem Haus herauskommen und mit uns reden.

So standen wir draußen vor dem Gartentor und skandierten:

„Ferreri e un stronzo!“ oder „Ferreri e un elefante.'“

oder so etwas Ähnliches, was ich, des Italienischen nicht mächtig, nach Kräften phonetisch unterstützte.

Auf jeden Fall waren das fiebrige, irre und unwirkliche Tage.

Das einzige, was mich bei Sinnen hielt, [war mein Tape mit Velvet Underground.

[Und darauf hatte sich ein Vers wie ein Mantra in mich eingegraben, mit dem ich einschlief und aufwachte.

Lou Reed sang da in „Some Kinda Love“:

„Between thought and expression Lies a lifetime Situations arise Because of the weak And no kinds oflove Are better than others

und ciann folgte ein Gitarrensolo von Sterling Morrison, das meine ganze innere Verwirrung und überhaupt alle meine so heillos gemischten Gefühle beinhaltete und Ton für Ton jene Stimmung aus Absurdität, Trauer oder auch Todessehnsucht widerspiegelte.

Ich habe überhaupt nie wieder jemanden auch nur ähnlich Gitarre spielen hören.

Ein anderer Vers, den ich mir keinen rechten Reim machen konnte, aber der auch alles ausdrückte, was da so in mir und um mich geschah, lautete:

…Like in a dirty French novel The absurd courts the vulgär And for some kinds of love Pnssibilites are endless…“

Und schließlich der beunruhigendste Satz:

„Let us do what von fear most…“

Was ich damals am meisten fürchtete, das wusste ich nicht.

In dem darauffolgenden Song auf meinem Tape sang Lou Reed m beschwörendes Gebet.

esus war der lakonische Titel. h war damals nicht gläubig, nd ob es die Velvet Underground waren, zieht sich meiner Kenntnis.

„Jesus, help me find my proper place Hdp me in my weakness ‚Cos I’m falling out of grace…

Lou Reed sang das so sehnsüchtig und verzweifelt, und Sterling Morrison spielte eben jene unnachahmliche zaghafte und klagende Gitarre, und Maureen Tucker spielte so selbstverloren Schlagzeug, dass ich diese beiden Songs immer wieder hörte, nein, zusammen mit „Pale Blue Eyes“ waren es drei, die mir als ein einziges Werk, als Trilogie sozusagen, tatsächlich das Leben retteten.

Diese Musik ließ in mir die Erkenntnis wachsen, dass mein Weg nichts zu tun hatte mit all dem, was in diesen Tagen verhandelt wurde, sondern dass meine zukünftige Arbeit das Beschreiben, das Beobachten und das Erzahlen werden müsste.

Was in diesen Liedern musikalisch weitergegeben wurde, das würde ich eines Tages mit Bildern machen!

Denn dann kam der Tag der Entscheidung, und die „Uccelinis“, oder wie sie hießen, mitsamt einigen deutschen Sympathisanten, schifften sich auf einen Dampfer nach Palermo ein, um sich dort im Hafen in Holzcontainern abladen zu lassen, mit großem Brimborium aus den Kisten zu krabbeln, und sich mit irgendwelchen streikenden Arbeitern zu solidarisieren.

(Oder so ähnlich…) Die militante Gruppe hatte das Haus bei Nacht und Nebel verlassen, und einige sind wohl bis in Ausbildungslager der Al Fatah vorgedrungen, wie es später gerüchteweise hieß.

(Nur wenige von den Gewaltbereiten haben die darauf folgenden Jahre überlebt.) Auch eine Bombe ging in einem italienischen Kaufhaus los, richtete aber keinen weiteren Schaden an, wenn ich mich recht erinnere.

Ich fuhr mit einem kleinen Häufchen niedergeschlagener Kommunarden nach München zurück, wo ich mich dann auch bald darauf von allen trennte und davonzog.

Lous auf diesem Album so zurückhaltende Stimme und Sterlings einfach wundersame Gitarre werden mich für immer an diese rätselhaft hilflosen Tage erinnern, wie an eine Wunde in meinem Leben, an ein schwarzes Loch, in das einige hineingezogen und aus dem andere herausgeschleudert wurden.

Ich bin dieser Musik zutiefst dankbar.

„Sometimes I feel so happy, Sometimes Ifeel so sad. Sometimes Ifeel so happy, but mostly you just make me mad. Baby, you just make me mad. Linger on, your pale blue eyes…“

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